Die Neuseeländer greifen nach den Sternen
Mehr als Schafe und Kiwis: Neuseeland steigt in die Raumfahrt ein. Ein Markt, der bis zu 500 Milliarden US-Dollar wert ist. Die Neuseeländer sind begeistert.
Der Weg an die Spitze der Mahia-Halbinsel an der Ostküste ist wie eine Fahrt durch sämtliche Klischees eines Neuseeland-Reiseführers. Am tiefblauen Pazifik entlang geht es mal über holprige Schotter-, mal über geteerte Straßen, vorbei an grasenden Schafen auf spinatgrünen Weiden bis hoch auf ein baumloses Plateau. Vom Meer her weht eine leichte Brise, die Luft schmeckt nach Salz.
"Die Umgebung ist spektakulär. Eine wunderschöne, dramatische Landschaft mit sanften Hügeln und steil abfallenden Klippen. Auf einer Halbinsel und auf drei Seiten von Wasser umgeben zu sein ist schlichtweg atemberaubend."
Was nach dem perfekten Platz für ein Picknick klingt ist Neuseelands Cape Canaveral, der US-Amerikaner Shane Fleming der Manager des Weltraumbahnhofs. Neben einem mit Kontrollgeräten und Maschinenteilen vollgestopften Wellblech-Hangar, von einer tennisplatzgroßen Beton-Startrampe aus will der Neuseeländer Peter Beck mit seinem Raumfahrt-Unternehmen RocketLab Satelliten ins All schießen. Kostengünstiger und öfter als die Konkurrenz.
"Es gibt viele Möglichkeiten riesige Satelliten in den Weltraum zu bringen wir aber wollen den Transport kleinerer Nutzlasten revolutionieren. Die Zeiten in denen Satelliten so groß wie Schulbusse waren sind vorbei, der technologische Fortschritt hat sie immer weiter schrumpfen lassen. Das ist eine vielversprechende Marktnische in einer Industrie, die jährlich 500 Milliarden US-Dollar wert ist."
Für nicht einmal fünf Millionen US-Dollar hebt eine Rakete ab
Der Durchschnittspreis um einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bekommen lag letztes Jahr bei 130 Millionen US-Dollar, eine RocketLab-Rakete soll schon für nicht einmal fünf Millionen abheben. Denn "kleiner und leichter ist nicht nur besser", sagt Peter Beck, "sondern auch billiger."
"Wir reden von Satelliten, die um die 100 Kilogramm wiegen, da liegt der Wachstumsmarkt. Das sind Nutzlasten, die oft nicht größer als ein Smartphone sind und zur Erdbeobachtung, für Google Maps, Wetter, Kommunikation oder Internet verwendet werden können."
Der 40-jährige Peter Beck ist Neuseelands Daniel Düsentrieb, ein Selfmade-Ingenieur und Unternehmer mit dunkelblonden Wuschelhaaren und Flausen vom Weltall im Kopf. Schon als Kind spielte er nicht Rugby, sondern lieber mit Maschinen. Alte Minis mit Turbomotoren aufzumotzen wurde ihm bald langweilig – Beck wollte eine Rakete bauen. Über eine Feinmechanik-Lehre bei einem neuseeländischen Haushaltsgerätehersteller landete er 2001 in der Industrieforschung und arbeitete heimlich am Design einer Leichtgewicht-Trägerrakete für Satelliten-Transporte. Becks Leidenschaft war ansteckend. Im Jahr 2006 gelang es ihm von US-Investoren 130 Millionen Euro Risikokapital zu bekommen. Peter Beck gründete RocketLab und erfüllte sich einen Kindheitstraum.
"Raketen und ihre Triebwerke sind für einen Ingenieur die wohl größte Herausforderung. Alles ist extrem: die Druckverhältnisse, die Temperaturen oder die Umgebung in der sie funktionieren müssen. Mich reizen all diese physikalischen Schwierigkeiten und man hat mit unglaublichen Mengen Energie zu tun. Es schadet nie den Boden ein wenig zum Zittern zu bringen."
Beck wird oft mit "Space X"-Gründer Elon Musk verglichen. "Ich habe zwar seinen Elan aber nicht seine Milliarden", witzelt Beck. Der US-Investor und Raumfahrtunternehmer setzt auf 90 Meter lange, wiederverwendbare Raketen und Masse, Beck auf leichtere Wegwerf-Flugkörper, Kleinsatelliten – und Innovation. Seine pechschwarze "Electron"-Einwegrakete mit Flüssigkeitsantrieb besteht zum Großteil aus hochfesten, kohleverstärkten Kunststoffen und niht aus Metall. Sie ist nur 18 Meter lang und nicht einmal zehn Tonnen schwer. Statt Gasturbinen treiben batteriegespeiste Elektromotoren die Pumpen der Triebwerke an. Die Einzelteile werden kostengünstig mit Hilfe von 3D-Druckern hergestellt.
"Andere Raumfahrtunternehmen haben sich das nicht getraut"
All-Forscher Alan Weston, früher bei der NASA heute Mitarbeiter im "Florida Space Institut" ist beeindruckt.
"Die Entwicklung der meisten Raketen geht auf den kalten Krieg zurück als Geld überhaupt keine Rolle spielte. Peter aber hat sich nicht beirren lassen, er wollte die technisch beste und billigste Lösung finden. Er hat auf einem leeren Blatt Papier ganz von vorne angefangen. Andere Raumfahrtunternehmen auf der Welt haben sich das nicht getraut."
RocketLabs Chef Peter Beck ist Weltenpendler. Der Firmensitz ist in Kalifornien, das Raketenwerk, der Startplatz und sein Zuhause sind in Neuseeland. Hi-Tech im Kiwi-Hinterland. Die Mahia-Halbinsel ist nicht das Ende der Welt aber man kann es von dort aus sehen. Nichts als Wasser, Himmel, kein Flugverkehr und kaum Menschen. Für Shane Fleming, den Manager der Rocket Lab-Abschußrampe: ideale Bedingungen.
"Das Besondere ist, dass wir von Mahia aus jede gewünschte Umlaufbahn in jedem erdenklichen Winkel von dieser einen Stelle aus erreichen. In den USA kann man nur entweder von Florida oder von Kalifornien aus starten, da sind die Nutzlasten vor dem Countdown oft tagelang quer durch Amerika unterwegs. Hier gilt: Eine Abschussrampe für jeden Orbit. Für ein weltweit einmaliges, privates Satelliten-Startgelände ist das ein enormer Vorteil."
Die NASA hat bereits Flüge gebucht
Höher als drei- bis fünfhundert Kilometer will RocketLab gar nicht hinaus, für Kleinsatelliten genügt eine niedrige Umlaufbahn. Die NASA und das Privatunternehmen "Moon Express", das Erkennungssonden auf den Mond bringen will, haben bereits Flüge gebucht. All-Forscher Alan Weston ist sicher, dass die Mahia-Habinsel das Zeug zum Satelliten-Mekka hat.
"Geographisch könnte Neuseeland nicht besser liegen um Raketen ins All zu schießen, denn die nächste Landmasse ist Südamerika. Sollte etwas schiefgehen braucht man sich jedenfalls keine Sorgen zu machen, dass Menschen Trümmer auf den Kopf fallen könnten."
Die Landzunge auf der RocketLabs Weltraumbahnhof liegt ist Teil von Onenui Station, privates Farmland das den einheimischen Maori gehört. Onenui sei ein spiritueller, ein heiliger Ort und was solle wegen der Sperrzonen nur aus dem Fischfang werden? Nicht jeder war über eine Satellitenabschussrampe auf dem eigenen Landbesitz begeistert. Bis Pauline Tangiora, die Stammesälteste, ein Machtwort sprach.
"I think the people have to be very grateful that the trustees came to an agreement with Rocket Lab because it is not only a good agreement for our shareholders but also for our community.”
"Die Zukunft in Mahia gehört dem Fortschritt"
"Die Stammesmitglieder sollten froh darüber sein RocketLab als Gäste auf ihrem Land zu haben", meint Tangiora - und überhaupt: Die Fischer würden schließlich auch bei schlechtem Wetter und zu hohen Wellen nicht auslaufen. Was Pauline Tangiora sagt, das wird auch respektiert - nicht nur an der Ostküste Neuseelands. Die weißhaarige Friedensrichterin mit schwarzer Kinntätowierung hat ihr Leben lang, in internationalen Gremien und zu Hause, für die Rechte von Ureinwohnern gekämpft. "Wir Maori", glaubt Tangiora, "dürfen nicht in der Vergangenheit leben". Die Zukunft in Mahia gehöre dem Fortschritt.
"Die Halbinsel ist ein karger Ort und es braucht harte Arbeit um diesem Land etwas abzutrotzen deshalb ist es ein Segen, wenn Geld hereinkommt von dem die Farm und der ganze Stamm profitieren. Wir erleben Wissenschaft und Technik aus nächster Nähe und RocketLab will sogar Stipendien finanzieren, damit unsere Kinder zur Universität gehen können."
Es ist Pause in der Te Mahia Schule, der einzigen auf der Halbinsel. Die Kinder spielen Fangen oder Ball, essen ihre Brote oder ärgern die Lehrer, in seinem Büro wischt Direktor Arnd Hopp mit dem Finger durch sein Iphone. Was er sucht ist ein kurzes Video: den Start einer von den Schülern selbstgebauten Flaschenrakete draußen auf dem Rugbyfeld. Eine gefüllte Zwei-Liter-Wasserflasche, Tennisbälle als Stabilisatoren und ein wenig Druckluft: Raketentechnik steht eigentlich nicht auf dem Stundenplan von Te Mahia, aber seit RocketLab nur um die Ecke den Ernstfall testet drückt Schuldirektor Arnd Hopp beide Augen zu.
"Die Kinder haben Vorträge und Präsentationen von echten Raketentechnikern bekommen. Sie brennen darauf einmal die Abschussrampe besuchen zu dürfen. Eine Karriere in der Weltraumindustrie mag für sie vielleicht unerreichbar sein aber es kann nicht schaden die Vorstellungskraft der Kinder anzuregen.”
Das Weltraumfieber grassiert in Neuseeland
In den Weltraum starten zu wollen ist eine Sache, eine offizielle Genehmigung dafür zu haben aber eine andere. Neuseeland musste für RocketLab erst internationalen All-Abkommen beitreten, die Regierung eigene Raumfahrtgesetze beschliessen. Die Debatte im Parlament war, buchstäblich, eine Sternstunde schwerelosen Kiwi-Humors. Abgeordnete zitierten Neil Armstrong, David Bowies "Space Oddity" und sogar Elton John.
"And I think it's gonna be a long long time, til touchdown brings me round again to find: I'm not the man they think I am at home. Oh no, no, no, I’m a Rocket Man ...”
Das Weltall ist völliges Neuland für Neuseeland. Erst wurde die Nutzung des einheimischen Luftraums neu geregelt, dann stampfte die Regierung eine Zehn- Mann-Raumfahrtbehörde aus dem Boden. Und seit an der Abschussrampe die Tests begonnen haben, grassiert in der ganzen Gegend das Weltraumfieber.
Eine Hauptstraße, keine nennenswerten Sehenswürdigkeiten – nur der Pazifik auf der einen und der gleichnamige Fluß auf der anderen Seite: Wairoa ist eine gesichtslose 4000-Einwohnerstadt auf halbem Weg zwischen Gisborne und Napier. Ein Ort, in dem man vielleicht zum Tanken hält aber nicht bleibt. Jetzt aber mit der Satellitenabschussrampe in der Nähe vermarktet sich Wairoa als "Neuseelands Tor zum All". Anfangs verstanden Bürgermeister Craig Little und Stadtrat Charles Lambert nur "Weltraumbahnhof" jetzt aber glauben sie, dass Wairoas Zukunft in den Sternen liegt.
"Unsere Stadt drohte auszusterben. 20 Jahre lang zogen die Leute von hier weg – jedes Jahr etwa ein Prozent der Einwohner. Jetzt aber ist unser kleiner Ort international bekannt.” – "Wir hoffen, dass draußen am Flughafen eine Fabrik entsteht, in der die Raketen gebaut und viele Arbeitsplätze geschaffen werden.”
Ein paar Kilometer weiter, wenn man vom State Highway 2 auf die Mahia-Halbinsel abbiegt, ist Verkehr nur noch ein Fremdwort. Entlang der Küste, vor schlichten Wochenend-Strandhütten, stehen mehr Anhänger mit Booten als Autos, Kombis haben Surfbretter auf dem Dach. Rentner Jack Barnes lebt seit über 60 Jahren auf der Halbinsel, aber – ausgenommen als die Gegend Fernseh-Empfang bekam – war er nicht mehr so aufgeregt.
"Anfangs dachte ich: Was für eine Schnapsidee Raketen von hier aus ins All zu schießen – sowas machen doch nur die Amis oder die Russen. Aber wir haben hier etwas Einmaliges und die ganze Gegend wird davon profitieren."
Bisher waren die einheimischen Schafzüchter und Fischer mehr oder weniger unter sich, wer sich sonst auf die Mahia-Halbinsel verirrte kam zum Surfen oder um vor der Küste zum Wrack der "SS Tasmania" hinunterzutauchen. Jetzt aber hofft man, dass mit jedem Raketenstart von RocketLabs Weltraumbahnhof auch die Touristenzahlen nach oben gehen.
"Here is one of our tents. It has a double bed or two single beds and an ensuite. It is pretty luxurious for a tent…….”
Run auf Schaffarm nach Abschussrampen-Foto auf Facebook
Es ist nicht das "Ritz" oder das "Hilton", aber für einen früheren Schafstall ist es Luxus. Zwischen zwei schweren Deckenbalken ist ein khakibraunes Safari-Zelt mit Holzboden gespannt. Darin sind ein Doppelbett, eine Dusche, daneben eine Mini-Küche mit Herdplatte und Klapptisch, ein bequemes Sofa und ein Gasofen – die Aussicht aufs Meer und und die frische Luft draussen gibt es gratis. Bisher waren die Coops nur auf einheimische Stadtfamilien eingestellt, die mit ihren Kindern Ferien auf dem Land machen wollten, jetzt aber – mit RocketLab als Nachbarn – kommen Anfragen von immer weiter weg.
"We’ve had a number of enquiries and some interesting folk. We had a small team from Israel putting up antennas and just recently we had a couple from the American Embassy, young people….”
Meteorologen aus Israel oder eine Delegation der US-Botschaft: Will und Cathy Coop haben immer öfter Gäste. Nicht nur weil sie zu den wenigen in Mahia gehören, die welche unterbringen können. Von ihrer Schaffarm auf der anderen Seite der Bucht aus haben die Coops freie Sicht auf die Spitze der Landzunge. Seit Cathy ein grobkörniges Photo der Abschussrampe auf Facebook gepostet hat, steht ihr Telefon nicht mehr still.
"Die Leute glauben, wir wären ein Hotel, sie fragen nach Einzelzimmern und Rundumservice. Ich muss ihnen dann sagen, dass wir eine Schaffarm sind. Wir bringen Gäste in einem umgebauten Stall oder in einer Wildhüter-Hütte unter. Aber sie alle hatten bisher eine phantastische Zeit, niemand hat es bereut."
Eine Zukunft als Hi-Tech-Paradies ?
Billiger als die Amerikaner, einfach und zuverlässig: erst haben die Neuseeländer Hollywood gezeigt wie man im Kino das Blaue vom Himmel heruntertrickst, jetzt greifen die Kiwis nach den Sternen. Die Regierung hat 20 Millionen Euro Fördergelder locker gemacht, man wittert künftige Hi-Tech-Jobs und Arbeitsplätze in der Zulieferungsindustrie. "Es wird Zeit für einen Imagewandel", gesteht Ruth Weston vom Ministerium für Wirtschaftsförderung. Die Zeit, in denen Neuseeland nur als die Molkerei, das Traumurlaubsziel oder die Kiwifarm der Welt galt, sei vorüber. Die einheimische Filmindustrie habe es vorgemacht wie man auch als kleines Land mit Knowhow den großen Technologie-Nationen Konkurrenz machen könne.
"Was meinen Job aufregend macht und worauf ich jeden Tag hoffe sind neue Projekte, die ungeahntes Potential haben. Seit 15 Jahren produzieren wir in Neuseeland Oscar-prämierte Film-Spezialeffekte – das hätte uns vorher niemand zugetraut. Heute werden wir um diese Industrie beneidet, weil die weltbesten Filmemacher mit uns arbeiten. Jetzt brechen wir ins Weltall auf, das Satellitengeschäft hat das Zeug zu Neuseelands nächstem großen Exportschlager. Es kommt nicht darauf an wer eine gute Idee hat, was zählt ist sie auch erfolgreich umzusetzen. Eine solche Idee ist für eine Wirtschaft Gold wert."
RocketLab ist ein junges Unternehmen mit jungen Mitarbeitern, der Altersdurchschnitt liegt unter 30 Jahren. Nach dem ersten Test an der Abschussrampe war "Raketentechnik" der meistgegoogelte Begriff in Neuseeland, Universitäten mit Ingenieursstudiengängen bemühen sich um Partnerschaften, Schulen im ganzen Land um Patenschaften mit der Satellitenfirma. Nächster Halt für Junior-Chef Peter Beck und Rocket Lab: die Erdumlaufbahn.
"Nur zehn andere Länder haben bisher eigene Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht und die meisten waren Supermächte. Nummer 11 zu sein, ist eine große Sache. Denn wenn wir so oft starten wie wir das vorhaben, dann schießt Neuseeland bald mehr Satelliten ins All als jedes andere Land der Welt."
Bisher wurde auf der Mahia Halbinsel nur der Müll einmal die Woche abgeholt, jetzt sollen genauso oft Trägerraketen Satelliten von dort aus in den Weltraum schießen. Gelingen die weiteren Tests, dann werden sich die Schafe wohl daran gewöhnen müssen, denn der Countdown in Neuseeland läuft.