Neuanfang im "Café Rückenwind"
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Wie finden Strafgefangene nach der Haft zurück ins Leben? Ein Berliner Pfarrer lädt aktuelle und ehemalige Gefangene in seine Gemeinde ein. Im "Café Rückenwind"knüpfen sie Kontakte und bekommen Unterstützung für den Neuanfang.
Etwa 20 Leute sitzen an der Kaffeetafel im Gemeindehaus des Berliner katholischen Pfarramtes St. Rita. Die einen sind Haftentlassene und Gefangene der Haftanstalt Berlin-Tegel. Die anderen sind Menschen, die sich für das Leben der straffällig Gewordenen interessieren. "Café Rückenwind" nennt sich die Runde, die zweimal im Monat zusammenkommt. Einer, der lange in Tegel einsaß, berichtet an diesem Nachmittag von seinem Arbeitseinsatz in einem Landgasthof, den die Leute vom "Café Rückenwind" für ihn organisiert haben.
"Das war alles viel zu nett da!"
"Es hat sehr viel Spaß gemacht", erzählt der ehemalige Insasse. "Ich habe Zäune gestrichen. Die mussten wir von diesem alten Befall da befreien, alles abkratzen, also wie neu machen praktisch. Und ich hab viel zu viel Essen gekriegt. Das war alles viel zu nett da. Fand ich auf jeden Fall. Sag ich so, wie es ist."
Ein Mann aus der Runde wirft ein: "Dicker, ich sag dir mal eins. Die einzige negative Beschwerde, die gekommen ist, am Sonntagabend um halb neune, war gewesen: Matze, die kannst du hier nicht mehr herschicken, die arbeiten ja mehr als ich überhaupt ranschaffen kann!"
Matthias Scholze, genannt Matze, hat den Kontakt zum Betreiber des Landgasthofs hergestellt. Er freut sich, dass es für den ehemaligen Strafgefangenen dort so gut gelaufen ist. Er saß selbst in Tegel und weiß, wie schwer es ist, nach einem Haftaufenthalt wieder Fuß zu fassen.
Das weiß auch Gefängnispfarrer Stefan Friedrichowicz, der das "Café Rückenwind" ins Leben gerufen hat. Dass ehemalige Haftinsassen auf dem Landgasthof arbeiten können, zeigt ihm: "Es gibt Menschen, die sagen, was kannst du? und nicht: was hast du gemacht? - Wer bist du jetzt, und was kannst du? Und zeig es mal, ja!"
Eine solche Haltung ist nicht überall anzutreffen. Sie ist aber eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die einstigen Gefängnisinsassen nach der verbüßten Strafe ins normale Leben zurückfinden können. Einsätze wie die auf dem Landgasthof liegen ganz auf der Linie, die der Pfarrer für seine Arbeit als Gefängnisseelsorger gewählt hat.
"Es läuft alles über die Begegnung oder es läuft eben nicht", sagt Friedrichowicz. "Weil er mir nicht begegnet oder ich ihm nicht begegnen kann. Ja, das gibt’s auch. Der eine will immer bloß Kaffee haben, der andere will immer bloß Tabak haben, aber verändern will er nichts. Da sag ich irgendwann mal, du, wir sind hier irgendwie die falschen Partner. Ich bin kein Kiosk oder so. Aber wer Beziehung sucht, wer Begegnung sucht, da lässt sich was machen."
Begegnungen schaffen Verständnis
Genau solche Insassen und Haftentlassene finden zum "Café Rückenwind". Aus den Gesprächen hier ziehen sie Anregung und Kraft für das eigene Leben. Aber auch die Männer und Frauen, die hier mit ihnen zusammentreffen, werden durch diese Begegnungen verändert. Heike Salomon ist eine von ihnen.
"Ich komm ja aus einer total heilen Welt", sagt Salomon. "Finanziell sind wir abgesichert, Bildung hat stattgefunden, Haus und Hof ist alles wirklich gutbürgerlich. Und ich hab überhaupt keine Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. Und das ist für mich jetzt hier auch eine schöne Gelegenheit, mal zu gucken, was in der Gesellschaft noch üblich ist."
Wie die übrigen Frauen und Männer, die sich mit den Strafgefangenen treffen, ist Heike Salomon Mitglied einer Kirchengemeinde. Mit straffälligen Menschen hatte sie bislang nichts zu tun. Anders Dorothee Kozian, die schon länger als ehrenamtliche Vollzugshelferin aktiv ist. Für sie erfüllt das "Café Rückenwind" einen geradezu biblischen Auftrag.
"Vergesst die Gefangenen nicht! Das ist für mich eine Basis", erklärt Kozian. "Zum andern fühle ich mich so extrem herausgefordert, meinen eigenen Glauben auch wirklich immer wieder zu testen: Wie weit hält der eigentlich der Realität der Welt auch stand?"
Straftaten erschrecken auch die Täter
Was im Fall der Gefangenen nicht immer leicht ist. Denn so sehr ihr Schicksal Mitgefühl und Hilfsbereitschaft wecken kann, ihre Straftaten irritieren und erschrecken auch. Nicht nur die unbescholtenen Bürger, auch die Straftäter selbst. Pfarrer Friedrichowicz weiß, wie hart es für sie sein kann, sich dem Abgrund der eigenen Tat zu stellen.
"Wenn man dann ins Gespräch kommt und jemand es wirklich schafft, das raus zu packen, dann kann man ihn gar nicht allein lassen", sagt Friedrichowicz. "Dann muss man wahrscheinlich dabei sitzen bleiben, bis auch diese erste Erregung oder dieser Kontakt mit sich selbst, bis der sich wieder ein bisschen beruhigt hat. Ich glaube, solche Menschen könnten sich in dem Augenblick Dinge antun. Weil sie es nicht ertragen."
Umso wichtiger ist es, dass andere ihnen zur Seite stehen beim Umgang mit ihrer Vergangenheit und ihrer Schuld. Mit ihnen aushalten, was sie belastet. Das versuchen die Frauen und Männer im "Café Rückenwind". Und das spüren solche Leute wie der ehemalige Tegel-Insasse, der auf dem Landgasthof geholfen hat. Er hat hart an sich gearbeitet und kann nun sagen:
"Der Täter muss wissen: Was hat das Opfer gefühlt, wie hat sich das Opfer gefühlt? Wenn das in dem Menschen drin ist und der den Schmerz spürt, so empfinde ich das, dann kann er sagen, er hat was geschafft. Man muss über den Schatten springen, in den Spiegel gucken können und sagen: Mann Alter, was hast du gemacht?"
Begleitete Ausgänge mit dem Pfarrer
Wie schwer es für ihn war, so weit zu kommen, lässt sich nur ahnen. Umso mehr schätzt er die Offenheit im Café Rückenwind und kommt deshalb gern hierher. Ganz ähnlich geht es einem anderen, der noch auf seine Entlassung wartet. Er war schon mehrfach mit Pfarrer Friedrichowicz auf begleiteten Ausgängen. Und hat ihm auch bei der Eröffnung des "Café Rückenwind" geholfen.
"Der Pfarrer hat mich angesprochen, dass er so was aufbauen will und ob ich da nicht mal vorbeikommen will", erzählt der Gefangene, "und da hab ich gesagt, gerne! Der erste begleitete Ausgang mit dem Pfarrer war dann hierher. Da waren wir zum Gottesdienst, da waren ich und dann noch einer als Ministrant hier. Da wurde das groß eröffnet hier und da waren wir als Messdiener. Das war sehr schön."
Inzwischen ist das "Café Rückenwind" für den Mann zu einem wichtigen Anlaufpunkt geworden. Hier treffe er Menschen, "die ein offenes Herz haben", Frauen und Männer, die zuhören und ihm "von draußen" einen Halt geben, während er seine restliche Strafe absitzen muss. "Wenn man jetzt mal entlassen ist", sagt er, "kann man hierher, dann kann man Fuß fassen. Also der Pfarrer, der hilft dir weiter. Auch die Leute hier drin."