Statistiken sind interessengeleitet
In Zeiten der Schuldenkrise wird der Ruf nach einer Reichensteuer immer wieder laut. Andere halten dagegen, dass Besserverdienende schon genug Steuern zahlen. In dieser Debatte werden immer wieder Statistiken als Hilfe herangezogen - und das mit wenig Sachverstand, meint Klaus Peter Weinert.
Die kritische Auseinandersetzung mit Zahlen gehört nicht zur Lieblingsbeschäftigung aller Medien. Viele überlassen lieber anderen die Interpretation von Statistiken: Parteien, Lobbyisten oder auch Ökonomie-Professoren. So verwundert es nicht, dass einige Medien immer wieder dieselben, einseitigen Auslegungen wiedergeben.
Jüngstes Beispiel: die Diskussion um höhere Steuern für Reiche. Anlass: der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Wie so oft keimte das altbekannte, neoliberale Argument auf, dass ungefähr 20 Prozent der Einkommensbezieher jetzt schon 80 Prozent der Steuern zahlten. Daraus lässt sich leicht folgern, dass die reicheren Bürger so sehr belastet sind, dass sie nicht noch mehr Steuerbelastung ertragen können. Denn 80 Prozent ist ja gleich viermal so viel wie 20 Prozent.
Doch kann man mit Statistik bekanntlich lügen. Und eine beliebte Methode ist es, mit%en statt mit absoluten Zahlen zu argumentieren.
Wenn wir zum Beispiel 40 Einkommensbezieher à 25.000 Euro Jahresverdienst betrachten, ist das eine Gesamtsumme von einer Million Euro. Sie verdienen also genauso viel wie ein Millionär. Nehmen wir weiter an, dass diese 40 Steuerzahler ledig sind und keine Kinder haben und auch keine Steuervorteile beanspruchen, die sich besonders für Reiche anbieten. Dann würden sie alle zusammen 120.000 Euro Steuern zahlen – ein einzelner Millionär dagegen 450.000 Euro. Um diesen Millionär steuerlich aufzuwiegen, wären also nicht 40 normale Steuerzahler nötig, sondern gleich 150 von ihnen. Die Summe der Reichen zahlt also ganz einfach deswegen mehr Steuern, weil sie einfach mehr verdienen. Dies ist ein Sachverhalt, der in der Steuerdebatte gerne vergessen wird. Erstens.
Zweitens basiert die ideologisch gesteuerte Steuerdebatte in vielen Bereichen auf nicht verlässlichen oder sogar nicht vorhandenen Zahlen. So wird seit Jahren über die hohe Steuerbelastung der Unternehmen geklagt - von Managern, Lobbyisten, wirtschaftsliberalen Politikern; es gibt aber keine stichhaltige Steuerstatistik, die das belegen könnte. Wir kennen nur die absoluten Einnahmen der Einkommenssteuer, der Lohnsteuer, der Umsatzsteuer und so weiter. Welche Belastung aber tatsächlich dahinter stecken, ist der Öffentlichkeit unbekannt. Möglicherweise wissen die Lobby-Vereine und Industrie-Verbände mehr. Doch fragt man als Journalist nach, dann lautet häufig die Antwort, dass diese internen Statistiken nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Das dritte fragwürdige Argument lautet: Reichere Einkommensbezieher würden Arbeitsplätze schaffen, deshalb müsste ihre Steuerbelastung geringer sein. Doch auch das ist zweifelhaft. Denn wir wissen nicht, ob gesparte Steuern zum Beispiel durch die Steuerreform der Regierung Schröder wirklich in Arbeitsplätze oder doch eher in günstige Steueroasen geschafft wurden. Die Spannungen mit der Schweiz lassen vermuten, dass allzu häufig vor allem der Wunsch besteht, das Geldvermögen zu vermehren. In den vergangenen Jahren war das vor allem durch Finanzmarktspekulationen möglich, die dem deutschen Staat eine zusätzliche Schuldenlast von etwa 200 bis 300 Milliarden Euro aufbürdete.
All diese ungenauen Argumente müssten vom Tisch, wenn wir eine ehrliche Steuerdiskussion wollen. Und um die tatsächliche Steuerlast festzustellen, bräuchten wir andere, neue Statistiken. Diese müssten, einfach formuliert, die Einnahmen mit den Steuern verrechnen und diese ins Verhältnis setzen mit dem realen Einkommen. Wer nach Steuern fast 45.000 Euro übrig hat, und zwar Monat für Monat, wie in unserem Beispiel der Millionär, der ist wohl weniger belastet als jemand, der im Monat mit nur 1400 Euro auskommen muss, wie unser Geringverdiener.
Eines wird bei diesen Überlegungen klar: Wirklich zuverlässige Statistiken, die reale Steuerbelastungen wiedergeben, haben wir nicht. An ihre Stelle treten oft Interessen, Vernebelung oder sogar Unwissenheit – auch in den Medien. Wer aber wirklich eine sachliche Steuerdiskussion will, der sollte stets prüfen, ob Prozentzahlen oder absolute Zahlen die Steuerbelastung ehrlich wiedergeben. Der muss die Zahlen immer ins rechte Verhältnis setzen.
Sonst spiegeln sie nur politische Interessen wider, aber nicht die Wirklichkeit.
Klaus Peter Weinert, Wirtschafts- und Fachjournalist.Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.
Jüngstes Beispiel: die Diskussion um höhere Steuern für Reiche. Anlass: der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Wie so oft keimte das altbekannte, neoliberale Argument auf, dass ungefähr 20 Prozent der Einkommensbezieher jetzt schon 80 Prozent der Steuern zahlten. Daraus lässt sich leicht folgern, dass die reicheren Bürger so sehr belastet sind, dass sie nicht noch mehr Steuerbelastung ertragen können. Denn 80 Prozent ist ja gleich viermal so viel wie 20 Prozent.
Doch kann man mit Statistik bekanntlich lügen. Und eine beliebte Methode ist es, mit%en statt mit absoluten Zahlen zu argumentieren.
Wenn wir zum Beispiel 40 Einkommensbezieher à 25.000 Euro Jahresverdienst betrachten, ist das eine Gesamtsumme von einer Million Euro. Sie verdienen also genauso viel wie ein Millionär. Nehmen wir weiter an, dass diese 40 Steuerzahler ledig sind und keine Kinder haben und auch keine Steuervorteile beanspruchen, die sich besonders für Reiche anbieten. Dann würden sie alle zusammen 120.000 Euro Steuern zahlen – ein einzelner Millionär dagegen 450.000 Euro. Um diesen Millionär steuerlich aufzuwiegen, wären also nicht 40 normale Steuerzahler nötig, sondern gleich 150 von ihnen. Die Summe der Reichen zahlt also ganz einfach deswegen mehr Steuern, weil sie einfach mehr verdienen. Dies ist ein Sachverhalt, der in der Steuerdebatte gerne vergessen wird. Erstens.
Zweitens basiert die ideologisch gesteuerte Steuerdebatte in vielen Bereichen auf nicht verlässlichen oder sogar nicht vorhandenen Zahlen. So wird seit Jahren über die hohe Steuerbelastung der Unternehmen geklagt - von Managern, Lobbyisten, wirtschaftsliberalen Politikern; es gibt aber keine stichhaltige Steuerstatistik, die das belegen könnte. Wir kennen nur die absoluten Einnahmen der Einkommenssteuer, der Lohnsteuer, der Umsatzsteuer und so weiter. Welche Belastung aber tatsächlich dahinter stecken, ist der Öffentlichkeit unbekannt. Möglicherweise wissen die Lobby-Vereine und Industrie-Verbände mehr. Doch fragt man als Journalist nach, dann lautet häufig die Antwort, dass diese internen Statistiken nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Das dritte fragwürdige Argument lautet: Reichere Einkommensbezieher würden Arbeitsplätze schaffen, deshalb müsste ihre Steuerbelastung geringer sein. Doch auch das ist zweifelhaft. Denn wir wissen nicht, ob gesparte Steuern zum Beispiel durch die Steuerreform der Regierung Schröder wirklich in Arbeitsplätze oder doch eher in günstige Steueroasen geschafft wurden. Die Spannungen mit der Schweiz lassen vermuten, dass allzu häufig vor allem der Wunsch besteht, das Geldvermögen zu vermehren. In den vergangenen Jahren war das vor allem durch Finanzmarktspekulationen möglich, die dem deutschen Staat eine zusätzliche Schuldenlast von etwa 200 bis 300 Milliarden Euro aufbürdete.
All diese ungenauen Argumente müssten vom Tisch, wenn wir eine ehrliche Steuerdiskussion wollen. Und um die tatsächliche Steuerlast festzustellen, bräuchten wir andere, neue Statistiken. Diese müssten, einfach formuliert, die Einnahmen mit den Steuern verrechnen und diese ins Verhältnis setzen mit dem realen Einkommen. Wer nach Steuern fast 45.000 Euro übrig hat, und zwar Monat für Monat, wie in unserem Beispiel der Millionär, der ist wohl weniger belastet als jemand, der im Monat mit nur 1400 Euro auskommen muss, wie unser Geringverdiener.
Eines wird bei diesen Überlegungen klar: Wirklich zuverlässige Statistiken, die reale Steuerbelastungen wiedergeben, haben wir nicht. An ihre Stelle treten oft Interessen, Vernebelung oder sogar Unwissenheit – auch in den Medien. Wer aber wirklich eine sachliche Steuerdiskussion will, der sollte stets prüfen, ob Prozentzahlen oder absolute Zahlen die Steuerbelastung ehrlich wiedergeben. Der muss die Zahlen immer ins rechte Verhältnis setzen.
Sonst spiegeln sie nur politische Interessen wider, aber nicht die Wirklichkeit.
Klaus Peter Weinert, Wirtschafts- und Fachjournalist.Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.