"Wir wollen Palästina aufbauen"
Wer als junger Digital-Unternehmer in Palästina startet, kämpft mit vielen Nachteilen: Kein schnelles 3G-Internet, kein Online-Bezahldienst PayPal und wenig Unterstützung der Regierung. Trotzdem wächst die Start-up-Szene im Westjordanland. Ein Hoffnungsschimmer.
Es riecht nach frischem Kaffee und Sandwiches in dem kleinen Bistro. Der Tresen ist weiß und schmal - alles wirkt schick und schlicht. Die Kunden haben für die Ausstattung sowieso keinen Blick. Sie hängen mit ihren Augen meist im Laptop. Wie Laila Akel. Sie ist 35 und oft hier in der "Leaders Organization". So heißt das erste Gründerzentrum von Ramallah.
Beheimatet in einem Geschäftshaus im gehobenen Viertel Al-Masyoun – südliche Innenstadt – hilft es jungen Unternehmern wie Akel. Vor drei Jahren sie mit einem befreundeten Politologen die App "Red Crow" entwickelt. Ein Dienst im Internet, der personalisierte Auskunft über die Sicherheitslage im Nahen Osten gibt.
"Mit Red Crow sammeln wir sicherheitsrelevante Informationen über die gesamte Region aus Social-Media-Kanälen. Wenn wir Sicherheitsrisiken ausmachen, versenden wir Eilmeldungen über unsere App. Unser Kunde bekommt also Sicherheits-Alerts in Echtzeit, während er gerade für seinen Auftrag unterwegs ist. So helfen wir ihm, Gefahren aus dem Weg zu gehen – ob bewaffneten Auseinandersetzungen oder blockierten Straßen."
Die Software, die Laila Akel und ihr neunköpfiges Team entwickelt haben, wertet Twitter und Facebook, aber auch Nachrichtenseiten aus. Sie gleicht Meldungen von Anschlägen oder Straßensperren automatisch mit mehreren Quellen ab, um sicherzustellen, dass sie korrekt sind. Erst dann gelangen sie an die App, verknüpft mit Kartenmaterial. Außerdem bietet das Team von Red Crow Premiumdienste an.
"Ein weiterer Service sind unsere wöchentlichen Sicherheitsreports. Darin analysieren wir die politische Lage in einem Land oder einer Region. Wir bewerten darin auch die Entwicklung von Krisenregionen wie Syrien. Gerade dort arbeiten wir derzeit sehr stark an der Sicherheitseinschätzung. Damit unsere Kunden abwägen können, wo die Lage sicher genug ist, um dort zu arbeiten."
Akels Kunden sind Hilfsorganisationen, politische Delegationen und Botschaften, unter anderem aus Deutschland, den USA und der Schweiz. Je nach Service zahlen sie monatlich zwischen 25 und 1200 US-Dollar.
Das Konzept hat palästinensische Geschäftsleute aus dem In- und Ausland überzeugt: 350.000 US-Dollar haben sie bislang in Red Crow investiert. Für Laila Akel ist es mehr als ein beruflicher Erfolg. Die im US-amerikanischen Huston geborene Tochter palästinensischer Eltern ist extra zurückgekommen ins Westjordanland, weil sie mit ihrem Start-up etwas bewegen möchte.
"Als ich die Universität in den USA beendet habe, wollte ich zurück nach Hause. Wieder näher bei Familie und Freunden sein. Ramallah als Stadt hat sich in den vergangenen 15 Jahren ökonomisch gut entwickelt. Viele junge Menschen kommen zurück und beginnen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Wir wollen weder von der Regierung noch von NGOs abhängig sein, die uns Geld geben. Wir wollen unser Land selbst aufbauen!"
Tatsächlich glauben auch Ökonomen, dass Start-ups zukünftig ein fester Baustein der palästinensischen Wirtschaft sein können. Nur einige Straßen vom Gründerzentrum entfernt treffe ich den Wirtschaftsprofessor Omar Omran von der "School of Business and Economics" an der nahe gelegenen Birzet University.
Wir sitzen in einem edlen, mit Möbeln aus dunklem Tropenholz ausgestatteten Café. Draußen brennt sich die Mittagssonne in die staubigen, zerklüfteten Felsen des Hochlands, das sich am Horizont erstreckt. Omran glaubt, dass die klassischen Gewerbe in den palästinensischen Autonomiegebieten in der derzeitigen politischen Lage keine Zukunft haben.
"Unsere Reisefreiheit ist eingeschränkt, wir haben keine Kontrolle über unsere Grenzen und die Im- und Exporte – das alles macht es für die klassische Industrie recht schwierig, in Palästina zu bestehen. Das hat einen großen Einfluss auf die Wirtschaft."
Die Tech-Start-up-Szene dagegen ist nicht so stark von politischen Konflikten abhängig und hat weniger Einschränkungen durch die israelischen Zäune und Mauern. In der digitalen Welt sind nationale Grenzen leichter zu überwinden. Um erfolgreich zu sein, brauchen die Gründer nur eine gute Idee, einen Computer und einen Internetanschluss.
Das zeigen viele Beispiele: Palästinensische Gründer entwickeln Plattformen und Apps für Hotel- und Reisebuchungen, Jobvermittlungen und Dienstleistungen im Gesundheitswesen. Etwa 30 erfolgreiche Tech-Start-ups sind in den vergangenen Jahren in Ramallah entstanden. Und die Gründer werden immer mehr, meint Wirtschaftsprofessor Omran.
"Die klassischen, innovationsbasierten Start-ups hier in Ramallah sind sichtbar geworden. Sie haben in den vergangenen Jahren zwischen 300 und 500 Jobs geschaffen. Manche Schätzungen gehen auch von 700 neuen Stellen aus. Ich bin sicher, dass Start-ups in Zukunft eine größere Rolle in der Wirtschaft Palästinas spielen werden!"
Manche Experten vermuten, dass palästinensische Start-ups in den nächsten Jahren Tausende Stellen schaffen könnten. Ein Hoffnungsschimmer für die Palästinensergebiete. Denn bisher haben sich die wirtschaftlichen Aktivitäten seit 1999 halbiert. Die Folge: Etwa ein Viertel der Araber im Westjordanland und im Gazastreifen ist arbeitslos.
Die Wende sollen nun die Jungen, die gut Ausgebildeten bringen. Darauf setzen auch Geschäftsleute wie der palästinensische Milliardär Bashar Masri. Er baut etwa 20 Kilometer nördlich von Ramallah – an seiner Modellstadt "Rawabi" – aus der mal ein palästinensische Silicon Valley entstehen soll.
Mit Platz für moderne Wohnungen und High-Tech-Jobs für 40.000 Menschen. Der Ökonom Omar Omran beobachtet, dass sich die hiesige Gründer-Szene zunehmend professionalisiert.
"Die erfolgreicheren Start-ups sind an Risiko-Kapital und Investmentfonds angeschlossen. Solche Investitionen gibt es in Palästina zum Glück immer häufiger. Die Gründer und Investoren arbeiten zielgerichteter. Keiner gibt dir Geld und sagt: Probier mal! Die Investoren wollen jetzt einen Businessplan sehen. Wie willst du dein Start-up finanzieren? Wie willst du Kunden erreichen? Wann wird dein Start-up profitabel sein? Die Gründer beginnen also, länger als drei bis sechs Monate im Voraus zu denken. Sie treffen strategische Entscheidungen für die nächsten fünf bis zehn Jahre."
"Downstares we have the accelerator plus incubation for nine advanced companies. In this floor we have the activity hall wich has a capacity for 120 people and we do tech talks, we do start-up week-end...”
Zurück bei der Leaders Organization, dem ersten Gründerzentrum in Ramallah. Direktor Shadi Atshan führt durch seine Geschäftsräume. Hier hilft er jungen Gründern beim Weg von der ersten Idee zum professionellen Unternehmen. 14 Start-ups teilen sich derzeit die 1000 Quadratmeter große Bürofläche, die sich über zwei Etagen erstreckt.
Es gibt einen Co-Working-Space, also ein Großraumbüro, in dem Kleinstunternehmen einen Schreibtisch bekommen. Aber auch durch Glaswände abgetrennte Büros, Konferenz- und Veranstaltungsräume für Start-ups, die schon gewachsen sind und mehrere Mitarbeiter beschäftigen. Und besonders wichtig für die Gründer: Es gibt schnelles Breitband-Internet. Wer hier einen Platz haben will, muss etwas dafür tun.
"Wenn sich Start-ups bei uns bewerben, starten wir einen Auswahlprozess. Wir versuchen, die Ideen zu filtern, die sich am besten finanzieren und umsetzen lassen. Wenn ein Team ausgewählt wurde, erhält es einen Arbeitsplatz und eine Anschubfinanzierung von 40.000 US-Dollar. Die Hälfte wird sofort ausgezahlt, die andere Hälfte wird für Business-Coachings und andere Dienstleistungen verwendet. Die sollen den Gründern helfen, zu wachsen und Märkte zu erschließen."
Das Geld für die Start-ups erhält Shadi Atshan vom Ibtikar Fund, einem palästinensischen Fonds für Risikoinvestments. Er umfasst zwölf Millionen US-Dollar, das meiste Geld stammt von palästinensischen Geschäftsleuten. Staatliche Förderprogramme wie in Israel gibt es in Ramallah nicht. Der palästinensischen Autonomiebehörde fehle dazu das Geld, heißt es.
Shadi Atshan beobachtet, dass viele der von ihm geförderten Start-ups langsam in Märkte außerhalb der palästinensischen Autonomiegebiete expandieren. Wenn Geld aus dem Ausland nach Ramallah kommt, beflügelt das die lokale Wirtschaft. Doch einfach ist es nicht – die technologischen Hürden sind im Westjordanland tückisch.
"Zum Beispiel haben wir keinen 3G-Standard, also kein schnelles mobiles Internet. Die israelischen Behörden behalten die Frequenzen für ihre eigenen Mobilfunkunternehmen vor. Wir sind neben Kuba wohl das letzte Land der Erde, das noch kein 3G hat!"
Wenn 3G ein Rennwagen auf der Datenautobahn ist, so ist das im Westjordanland verfügbare 2G ein gemütlicher Kleinbus. Ein Wettrennen können die palästinensischen Gründer so nicht gewinnen.
Verantwortlich für geringe Geschwindigkeit des mobilen Internets im Westjordanland war die israelische Militäradministration Cogat. Sie begründete das mit Sicherheitsbedenken. Im April aber haben die Cogat und das palästinensische Ministerium für Telekommunikation nun ein Abkommen unterzeichnet, das eine Aufrüstung auf 3G vorsieht. Ob das wie vereinbart bis Jahresende geschieht, ist ungewiss.
Doch fehlende Daten-Geschwindigkeit ist nicht die einzige technologische Beschränkung, die palästinensischen Gründern zu schaffen macht. Derrar Ghanem wird ebenfalls von Leaders gefördert. Der 27-Jährige ist Mitinhaber von "Build Palestine", einem 2016 gegründeten Start-up für Crowdfunding – eine beliebte Methode um mittels Schwarmfinanzierung Geld einzuwerben. Mithilfe kleiner Spenden können Mitglieder von Build Palestine so eigene Ideen umsetzen, ohne dass sie auf Kredite angewiesen sind.
"Wir sind im Grunde wie jede andere Crowdfunding-Plattform. Allerdings legen wir einen besonderen Fokus auf Projekte für Palästinenser. Wir wollen nicht abgehoben sein, sondern suchen nach Projekten die simpel und zugleich innovativ sind. Und eine direkte Auswirkung auf das Leben der Menschen haben."
Als unbekanntes Start-up in Ramallah müssen Derrar Ghanem und sein Compagnon internationale Spender erst mal überzeugen, in lokale Projekte zu investieren. Dafür wollen sie Transparenz schaffen. Die Projekte, die um kleine Spender überall in der Welt werben, müssen mit Videos und Blogbeiträgen über die Entwicklung ihrer Projekte informieren.
"Eines der wirklich simplen und zugleich innovativen Projekte, die wir hatten, war in Gaza. Das Problem, das die Freiwilligen in ihrer Nachbarschaft sahen, war: Ambulanzen brauchten während des letzten Gaza-Kriegs zu lange, um Verletzte zu bergen. Die Freiwilligen erkannten, dass man Leben retten kann, wenn es in jeder Nachbarschaft Ersthelfer und Erste-Hilfe-Sets gibt – vor allem in abgelegeneren Gebieten, wo die Ambulanz schlecht hinkommt."
Die Strategie ging auf. In der Startphase hat Build Palestine für dieses Projekt Geldgeber in 85 Ländern erreicht. Sie gaben insgesamt 5000 US-Dollar. Dafür konnten 35 Erste-Hilfe-Koffer in Gaza gekauft werden. Erstaunlich war, dass die vielen kleinen Spenden aus der ganzen Welt kamen, aber nicht aus den palästinensischen Autonomiegebieten. Das liegt nicht am fehlenden Willen, sagt Derrar Ghanem. Sondern an der geringen Digitalisierung im Land.
"Online-Bezahlsysteme sind nicht verfügbar in Palästina, man kann sich mit seinem Bankkonto nicht bei PayPal anmelden. Davon sind wir stark betroffen. Aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen können wir praktisch keine Online-Investments sammeln. Unsere Firma ist nicht nur in Palästina, sondern auch in den Vereinigten Staaten registriert. Deshalb können wir Zahlungen aus dem Ausland erhalten."
Dass PayPal in den Palästinensergebieten nicht funktioniert, gilt in der Gründerszene als weiteres großes Hemmnis von Digitalisierung und Innovation im Westjordanland. Beobachter gehen davon aus, dass die Geschäftsführung des US-Bezahlsystems PayPal das Westjordanland als wenig lukrativen Markt sieht, in den es sich nicht lohnt, zu investieren. Davon hängen jedoch dem Ökonomen Omar Omran zufolge tausende neue Jobs ab. Und die Zukunft eines jungen Start-ups wie Build Palestine.
Die Gründerin Laila Akel von Red Crow hat es da leichter. Ihr Start-up ist nicht von Online-Bezahlsystemen wie PayPal abhängig. Sie hat eher Sorge, nicht genügend Personal finden und halten zu können. Zwar gebe es gute IT-Studiengänge an der Birzet University. Doch es sind einfach zu wenige Absolventen.
"Zu viele talentierte, gut ausgebildete Leute verlassen das Land, weil sie im Ausland besseres Geld verdienen. Als wir Red Crow gegründet haben, war es schwierig für uns, geeignetes Personal zu finden, zu Gehältern, die wir bezahlen können. Und es ist immer noch eine Herausforderung, die guten Leute zu halten."
Trotz aller Hindernisse blicken Laila Akel und Derrar Ghanem optimistisch in die Zukunft. Mit ihren Ideen wollen sie ihre Heimatstadt Ramallah verändern. Und sind auf dem besten Weg dorthin.