Heike-Melba Fendel ist Künstler-/PR-Agentin und Inhaberin der Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne „10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch“ auf zeit.de. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman „nur die“ bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman „Zehn Tage im Februar“ (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.
Falsch verstandene Emanzipation
Formalfeministisch hat Giorgia Meloni mit ihrem Wahlsieg einen glatten Durchmarsch hingelegt - und ist dennoch eine Katastrophe für die Sache der Frau, sagt Heike-Melba Fendel. © picture alliance / dpa / Oliver Weiken
Starke Frau, was nun?
Frauen galten lange als die besseren Menschen. Doch ihr Marsch durch die männlichen Institutionen und die Italien-Wahl machen klar: Wo Frauen den starken Mann markieren, triumphieren Werte von gestern, meint die PR-Fachfrau Heike-Melba Fendel.
Giorgia Meloni ist eine starke Frau. Laut, bestimmt und kompromisslos hat die Italienerin ihre Positionen vertreten, ihre Allianzen geschmiedet – und ihre Wahl gewonnen. Alles weist darauf hin, dass sie bald als allererste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung stehen wird. In genau jenem Land also, das die Einteilung der Frau in Heilige und Hure salonfähig und einen frauenverachtenden Übermacho wie Silvio Berlusconi allein viermal zu seinem Ministerpräsidenten gemacht hat.
Formalfeministisch also ein glatter Durchmarsch: Frau erobert Männerdomäne, Frau zögert und zaudert nicht, Frau hat keine Angst, sich unbeliebt zu machen. Frau gewinnt. Die Erste ihrer Art.
Aber Frau ist eben auch ultrarechts, immer gewesen, nie in Zweifel gezogen. Frau steht einer faschistischen Partei namens „Fratelli d`Italia“ vor, also einmal mehr den “Brüdern Italiens – und Frau koaliert mit jenem frauenverachtenden Greis Berlusconi, dessen feminine Seite allenfalls in einer Vorliebe für kosmetische Eingriffe aufschimmert.
Kurz, da ist sich man und frau und alles, was links von der AFD und Manfred Weber steht, einig: die Frau ist eine Katastrophe. Für ihr Land, für Europa und für die sogenannte Sache der Frau.
Falsche Idee von der Frau?
Vielleicht ist es jedoch weniger die Sache der Frau, sondern die Idee von der Frau, die hier schief hängt. Jener Idee, derzufolge eine Welt, in der Frauen das Sagen haben, eine bessere Welt wäre. Friedlicher, empathischer und bewahrender.
Natürlich ist das Kitsch, aber einer, mit dem wir gerne unser Denken dekorieren. Wer Leben zu schenken vermag, hat sich alles Nährende, in Beziehung Tretende, also fortwährend Kommunizierende buchstäblich einverleibt. Und wer will schon was gegen mütterliche, also weiche Qualitäten sagen? Jetzt, wo auch Väter die für sich reklamieren.
Die Frauen selbst haben hier – handelnd – widersprochen: Nicht als Geschlechterklischee konforme “Löwenmütter”, die für ihre Kinder und um den oftmals treulosen Ehemann kämpfen, sondern als Frauen, die ihren “Mann stehen”, die können, was die Jungs können. Stark, sein, hart sein, durchhalten, aushalten. Als Frauen, die sich Männer kaufen, weil die Männer das ja seit Jahrtausenden auch mit Frauen tun. Als Frauen, die sich auf von Frauennetzwerken veranstalteten Power-Lunches gegenseitig als Powerfrauen feiern.
Emanzipation ist nicht Nachahmung
Emanzipation als Mimikry: Frauen ahmen Männer nach und nennen es Fortschritt. Weil sie ja jetzt auch stark sind. Wie die Jungs. Ein vielzitiertes Bonmot von Heidi Kabel besagt, dass die Emanzipation erst dann vollendet ist, wenn auch eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist. Das immerhin ist gelungen – ob in den Medien, den Unternehmen oder eben in der Politik.
Aber kann jene Version der Stärke, die Männer definiert und vorgelebt haben, wirklich Ausdruck weiblicher Emanzipation sein? Markiert sie nicht vielmehr eine Gleichberechtigung des Schreckens? Frauen sind – so wird oftmals mit unnötig triumphierendem Unterton vermerkt – eben doch nicht die besseren Menschen. Sie können genauso reaktionär, macht- und geldgierig und grausam sein und auf vermeintlich Schwächere herabsehen.
Fortschritt als genderfluide Sache
Schwäche nämlich ist verpönt. Bei Männern immer schon und bei Frauen längst auch. Durchhalten bis zum Herzinfarkt oder Burnout und dann auf die dunkle Seite der Leistungsgesellschaft wechseln, wo das Durch- und Aushalten endet. Dort beginnt jene Schwäche, die es zu vermeiden gilt.
Vielleicht ist es jedoch genau dieser Stärke-Schwäche-Irrtum, den es zu vermeiden gilt, wenn wir als Gesellschaft oder, pathetischer, als Menschheit weiterkommen möchten. Vielleicht ist Fortschritt ja tatsächlich eine genderfluide Sache. Und eben erst dann möglich, wenn niemand mehr den starken Mann markiert. Auch die Frauen nicht.