Starke Frauen, weiche Männer

Von Hajo Schumacher · 17.01.2007
Die Familie sitzt beim Abendbrot. Es geht um Stars und Idole. Das Mädchen, 8. Klasse, zählt eine ganze Reihe von Frauen auf, die ihr imponieren: Die Schauspielerinnen Cameron Diaz und Kira Knightley, diese Wissenschaftlerin, deren Namen ihr nicht einfällt, ihre neue Direktorin, die sich gegen einen männlichen Wettbewerber durchgesetzt hat, später sogar Angela Merkel, weil sie sich von Kerlen wie Koch und Stoiber nichts gefallen lässt, ebenso wenig wie die virtuelle Schöne Lara Croft. Frauen, so scheint es, haben dann das Zeug zum Idol, wenn sie Männer erledigen. Ist ja auch lustig.
Der Knabe, 7. Klasse, hockt die ganze Zeit daneben und schweigt. Sein Idol-Park ist eher dünn besetzt. Der Skateboarder aus dem Computerspiel vielleicht und sein Schlagzeuglehrer, einer der wenigen Männer, von denen er etwas beigebracht bekommt. Das war es schon.

Früher war die Sache mit den Idolen deutlich einfacher für Jungs: Urwald-Arzt Albert Schweitzer, Mondfahrer Neil Armstrong, Gerd Müller, Willy Brandt, John Lennon, John F. Kennedy, Gunther Sachs oder Che Guevara. Abenteurer, Kerle, Kämpfer, Draufgänger, zu denen man sich bekennen durfte. Im Fernsehen gab es weitgehend frauenfreie Welten wie die "Ponderosa", "Starsky&Hutch" und "Miami Vice".

Heute klagen TV-Produzenten darüber, dass Jungs zwischen 12 und 18 Jahren nicht mehr ins Vorabendprogramm zu locken sind. Es dominieren Seifenopern für die Mädchen, in denen Jungs mal hübsch, mal trottelig, aber eben nur Nebenrollen besetzen. Die Knaben verziehen sich vor den Computer, wo sie ballern und erobern. Zur Untermalung lauschen sie Gangsta-Rappern, die Dauergewalt und Permapotenz predigen. Diese Kunstidole radikalisieren sich. Die richtige Welt scheint keine attraktiven Identifikationsfiguren mehr anzubieten.

An den pubertierenden Jungs unserer Tage ist deutlich zu sehen, was in der nächsten Phase des Geschlechterkampfes auf uns zukommt: ein Haufen orientierungsloser Männer.

Nach zwei Generationen Feminismus hat das vormals schwache Geschlecht eine Menge erreicht: der girls day ist eine Institution, die Kinderbetreuung steht in jedem Regierungsprogramm, gender mainstreaming, also Gleichstellung, ist das politische Leitmotiv in Europa und wird von strengen pc-Warten überwacht. Jede Frau, die mal irgendetwas erlebt hat, schreibt ein Buch und wird als Pionierin oder Kämpferin bejubelt.

Mag noch nicht jede einzelne Schwester befreit sein, so sind die ersten Ergebnisse im Kampf der Geschlechter deutlich sichtbar. Ob bei den Abiturienten, Studienabschlüssen oder Noten, überall liegen die Töchter der Generation Emma deutlich vor den Jungs. Die Frauenwelt entwickelt, auch dank massiver Förderung, zunehmend neue Leitbilder, Orientierung und Optionen. Das ist gut, das ist ein schöner Erfolg und auch ganz wichtig.

Dabei kommt den Frauen die alte Opferrolle übrigens sehr gut zupass. Sie sind halt immer die Guten. Damen, die die Herren kaltmachen, austricksen, verhöhnen oder belächeln, gelten als tapfere und selbstbewusste Streiterinnen, so wie Frau Pauli, Kanzlerin Merkel, bald wohl auch Segolène Royal und Hillary Clinton. Männer hingegen sollen sich derlei Umgangsformen bitteschön abgewöhnen, vor allem im Umgang mit Frauen. Das wäre ja Unterdrückung, was ja laut feministischer Lehrmeinung unsere Lieblingsbeschäftigung ist.

In nahezu jeder Schulklasse lernen die Jungs, dass sie zur zweiten Wahl gehören. Während Mädchen vielfältige Rollen ausprobieren, für Tabubrüche belobigt, für Regelverstöße mit anerkennendem Augenzwinkern belohnt werden, stehen die Knaben unsicher daneben und fragen sich: Was bedeutet es eigentlich heute, ein junger Mann zu sein? Muss man da so geschlechtslos aussehen wie die Baby-Zombies von "Tokio Hotel"? Was kann ich, was darf ich, wer bin ich?

Macho dürfen sie nicht sein, nicht mal stärker als die Mädchen, das wäre ja ungerecht. Die Lehrerin ist auch keine große Hilfe, und die Lehrer noch viel weniger. Viele Pädagogen wurden mehrheitlich ausgebildet in einer Zeit, als Männer stricken mussten, Erdbeertee tranken und sich ihres Geschlechtes vorauseilend schämten. Orientierung, Hilfe, ja Vorbilder im schweren Fach Mannsein sind in deutschen Schulen Fehlanzeige.

Was Frauen inzwischen vielleicht im Übermaß an Anerkennung bekommen, das fehlt den Jungs. Es ist dringend Zeit für einen boys day, für mehr Männer als Betreuer in Kitas und Schulen. Ein neuer Maskulinismus muss her, der sich nicht nur plump aus dem Kampf gegen das andere Geschlecht heraus definiert. Sonst wird womöglich George Clooney noch zum Vorbild für unseren Nachwuchs. Der amerikanische Schauspieler wurde gerade erst wieder zum most sexy man of the world gewählt. Frauen, sagt er, empfinde er dennoch als ziemlich anstrengend. Seine Villa bewohnte er jahrelang allein mit seinem Hausschwein Max.

Hajo Schumacher, Journalist. Nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "SPIEGEL", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.
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