"Die neue Zeit am BE beginnt trotz großen Jubels durchwachsen", meint unser Kritiker Michael Laages. Hören Sie hier seinen Beitrag vom 22.9. 2017, 6:36 Uhr:
Audio Player
"Caligula" als Motorsäge schwingende Tyrannin
Ein Stück über einen Diktator: Mit "Caligula" von Albert Camus eröffnet das Berliner Ensemble die erste Spielzeit unter dem neuen Intendanten Oliver Reese. Mit großem Jubel feierte das Premierenpublikum vor allem die Hauptdarstellerin Constanze Becker in der Rolle des Tyrannen.
Jetzt ist es also soweit, alles auf Anfang am Schiffbauerdamm. Viel Aufhebens ist gemacht worden um den Intendantenwechsel am Berliner Ensemble, im Vergleich zu den Querelen um die neue Leitung der Berliner Volksbühne kann Peymann-Nachfolger Oliver Reese jedoch geradezu unbeschwert und ungestört sein Amt antreten. Trotzdem, die Erwartungen sind hoch: Schluss soll sein mit dem Museumstheater, Schluss mit dem angestaubten Grau-in-Grau einer vergangenen Ära.
Um das zu verwirklichen, lässt Reese für die Auftaktinszenierung einen der gefragtesten jungen Regie-Stars ans Ruder. Der 1982 geborene Antú Romero Nunes inszeniert "Caligula" von Albert Camus. Während des Zweiten Weltkrieges entstanden und 1944 uraufgeführt, ist die Tragödie ein Kerndrama des Existentialismus und, wie es scheint, eine ideale Parabel auf die politischen Tendenzen der Gegenwart. Ist dieser Caligula doch ein Diktator, der sich selbst alle Freiheiten gewährt, ohne jede Rücksicht auf seine Bürger. Ist diese Gestalt in ihrem Machtwahn womöglich ein ferner Verwandter von Erdogan, von Putin oder Trump?
Theaterdonner, Farbeffekte, Bühnennebel
Nein, es wird rasch klar, wenn man in den Text hineinschaut: Dieser Despot ist eine philosophische Gestalt ohne jede politische Ideologie, kein Populist und Chauvinist, sondern einer, der schlicht beweisen will, dass er ebenso frei und grausam sein kann wie die Götter. Dieser Caligula ist ein Irrwisch, ein durch und durch gefährliches Wesen, und die Besetzung der Hauptrolle an diesem Abend ein echter Coup: Constanze Becker kehrt nach acht Jahren als Star am Schauspiel Frankfurt in die Hauptstadt zurück und steht mit Glatze, fahl geschminkt und in rotem Herrschermantel im Zentrum dieser gut anderthalb Stunden – als androgyne Schreckenserscheinung, die es wahrlich in sich hat.
Sie singt "Wenn ich mir was wünschen dürfte" von Friedrich Holländer, dass einem Angst und bange werden kann. Sie hantiert mit laufender Motorsäge und spielt "Ave Maria" auf der Blockflöte. Sie schnauzt und geifert und mordet, mal als zickiger Horror-Clown, mal als böse Königin, scheinbar direkt aus dem Kindertheater. Virtuos, zugleich merkwürdig aufgesetzt, als stehe sie bisweilen ebenso ratlos vor dem Material wie die gesamte Inszenierung.
Constanze Becker als blutbeschmierte Tyrannendarstellerin
Nunes entfacht dröhnende Stürme und gleißende Farbeffekte, lässt das Ensemble als Commedia dell'arte-Harlekine mal albern, mal schwer pathetisch agieren und durch schwer atmosphärische Bühnennebel und Säulenkonstruktionen irren. Klar wird dabei aber vor allem, dass sich das verkniffen verkopfte Stück schwerlich eignet für eine derart mit Erwartungen aufgeladene Spielzeiteröffnung. Kaum menschliches Interesse lässt sich den großen Reden abgewinnen, noch weniger Sinnlichkeit, und jeder Versuch der politischen Allegorie schießt an unserer Gegenwart vorbei.
Es bleibt ein Abend für eine die Motorsäge schwingende Königin der Nacht, für eine blutbeschmierte Tyrannendarstellerin mit Lust an der Grimasse und der verstellten Stimme, die nicht totzukriegen ist, selbst als sich der rote Schlussvorhang über ihr senkt und das Publikum in großen Jubel ausbricht. Weil eine neue Ära ihren Anfang genommen hat, arg holprig zwar, aber mit eindrücklichem Theaterdonner und großen, spannungsvollen Versprechen.