Stalingrad als biografische Zäsur
Die Biografie erzählt das Leben von Friedrich Paulus, Offizier im Zweiten Weltkrieg. In Stalingrad wurde die 6. Armee unter seiner Führung von der Roten Armee eingeschlossen. Beim Nürnberger Prozess trat er als Zeuge der Anklage auf. Torsten Diedrichs Verdienst ist es, dass er sein Leben auch vor und nach Stalingrad akribisch recherchiert hat.
Er kam ganz und gar aus dem Kaiserreich – der "Marschall von Stalingrad". Wer 1890 in eine kleine hessische Beamtenfamilie hineingeboren wird, der hatte in wilhelminischen Landen nur eine Aufstiegschance: Offizier. Das hieß, die Vorgesetzten in der dritten Person anzusprechen. Das hieß vor allem: erst einmal gehorchen lernen und dann befehlen lernen. Bei Friedrich Paulus hieß dies auch: als junger Leutnant, noch vor dem Ersten Weltkrieg Einheirat in eine reiche rumänische Adelsfamilie. Damit waren die Grundlagen für den Aufstieg gelegt.
Doch schon hier muss vor den Klischees gewarnt werden. Paulus, so wie Torsten Diedrich ihn in seinem Buch schildert, war kein feiger Blödian wie Diederich Heßling in Heinrich Manns "Untertan". Friedrich Paulus – so sehr er das Gehorchen zur Lebensmaxime machte – war auch ein Intelligenter mit Stil: Er wusste gutes Aussehen und Eleganz mit zurückhaltendem Auftreten zu kombinieren. Ein Herr im besseren Sinne, kein Herrlein. Und seine Frau hielt auch in den schlimmsten Zeiten zu ihm. Nach Stalingrad lehnte sie eine Scheidung ab und nahm lieber Sippenhaft und Konzentrationslager auf sich.
Stalingrad und Paulus: zwei Namen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Stalingrad, wo die 6. Armee unter Führung von Paulus im Winter 1942/43 von der Roten Armee eingeschlossen wurde. Hitler lehnte jeden Ausbruchsversuch ab. Stalingrad, wo Paulus am 31. Januar 1943 kapitulierte. Stalingrad: seit der Kapitulation ein Name mit mythischem Klang, mit dem nur wenige Schlachten der Weltgeschichte mithalten können.
Torsten Diedrich entmystifiziert: "Der Krieg war militärisch Ende 1942 für Deutschland nicht mehr zu gewinnen". Wie auch – gegen die menschlichen Ressourcen Sowjetrusslands und die wirtschaftlichen Ressourcen der Vereinigten Staaten und des britischen Weltreiches? Stalingrad war also nicht die entscheidende strategische Niederlage Hitler-Deutschlands im Osten und schon gar nicht die Kriegswende – Stalingrad war aber "eine entscheidende moralische Wende": das Ende vom Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht. Nicht mehr, vor allem aber auch nicht weniger.
Torsten Diedrichs Verdienst ist es, dass er Friedrich Paulus ein angemessen breites Leben vor und nach Stalingrad einräumt. Das Stalingrad-Kapitel nimmt ein knappes Fünftel des voluminösen Werkes ein. Es ist kein weiteres Buch über Stalingrad. Es ist die Standardbiografie über die Person Friedrich Paulus. Mit seinem Leben vor Stalingrad: vom wilhelminischen Jung-Offizier über den Generalstäbler in der Reichswehr der Weimarer Republik bis zu Hitlers Generalfeldmarschall. Und mit seinem Leben nach Stalingrad: zehn Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, danach die letzten Lebensjahre, von 1953 bis 1957, in der DDR.
Dem von den Sowjets gesteuerten Bund Deutscher Offiziere (BDO) trat er erst nach dem 20. Juli 1944 bei, als ihm bekannte Offiziere aus dem Widerstand hingerichtet worden waren. Beim Nürnberger Prozess trat er als Zeuge der Anklage auf, wurde gleichwohl erst nach dem Tod Stalins aus der Kriegsgefangenschaft entlassen – in die DDR, für die sich Friedrich Paulus entschieden hatte. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre in einem Luxus-Refugium in Dresden, von der Stasi behütet und bewacht. Die DDR-Propaganda bemühte sich, ihn als Aktivposten im Kampf gegen die westdeutsche Wiederaufrüstung zu nutzen. Es gelang nur bedingt - nicht zuletzt, weil Friedrich Paulus bis zum Schluss der deutsche Nationalkonservative blieb, der für die Wiedervereinigung eintrat. Stalingrad blieb sein Trauma. Immerhin war Friedrich Paulus der einzige hohe Stalingrad-Offizier, der sich zu seiner Mitverantwortung am Untergang der 6. Armee bekannte.
Das Leben des Friedrich Paulus nach Stalingrad hat noch niemand so gründlich beschrieben wie Torsten Diedrich, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Institut der DDR, heute beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr. Auch die einschlägigen Archive der verschwundenen DDR und der untergegangenen Sowjetunion hat er ausgewertet. "Paulus – Das Trauma von Stalingrad" ist Diedrichs Lebenswerk. Leider ist er kein mitreißender Erzähler. Vor allem gegen Ende zeugen zahlreiche Druckfehler von einem ermüdeten Lektorat.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Torsten Diedrich: "Paulus - Das Trauma von Stalingrad",
Schöningh Verlag, Paderborn 2008, 580 Seiten, 39,90 Euro
Doch schon hier muss vor den Klischees gewarnt werden. Paulus, so wie Torsten Diedrich ihn in seinem Buch schildert, war kein feiger Blödian wie Diederich Heßling in Heinrich Manns "Untertan". Friedrich Paulus – so sehr er das Gehorchen zur Lebensmaxime machte – war auch ein Intelligenter mit Stil: Er wusste gutes Aussehen und Eleganz mit zurückhaltendem Auftreten zu kombinieren. Ein Herr im besseren Sinne, kein Herrlein. Und seine Frau hielt auch in den schlimmsten Zeiten zu ihm. Nach Stalingrad lehnte sie eine Scheidung ab und nahm lieber Sippenhaft und Konzentrationslager auf sich.
Stalingrad und Paulus: zwei Namen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Stalingrad, wo die 6. Armee unter Führung von Paulus im Winter 1942/43 von der Roten Armee eingeschlossen wurde. Hitler lehnte jeden Ausbruchsversuch ab. Stalingrad, wo Paulus am 31. Januar 1943 kapitulierte. Stalingrad: seit der Kapitulation ein Name mit mythischem Klang, mit dem nur wenige Schlachten der Weltgeschichte mithalten können.
Torsten Diedrich entmystifiziert: "Der Krieg war militärisch Ende 1942 für Deutschland nicht mehr zu gewinnen". Wie auch – gegen die menschlichen Ressourcen Sowjetrusslands und die wirtschaftlichen Ressourcen der Vereinigten Staaten und des britischen Weltreiches? Stalingrad war also nicht die entscheidende strategische Niederlage Hitler-Deutschlands im Osten und schon gar nicht die Kriegswende – Stalingrad war aber "eine entscheidende moralische Wende": das Ende vom Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht. Nicht mehr, vor allem aber auch nicht weniger.
Torsten Diedrichs Verdienst ist es, dass er Friedrich Paulus ein angemessen breites Leben vor und nach Stalingrad einräumt. Das Stalingrad-Kapitel nimmt ein knappes Fünftel des voluminösen Werkes ein. Es ist kein weiteres Buch über Stalingrad. Es ist die Standardbiografie über die Person Friedrich Paulus. Mit seinem Leben vor Stalingrad: vom wilhelminischen Jung-Offizier über den Generalstäbler in der Reichswehr der Weimarer Republik bis zu Hitlers Generalfeldmarschall. Und mit seinem Leben nach Stalingrad: zehn Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, danach die letzten Lebensjahre, von 1953 bis 1957, in der DDR.
Dem von den Sowjets gesteuerten Bund Deutscher Offiziere (BDO) trat er erst nach dem 20. Juli 1944 bei, als ihm bekannte Offiziere aus dem Widerstand hingerichtet worden waren. Beim Nürnberger Prozess trat er als Zeuge der Anklage auf, wurde gleichwohl erst nach dem Tod Stalins aus der Kriegsgefangenschaft entlassen – in die DDR, für die sich Friedrich Paulus entschieden hatte. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre in einem Luxus-Refugium in Dresden, von der Stasi behütet und bewacht. Die DDR-Propaganda bemühte sich, ihn als Aktivposten im Kampf gegen die westdeutsche Wiederaufrüstung zu nutzen. Es gelang nur bedingt - nicht zuletzt, weil Friedrich Paulus bis zum Schluss der deutsche Nationalkonservative blieb, der für die Wiedervereinigung eintrat. Stalingrad blieb sein Trauma. Immerhin war Friedrich Paulus der einzige hohe Stalingrad-Offizier, der sich zu seiner Mitverantwortung am Untergang der 6. Armee bekannte.
Das Leben des Friedrich Paulus nach Stalingrad hat noch niemand so gründlich beschrieben wie Torsten Diedrich, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Institut der DDR, heute beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr. Auch die einschlägigen Archive der verschwundenen DDR und der untergegangenen Sowjetunion hat er ausgewertet. "Paulus – Das Trauma von Stalingrad" ist Diedrichs Lebenswerk. Leider ist er kein mitreißender Erzähler. Vor allem gegen Ende zeugen zahlreiche Druckfehler von einem ermüdeten Lektorat.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Torsten Diedrich: "Paulus - Das Trauma von Stalingrad",
Schöningh Verlag, Paderborn 2008, 580 Seiten, 39,90 Euro