Statt Höhenflug Sparkurs im Cybertal
Kaum eine Erfindung der modernen Zeitgeschichte hat das Leben der Menschen so sehr beeinflusst, wie das Internet, sei es auf sozialer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Ebene. Heute feiert es Geburtstag: Am 29. Oktober 1969 übermittelte Leonard Kleinrock die erste Kurz-Nachricht im Cyberspace und legte damit die Grundlage für das World Wide Web.
40 Jahre später halten sich bei den High-Tech-Pionieren in Kalifornien die Feiern allerdings in Grenzen. Bei der Cyber-Generation ist Sparen angesagt. Aber der Traum vom nächsten Aufbruch bleibt.
Bis heute hört Leonard Kleinberg in seinem Büro an der UCLA University in Los Angeles gerne Radio. Schon als Junge hat er Rundfunk-Empfänger gebastelt, die die weite Welt in sein kleines Wohnzimmer brachten. Aus dieser Faszination entstand sein akademischer Quantensprung: Am 29. Oktober 1969 gelang es ihm, die erste Kurz-Nachricht im Cyberspace zu übermitteln. Für den 74-jährigen Professor ist es, als sei alles erst gestern gewesen.
Leonard Kleinrock: "Wir waren telefonisch mit einem Kollegen vom Stanford Research Institute verbunden und jedes Mal, wenn ich einen Buchstaben losgeschickte, fragte ich ihn, ob etwas angekommen sei. Eigentlich wollte ich ihm das Wort ‚log’ zukommen zu lassen. Das L funktionierte reibungslos, das O auch aber dann – bang! - ein Computercrash! Die erste Nachricht, die je per Internet versendet wurde, lautet somit ‚LO’, ganz so wie ‚Lo and behold’. Das ist eine amerikanische Redensart, die bedeutet: ‚Siehe an, wer hätte das gedacht!’."
Der IMP-Router, mit dem die erste Online-Übertragung gelang, ist immer noch in Kleinrocks Büro zu bestaunen. Das Teil ist klobig wie ein Kühlschrank und war doch nicht leistungsfähiger als eine Kaffeemaschine. Vom Arpanet, wie der Vorläufer des Internets genannt wurde, zur digitalen Weltrevolution: Aus dem World Wide Web ist eine Parallelwelt für sich geworden. Selbst Leonard Kleinrock hätte nie gedacht, dass das Internet je einen so prominenten Stellenwert erreichen würde. Und dabei, sagt er, sei alles erst der Anfang.:
Leonard Kleinrock: ""Die meisten Leute denken immer noch, dass die virtuelle Welt sich hinter den Bildschirmen ihres Computers befindet. Tatsächlich arbeiten wir aber schon daran, sie aus diesem Käfig zu befreien. Es wird sogenannte "smart spaces" geben, die den Cyberspace in unsere physische Umgebung integrieren: Eines Tages wird es möglich sein, in diesen Raum zu kommen und einfach ins Leere hinein zu fragen: Wo ist die und die Person? Wo finde ich einen Drucker?"
Ein von Ausfallstraßen durchzogenes Tal, fünf Autostunden weiter nördlich: Los Angeles mag die Geburtswiege des Internets sein, aber erst hier, im Silicon Valley, wurde es zur Gelddruckmaschine. Doch auch im Mekka der High-Tech Industrie hinterlässt die Wirtschaftskrise tiefe Spuren. Der Volkswirt Steven Levy sagt: Ohne die Konjunkturhilfen aus dem fernen Washington wären wir alle am Ende.
Steven Levy: "”Die Leute kaufen - außer iPhones - kaum neue Technologien mehr. Die Exporte, die 50 Prozent unserer Wirtschaft ausmachen, liegen danieder. Abgefedert wird die Misere nur durch Obamas Stimuli: Der Präsident hat im Rahmen eines Zehn-Jahres-Planes Milliarden von Dollar für technologische Innovationen bereitgestellt. Das wird dem Silicon Valley gut tun, aber so etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir stecken in einer miserablen Rezession.""
Steven Levy ist ein Mann, der immer mindestens zwei Sachen gleichzeitig macht. Der Volkswirt sitzt in seinem Büro in Palo Alto, das eine Ohr am Telefon, mit dem anderen verfolgt er den Webcast einer Parlamentsdebatte. Kalifornien ist die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dank der überdurchschnittlich hohen Steuereinnahmen aus dem Silicon Valley konnte es sich der Bundesstaat lange leisten, über seine Verhältnisse zu leben. Das räche sich jetzt, meint Levy.
Steven Levy: "Nur sieben Prozent der Einwohner Kaliforniens leben im Silicon Valley, aber wir haben mehr Gewicht als andere. Wenn es uns schlecht geht, dann bekommt der Staat erheblich weniger Geld. Unsere Politiker haben jahrelang Schulden angehäuft, weil sie glaubten, dass sich das mit dem nächsten Boom schon wieder ausgleichen würde. Als die Rezession begann, hatten wir ein Defizit von zehn Milliarden Dollar! Entsprechend schwer sind jetzt die Einschnitte: Der Staat hat unter anderem sehr viel Geld bei Bildungs- und Sozialprogrammen abgezogen."
Vom Vorzeige-Standort zum Sorgenkind: Die Arbeitslosenrate im Silicon Valley liegt mit zwölf Prozent sogar über dem Landesdurchschnitt. Bei der staatlichen Arbeitsbehörde ProMatch werden aus der Statistik Gesichter. An die 200 Menschen haben sich an diesem Morgen eingefunden, um sich über ihr Schicksal auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Workshop-Leiter Bob Withers würde gerne noch mehr Arbeitssuchenden helfen, doch die Warteliste ist lang.
Bob Withers: "”Wenn du Glück hast, findest du innerhalb von vier bis sechs Monaten einen neuen Job, aber selbst das ist keine Garantie. Diese Krise ist ohnegleichen. Vor allem in der Computerindustrie waren die Leute verwöhnt, es gab immer irgendwo einen Job, auch wenn der nur befristet war. Jetzt hat nur noch derjenige eine Chance, der sich vermarkten kann. Das wichtigste überhaupt ist: Kontakte, Kontakte und noch einmal Kontakte.""
Ein bisschen geht es bei ProMatch zu wie bei einer Selbsthilfegruppe: Der Reihe nach erzählen die Arbeitssuchenden ihre Geschichte und ernten dafür ermutigenden Beifall von ihren Schicksalsgenossen. Auch für Jens Rolke, der immerhin 16 Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, wird der Traum von einer Cyberkarriere in Kalifornien mehr und mehr zum Alptraum. Der IT-Fachmann ist vor anderthalb Jahren aus Hannover ins Silicon Valley übergesiedelt - der Ehefrau wegen.
Jens Rolke: "Wenn man am Anfang hier rüberkommt, dann denkt man: Okay, man setzt sich jetzt vor den Computer und bewirbt sich. Aber nach zwei, drei Monaten bekommt man immer noch keine Antwort und dann fragt man sich: Woran liegt’s? Ich habe dann mitbekommen, dass man hier nur über Kontakte an einen Job kommt, weil ja so viele Leute entlassen worden sind, da hat man natürlich große Konkurrenz."
Auch in San Francisco im Norden des Silicon Valley hat die Stimmung den Nullpunkt erreicht. Einst war die Gegend pulsierender Sammelpunkt für kreative Internetköpfe. Der Risikogeldgeber David Blumberg hat alles mitgemacht.
Die guten Zeiten, als die Investoren noch bereit waren, in jede Firmenidee zu investieren. Und die schlechten Zeiten wie heute, wo alle auf der Suche sind nach dem nächsten Hoffnungsträger. Seit Barack Obama Präsident ist, setzen viele auf alternative Energien. Doch das findet Blumberg gefährlich.
David Blumberg: "Wir investieren nicht in Öko, weil das so abhängig ist von staatlichen Zuschüssen. Wir investieren in Ideen, die an sich wirtschaftlich Sinn machen. Ich sehe vor allem Wachstumsperspektiven bei den sogenannten virtuellen Gütern: Bei Spielen wie Second Life etwa kaufen die Internetuser virtuelle Häuser, in denen sie gar nicht wohnen. Das ist ein Milliardengeschäft und sagt viel über unsere Gesellschaft aus: Wenn wir für etwas zahlen, dass es eigentlich nicht gibt, dann kann es uns gar nicht so schlecht gehen!"
Und doch bläst den Risikogesellschaften eiskalter Wind ins Gesicht. Die Beraterfirma Price Waterhouse Coopers hat den Abgang in Zahlen festgehalten. Obwohl die Aktienkurse wieder steigen, wurden im zweiten Quartal gerade mal 2,8 Milliarden Dollar an Risikokapital zur Verfügung gestellt - fünfmal weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Auch David Blumberg, der seit langem Startkapital für Unternehmer bereitstellt, ist mit seinen Investitionen viel vorsichtiger geworden.
David Blumberg: "”Problematisch ist, dass es so gut wie keine Börsengänge mehr gibt. Wir verdienen nur noch, wenn sie von einem Großkonzern wie Cisco, Oracle oder Microsoft aufgekauft werden. Wir werden dieses Jahr wahrscheinlich in sechs Startups investieren, das ist nicht schlecht, aber wir geben ihnen erheblich weniger Geld: Vor zehn Jahren bekam eine junge Firma leicht 10 Millionen Dollar Startkapital, heute allenfalls zwischen 500.000 und 2 Millionen.""
Sparkurs für die einst so verwöhnten Cybergeneration im Silicon Valley: Kreativität und Gründergeist, die Triebfedern des amerikanischen Netz-Wunders, leben trotzdem weiter. Bei Plug and Play zum Beispiel: Für 500 Dollar im Monat können sich Jungunternehmer hier einen Arbeitsplatz mieten. Jahanzeb Sherwani ist durch Zufall zum Internetpionier geworden. Der 23-jährige Programmierer war auf Recherche für seine Doktorarbeit in Pakistan und brauchte Zugang zu den Daten auf seinem Heimcomputer. Daraus entstand die iPhone Anwendung Yaadu VNC.
Jahanzeb Sherwani: "Mit diesem Programm kannst du deinen Computer von deinem iPhone aus kontrollieren, egal wo auf der Welt du dich auch befinden magst: du kannst deinen Bildschirm abrufen, die Maus darüber bewegen, Daten eingeben. Die Anwendung kannst du bequem auf iTunes herunterladen, sie kostet 25 Dollar. Ich habe alles aus eigenen Mitteln aufgebaut und auch nie Geld für Marketing ausgegeben. Das Produkt war einfach gut und kam an: ich kann es mir jetzt sogar leisten, einen ersten Mitarbeiter einzustellen!"
Nicht nur Jungunternehmer, sondern auch geschasste Führungskräfte bauen sich bei Plug and Play eine neue, berufliche Existenz auf. Einmal in der Woche treffen die Manager sich in der Kantine zum Brainstorming. Amit Seth gehörte noch vor einem halben Jahr zum Topmanagement bei Yahoo. Heute berät er vielversprechende junge Firmen bei Plug and Play.
Amit Seth: "Jede Führungskraft verpflichtet sich, mindestens 5 Startups in der Woche zu treffen. Wenn mir eine Idee gefällt, dann biete ich meine Beraterdienste an. Im Gegenzug dafür bekomme ich Anteile an der Firma. Die Pioniere hier sind brillant und sie haben große Visionen. Aber sie können nur überleben, wenn sie an Kapital kommen. Ich verschaffe ihnen die nötigen Kontakte."
Erfahrung trifft Innovation - das Modell funktioniert: Die jungen Firmen bei Plug and Play gelten als Trendschmiede. Seit 2006 haben sie insgesamt 700 Millionen Startkapital an Land gezogen. Saeed Amidi ist der Kopf und Gründer der Gruppe. Die Krise macht dem 49-Jährigen keine Sorge, im Gegenteil: 2010 will er international expandieren. China, Indien und Deutschland sind seine Steckenpferde.
Saeed Amidi: "Wir haben den Vorteil, dass wir ausländischen Unternehmen mehr Nähe zum Silicon Valley geben können. Die Idee von Plug and Play ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wir unterstützen die Firmen bis hin zu dem Zeitpunkt, wo sie 20 bis 30 Millionen Kapital aufgebracht haben. An den Mieteinkünften verdiene ich kaum etwas, ich setze auf die Ideen meiner Mieter: Ich habe mich finanziell schon an 16 Startups beteiligt, jetzt die beste Zeit ist dafür!"
Amidi weiß, wovon er spricht, denn so mancher Konzern, der heute Internetgeschichte schreibt, hat ganz klein als Mieter bei ihm angefangen. Das Online-Zahlungssystem PayPal zum Beispiel. Der in Frankfurt geborene Peter Thiel hat die Firma gegründet und erfolgreich an die Börse gebracht. Heute zählt er zu den 400 reichsten Amerikanern. Kaum einer hat so einen guten Riecher für die neuesten Trends im Silicon Valley. Krise hin, Rezession her: Thiel hat vollstes Vertrauen, dass die Geburtswiege des Internets auch weiterhin Maßstäbe setzen wird.
Peter Thiel: "Die nächste Welle im High-Tech-Bereich wird allerdings etwas was ganz anderes sein, als das, womit die Leute im Moment Geld zu verdienen versuchen. Die Firmen konzentrieren sich meiner Ansicht nach zu sehr auf die Entwicklungen neuer Anwendung für Online-Konsum und Mobilfunk. Ich mag, was ich die Technologie der Fünfziger- und Sechzigerjahre nenne: Weltraum, Roboter – keiner schaut mehr auf diese Segmente. Auch im Bereich Biotech sehe ich Potential, denn die Entwicklungen dort hinken der Computerrevolution hinterher."
Thiel ist ein Weltbürger, der am liebsten in der Sprache seiner Eltern scherzt. Globalität, so lautet auch sein Geschäftsmotto. Er besitzt unter anderem sieben Prozent der Anteile an dem sozialen Netzwerk Facebook. Keine Webseite wächst schneller, keine hat ein so ungewöhnlicheres Krisenmanagement. Facebook zählt mittlerweile 160 Millionen User. Statt sich damit zufrieden zu geben, setzt das Management jedoch auf Expansion. Alle Einnahmen, die derzeit mit Werbung verdient werden, fließen ebenso zurück in die Ausweitung der Kundenbasis. Ebenso die Mittel, die Investoren wie Thiel bereitgestellt haben.
Peter Thiel: "Facebook überzeugt durch eine langfristige Geschäftsstrategie, das gefällt mir, denn die meisten Unternehmen erreichen ihren größten Wert tatsächlich erst nach 10 oder 20 Jahren! Wie gewinnbringend Facebook letztlich sein wird – wer weiß. Aber damit kann ich leben, denn es gibt keine hohen Renditen ohne Risiko. Es war der große Fehler der vergangen Jahre, dass zu viele Leute geglaubt haben, dass acht bis zehn Prozent Gewinn im Jahr einfach drin sein müssen. Und jetzt schäumen sie vor Wut, weil das nicht geklappt hat."
Dass es irgendwann wieder bergauf gehen wird, daran scheint man auch an der Stanford University nicht zu zweifeln. Die Eliteuni in Palo Alto bereitet schon den nächsten Boom vor: Überall schießen neuen Hörsäle aus dem Boden. Viele Größen der High-Tech Industrie haben in Stanford studiert, unter anderem: Jerry Yang, der Gründer von Yahoo und Steve Ballmer, der Chef von Microsoft. Professor William Miller hat beide gekannt. Das Silicon Valley, sagt er, überzeuge vor allem durch Multikulti – nahezu jede dritte High-Tech-Firma wurde von Indern oder Chinesen aufgebaut.
William Miller: "Diese Unternehmer aus Übersee fungieren als Bindeglied zu ihren Herkunftsländern, dadurch eröffnen sich Märkte für uns! Ja, manche haben nun Angst davor, dass die ausländischen Toptalente wegen der Rezession hier gleich nach dem Studium zurück nach Hause gehen könnten. Aber ich glaube da nicht dran, denn die Voraussetzungen hier kann man nicht so leicht kopieren. Das Silicon Valley ist schon seit mehr als 100 Jahre eine Keimzelle für Innovationen: Hier sind die ersten Funkstationen entstanden!"
Dann schaut Miller auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo Flaggen mehrerer Länder gehisst sind. Der Professor hat wenig Verständnis für den europäischen Sparkurs in Krisenzeiten. Er baut trotz seiner 84 Jahre gerade seine 30. Startup-Firma auf.
Bis heute hört Leonard Kleinberg in seinem Büro an der UCLA University in Los Angeles gerne Radio. Schon als Junge hat er Rundfunk-Empfänger gebastelt, die die weite Welt in sein kleines Wohnzimmer brachten. Aus dieser Faszination entstand sein akademischer Quantensprung: Am 29. Oktober 1969 gelang es ihm, die erste Kurz-Nachricht im Cyberspace zu übermitteln. Für den 74-jährigen Professor ist es, als sei alles erst gestern gewesen.
Leonard Kleinrock: "Wir waren telefonisch mit einem Kollegen vom Stanford Research Institute verbunden und jedes Mal, wenn ich einen Buchstaben losgeschickte, fragte ich ihn, ob etwas angekommen sei. Eigentlich wollte ich ihm das Wort ‚log’ zukommen zu lassen. Das L funktionierte reibungslos, das O auch aber dann – bang! - ein Computercrash! Die erste Nachricht, die je per Internet versendet wurde, lautet somit ‚LO’, ganz so wie ‚Lo and behold’. Das ist eine amerikanische Redensart, die bedeutet: ‚Siehe an, wer hätte das gedacht!’."
Der IMP-Router, mit dem die erste Online-Übertragung gelang, ist immer noch in Kleinrocks Büro zu bestaunen. Das Teil ist klobig wie ein Kühlschrank und war doch nicht leistungsfähiger als eine Kaffeemaschine. Vom Arpanet, wie der Vorläufer des Internets genannt wurde, zur digitalen Weltrevolution: Aus dem World Wide Web ist eine Parallelwelt für sich geworden. Selbst Leonard Kleinrock hätte nie gedacht, dass das Internet je einen so prominenten Stellenwert erreichen würde. Und dabei, sagt er, sei alles erst der Anfang.:
Leonard Kleinrock: ""Die meisten Leute denken immer noch, dass die virtuelle Welt sich hinter den Bildschirmen ihres Computers befindet. Tatsächlich arbeiten wir aber schon daran, sie aus diesem Käfig zu befreien. Es wird sogenannte "smart spaces" geben, die den Cyberspace in unsere physische Umgebung integrieren: Eines Tages wird es möglich sein, in diesen Raum zu kommen und einfach ins Leere hinein zu fragen: Wo ist die und die Person? Wo finde ich einen Drucker?"
Ein von Ausfallstraßen durchzogenes Tal, fünf Autostunden weiter nördlich: Los Angeles mag die Geburtswiege des Internets sein, aber erst hier, im Silicon Valley, wurde es zur Gelddruckmaschine. Doch auch im Mekka der High-Tech Industrie hinterlässt die Wirtschaftskrise tiefe Spuren. Der Volkswirt Steven Levy sagt: Ohne die Konjunkturhilfen aus dem fernen Washington wären wir alle am Ende.
Steven Levy: "”Die Leute kaufen - außer iPhones - kaum neue Technologien mehr. Die Exporte, die 50 Prozent unserer Wirtschaft ausmachen, liegen danieder. Abgefedert wird die Misere nur durch Obamas Stimuli: Der Präsident hat im Rahmen eines Zehn-Jahres-Planes Milliarden von Dollar für technologische Innovationen bereitgestellt. Das wird dem Silicon Valley gut tun, aber so etwas geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wir stecken in einer miserablen Rezession.""
Steven Levy ist ein Mann, der immer mindestens zwei Sachen gleichzeitig macht. Der Volkswirt sitzt in seinem Büro in Palo Alto, das eine Ohr am Telefon, mit dem anderen verfolgt er den Webcast einer Parlamentsdebatte. Kalifornien ist die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dank der überdurchschnittlich hohen Steuereinnahmen aus dem Silicon Valley konnte es sich der Bundesstaat lange leisten, über seine Verhältnisse zu leben. Das räche sich jetzt, meint Levy.
Steven Levy: "Nur sieben Prozent der Einwohner Kaliforniens leben im Silicon Valley, aber wir haben mehr Gewicht als andere. Wenn es uns schlecht geht, dann bekommt der Staat erheblich weniger Geld. Unsere Politiker haben jahrelang Schulden angehäuft, weil sie glaubten, dass sich das mit dem nächsten Boom schon wieder ausgleichen würde. Als die Rezession begann, hatten wir ein Defizit von zehn Milliarden Dollar! Entsprechend schwer sind jetzt die Einschnitte: Der Staat hat unter anderem sehr viel Geld bei Bildungs- und Sozialprogrammen abgezogen."
Vom Vorzeige-Standort zum Sorgenkind: Die Arbeitslosenrate im Silicon Valley liegt mit zwölf Prozent sogar über dem Landesdurchschnitt. Bei der staatlichen Arbeitsbehörde ProMatch werden aus der Statistik Gesichter. An die 200 Menschen haben sich an diesem Morgen eingefunden, um sich über ihr Schicksal auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Workshop-Leiter Bob Withers würde gerne noch mehr Arbeitssuchenden helfen, doch die Warteliste ist lang.
Bob Withers: "”Wenn du Glück hast, findest du innerhalb von vier bis sechs Monaten einen neuen Job, aber selbst das ist keine Garantie. Diese Krise ist ohnegleichen. Vor allem in der Computerindustrie waren die Leute verwöhnt, es gab immer irgendwo einen Job, auch wenn der nur befristet war. Jetzt hat nur noch derjenige eine Chance, der sich vermarkten kann. Das wichtigste überhaupt ist: Kontakte, Kontakte und noch einmal Kontakte.""
Ein bisschen geht es bei ProMatch zu wie bei einer Selbsthilfegruppe: Der Reihe nach erzählen die Arbeitssuchenden ihre Geschichte und ernten dafür ermutigenden Beifall von ihren Schicksalsgenossen. Auch für Jens Rolke, der immerhin 16 Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, wird der Traum von einer Cyberkarriere in Kalifornien mehr und mehr zum Alptraum. Der IT-Fachmann ist vor anderthalb Jahren aus Hannover ins Silicon Valley übergesiedelt - der Ehefrau wegen.
Jens Rolke: "Wenn man am Anfang hier rüberkommt, dann denkt man: Okay, man setzt sich jetzt vor den Computer und bewirbt sich. Aber nach zwei, drei Monaten bekommt man immer noch keine Antwort und dann fragt man sich: Woran liegt’s? Ich habe dann mitbekommen, dass man hier nur über Kontakte an einen Job kommt, weil ja so viele Leute entlassen worden sind, da hat man natürlich große Konkurrenz."
Auch in San Francisco im Norden des Silicon Valley hat die Stimmung den Nullpunkt erreicht. Einst war die Gegend pulsierender Sammelpunkt für kreative Internetköpfe. Der Risikogeldgeber David Blumberg hat alles mitgemacht.
Die guten Zeiten, als die Investoren noch bereit waren, in jede Firmenidee zu investieren. Und die schlechten Zeiten wie heute, wo alle auf der Suche sind nach dem nächsten Hoffnungsträger. Seit Barack Obama Präsident ist, setzen viele auf alternative Energien. Doch das findet Blumberg gefährlich.
David Blumberg: "Wir investieren nicht in Öko, weil das so abhängig ist von staatlichen Zuschüssen. Wir investieren in Ideen, die an sich wirtschaftlich Sinn machen. Ich sehe vor allem Wachstumsperspektiven bei den sogenannten virtuellen Gütern: Bei Spielen wie Second Life etwa kaufen die Internetuser virtuelle Häuser, in denen sie gar nicht wohnen. Das ist ein Milliardengeschäft und sagt viel über unsere Gesellschaft aus: Wenn wir für etwas zahlen, dass es eigentlich nicht gibt, dann kann es uns gar nicht so schlecht gehen!"
Und doch bläst den Risikogesellschaften eiskalter Wind ins Gesicht. Die Beraterfirma Price Waterhouse Coopers hat den Abgang in Zahlen festgehalten. Obwohl die Aktienkurse wieder steigen, wurden im zweiten Quartal gerade mal 2,8 Milliarden Dollar an Risikokapital zur Verfügung gestellt - fünfmal weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Auch David Blumberg, der seit langem Startkapital für Unternehmer bereitstellt, ist mit seinen Investitionen viel vorsichtiger geworden.
David Blumberg: "”Problematisch ist, dass es so gut wie keine Börsengänge mehr gibt. Wir verdienen nur noch, wenn sie von einem Großkonzern wie Cisco, Oracle oder Microsoft aufgekauft werden. Wir werden dieses Jahr wahrscheinlich in sechs Startups investieren, das ist nicht schlecht, aber wir geben ihnen erheblich weniger Geld: Vor zehn Jahren bekam eine junge Firma leicht 10 Millionen Dollar Startkapital, heute allenfalls zwischen 500.000 und 2 Millionen.""
Sparkurs für die einst so verwöhnten Cybergeneration im Silicon Valley: Kreativität und Gründergeist, die Triebfedern des amerikanischen Netz-Wunders, leben trotzdem weiter. Bei Plug and Play zum Beispiel: Für 500 Dollar im Monat können sich Jungunternehmer hier einen Arbeitsplatz mieten. Jahanzeb Sherwani ist durch Zufall zum Internetpionier geworden. Der 23-jährige Programmierer war auf Recherche für seine Doktorarbeit in Pakistan und brauchte Zugang zu den Daten auf seinem Heimcomputer. Daraus entstand die iPhone Anwendung Yaadu VNC.
Jahanzeb Sherwani: "Mit diesem Programm kannst du deinen Computer von deinem iPhone aus kontrollieren, egal wo auf der Welt du dich auch befinden magst: du kannst deinen Bildschirm abrufen, die Maus darüber bewegen, Daten eingeben. Die Anwendung kannst du bequem auf iTunes herunterladen, sie kostet 25 Dollar. Ich habe alles aus eigenen Mitteln aufgebaut und auch nie Geld für Marketing ausgegeben. Das Produkt war einfach gut und kam an: ich kann es mir jetzt sogar leisten, einen ersten Mitarbeiter einzustellen!"
Nicht nur Jungunternehmer, sondern auch geschasste Führungskräfte bauen sich bei Plug and Play eine neue, berufliche Existenz auf. Einmal in der Woche treffen die Manager sich in der Kantine zum Brainstorming. Amit Seth gehörte noch vor einem halben Jahr zum Topmanagement bei Yahoo. Heute berät er vielversprechende junge Firmen bei Plug and Play.
Amit Seth: "Jede Führungskraft verpflichtet sich, mindestens 5 Startups in der Woche zu treffen. Wenn mir eine Idee gefällt, dann biete ich meine Beraterdienste an. Im Gegenzug dafür bekomme ich Anteile an der Firma. Die Pioniere hier sind brillant und sie haben große Visionen. Aber sie können nur überleben, wenn sie an Kapital kommen. Ich verschaffe ihnen die nötigen Kontakte."
Erfahrung trifft Innovation - das Modell funktioniert: Die jungen Firmen bei Plug and Play gelten als Trendschmiede. Seit 2006 haben sie insgesamt 700 Millionen Startkapital an Land gezogen. Saeed Amidi ist der Kopf und Gründer der Gruppe. Die Krise macht dem 49-Jährigen keine Sorge, im Gegenteil: 2010 will er international expandieren. China, Indien und Deutschland sind seine Steckenpferde.
Saeed Amidi: "Wir haben den Vorteil, dass wir ausländischen Unternehmen mehr Nähe zum Silicon Valley geben können. Die Idee von Plug and Play ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Wir unterstützen die Firmen bis hin zu dem Zeitpunkt, wo sie 20 bis 30 Millionen Kapital aufgebracht haben. An den Mieteinkünften verdiene ich kaum etwas, ich setze auf die Ideen meiner Mieter: Ich habe mich finanziell schon an 16 Startups beteiligt, jetzt die beste Zeit ist dafür!"
Amidi weiß, wovon er spricht, denn so mancher Konzern, der heute Internetgeschichte schreibt, hat ganz klein als Mieter bei ihm angefangen. Das Online-Zahlungssystem PayPal zum Beispiel. Der in Frankfurt geborene Peter Thiel hat die Firma gegründet und erfolgreich an die Börse gebracht. Heute zählt er zu den 400 reichsten Amerikanern. Kaum einer hat so einen guten Riecher für die neuesten Trends im Silicon Valley. Krise hin, Rezession her: Thiel hat vollstes Vertrauen, dass die Geburtswiege des Internets auch weiterhin Maßstäbe setzen wird.
Peter Thiel: "Die nächste Welle im High-Tech-Bereich wird allerdings etwas was ganz anderes sein, als das, womit die Leute im Moment Geld zu verdienen versuchen. Die Firmen konzentrieren sich meiner Ansicht nach zu sehr auf die Entwicklungen neuer Anwendung für Online-Konsum und Mobilfunk. Ich mag, was ich die Technologie der Fünfziger- und Sechzigerjahre nenne: Weltraum, Roboter – keiner schaut mehr auf diese Segmente. Auch im Bereich Biotech sehe ich Potential, denn die Entwicklungen dort hinken der Computerrevolution hinterher."
Thiel ist ein Weltbürger, der am liebsten in der Sprache seiner Eltern scherzt. Globalität, so lautet auch sein Geschäftsmotto. Er besitzt unter anderem sieben Prozent der Anteile an dem sozialen Netzwerk Facebook. Keine Webseite wächst schneller, keine hat ein so ungewöhnlicheres Krisenmanagement. Facebook zählt mittlerweile 160 Millionen User. Statt sich damit zufrieden zu geben, setzt das Management jedoch auf Expansion. Alle Einnahmen, die derzeit mit Werbung verdient werden, fließen ebenso zurück in die Ausweitung der Kundenbasis. Ebenso die Mittel, die Investoren wie Thiel bereitgestellt haben.
Peter Thiel: "Facebook überzeugt durch eine langfristige Geschäftsstrategie, das gefällt mir, denn die meisten Unternehmen erreichen ihren größten Wert tatsächlich erst nach 10 oder 20 Jahren! Wie gewinnbringend Facebook letztlich sein wird – wer weiß. Aber damit kann ich leben, denn es gibt keine hohen Renditen ohne Risiko. Es war der große Fehler der vergangen Jahre, dass zu viele Leute geglaubt haben, dass acht bis zehn Prozent Gewinn im Jahr einfach drin sein müssen. Und jetzt schäumen sie vor Wut, weil das nicht geklappt hat."
Dass es irgendwann wieder bergauf gehen wird, daran scheint man auch an der Stanford University nicht zu zweifeln. Die Eliteuni in Palo Alto bereitet schon den nächsten Boom vor: Überall schießen neuen Hörsäle aus dem Boden. Viele Größen der High-Tech Industrie haben in Stanford studiert, unter anderem: Jerry Yang, der Gründer von Yahoo und Steve Ballmer, der Chef von Microsoft. Professor William Miller hat beide gekannt. Das Silicon Valley, sagt er, überzeuge vor allem durch Multikulti – nahezu jede dritte High-Tech-Firma wurde von Indern oder Chinesen aufgebaut.
William Miller: "Diese Unternehmer aus Übersee fungieren als Bindeglied zu ihren Herkunftsländern, dadurch eröffnen sich Märkte für uns! Ja, manche haben nun Angst davor, dass die ausländischen Toptalente wegen der Rezession hier gleich nach dem Studium zurück nach Hause gehen könnten. Aber ich glaube da nicht dran, denn die Voraussetzungen hier kann man nicht so leicht kopieren. Das Silicon Valley ist schon seit mehr als 100 Jahre eine Keimzelle für Innovationen: Hier sind die ersten Funkstationen entstanden!"
Dann schaut Miller auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo Flaggen mehrerer Länder gehisst sind. Der Professor hat wenig Verständnis für den europäischen Sparkurs in Krisenzeiten. Er baut trotz seiner 84 Jahre gerade seine 30. Startup-Firma auf.