Stärkung der Demokratie

Vier Ideen gegen die rechte Revolte

04:32 Minuten
Teilnehmer der Menschenkette in Dresden halten sich an den Händen.
Die Menschenkette zum Gedenken an das Bombardement Dresdens hat sich auch zum Protest gegen Nazis und zur Stärkung der Zivilgesellschaft entwickelt. © picture alliance/dpa/Robert Michael
Überlegungen von Christian Schüle · 17.02.2020
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Antiliberale Kräfte haben es derzeit leicht, positive Identitätserzählungen anzubieten. Mit Zweckoptimismus garniert, könnten vier Vorschläge die repräsentative Demokratie in ihrer Substanz stärken, meint der Philosoph Christian Schüle.
Vor lauter Erregung, Empörung und Nazivergleich bleibt die eigentlich relevante Frage wieder einmal unbeachtet und unbeantwortet: Wie und wodurch gewinnt man den Wähler für die Kontinuität der liberalen Demokratie?

Aufwertung der Kommunen

Rechte Strategien setzen gezielt bei der Übernahme der Kommunen an, weil es dort so gut wie keinen Widerstand gibt. Man müsste der Intimität rechts-nationaler Ansprache also eine andere Intimität der fürsorglichen Ansprache entgegen setzen. 70 Prozent der Deutschen leben in ländlichen Strukturen; die Herzkammer der deutschen Demokratie sind die Kommunen und ihre Bürgermeister. Wir brauchen eine ausreichende Finanzierung der Kommunalparlamente, eine Aufwertung von Gemeinderäten durch die Bundespolitik und eine bewusst hohe Aufmerksamkeit überregionaler Medien für den regionalen Raum.
Förderanträge der Gemeinden müssten schneller beschieden, der Ausbau von Kommunalquartieren erleichtert und priorisiert, die Arbeit an gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Randregionen forciert und Netzwerke von Mediatoren und Moderatoren in den Kommunen aufgebaut werden – personifizierte Vorbilder für möglichst alle; nicht von oben herab, sondern als engagierte Vermittler widersprüchlicher Interessen. Demokratievorlebende Autoritäten helfen gegen autoritäre Antidemokraten.

Bildung von Zukunftsräten

Eine Demokratie, deren Souverän der Bürger ist, muss ihm auch die Chance zum Erfolgserlebnis ermöglichen. Repräsentative Demokratie muss auch repräsentieren. Sie muss erfahrbarer, spürbarer, schneller werden, um das reale Selbstwirksamkeitserlebnis des digital entfremdeten Egos zu erhöhen und zwangsläufige Enttäuschungen bei überzogenen Maximalerwartungen vorzubeugen. Ohne Wissen, Einbindung und Mitbestimmung der Menschen wird die Demokratie der Zukunft nicht mehr funktionieren.
In wechselnd besetzten "Zukunftsräten" könnte man eine kleine Zahl von Bürgern und Bürgerinnen diskutieren und Entwürfe verfassen lassen, über die dann – als Empfehlung für den Gesetzgeber – die gesamte Wahlbevölkerung abstimmt. Fühlt sich der Einzelne gehört, gebraucht, wahr und ernst genommen, hat er Hass nicht nötig.

Ausgeweitete Frühkindförderung

Rechtes Denken ist klug genug zu verstehen, dass die beabsichtigte Kulturrevolution bei den Schwächsten anfängt: den Kindern. Der Staat hat sehr viel Steuergeld zur Verfügung, das nicht einmal ganz abgerufen wird, investiert aber erstaunlich wenig in die Bildung im Kleinkindalter. Kitas müssen – kofinanziert durch öffentliche wie auch private Träger – in den Sozialraum ausgeweitet und zu Familienzentren ausgebaut werden. Dort geht es dann nicht mehr nur um Kindertagesbetreuung, sondern um Erziehungsberatung und pädagogische Kurse zu familienbildender Beziehungskompetenz von Eltern und Kind.
Wer von früh auf Wertschätzung und Wohlfahrt erfährt, verhält sich später meist selbst wertschätzend und wertschöpferisch.

Flächendeckende Werteschulung

Rechte Strategen zielen auf geistige Umerziehung und die Umwertung der Werte; das Bildungsvakuum ist geradezu ein Geschenk an sie. Politische Bildung vor allem in ländlichen Gebieten ist in den vergangenen Jahren fahrlässig vernachlässigt worden. Fehlende Wertevermittlung rächt sich. Den Landeszentralen für Politische Bildung käme künftig die enorm wichtige Aufgabe zu, demokratische Prozesse einzuüben: zuhören lernen, den anderen als gleichwertig wahrnehmen lernen, Widerspruch respektieren lernen; Toleranz als Tugend verstehen lernen. Frühe Konfliktkulturschulung führt mittelfristig zu Kompromissbefähigung. Zudem müsste der schulische Lehrplan zu Demokratie- und Medienunterricht verpflichten.
Für eine neue soziale Ethik benötigt man hervorragend ausgebildete, bestens entlohnte, intrinsisch motivierte und multimedial-kompetente Lehrerinnen und Lehrer. Angemessene Bildung braucht Quantität und Qualität. Alles in allem heißt das: Nicht nur in künstliche, sondern auch in soziale Intelligenz investieren. Mit Visionen arbeiten, nicht mit Apokalypsen. Ermöglichen statt pathologisieren.
Deutschland ist nach wie vor ein großartiges Land. Für die Reproduktion einer humanistischen Zivilgesellschaft, von deren Segnungen alle profitieren, braucht man weder Mythen noch Maschinenpistolen, sondern Mühe, Engagement und Ausdauer.

Christian Schüle, geboren 1970, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der "Zeit" und lebt als freier Schriftsteller, Essayist und Publizist in Hamburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Das Ende unserer Tage" (Klett-Cotta) und zuletzt die Essays "Heimat.

Publizist Christian Schüle
© Markus Röleke
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