Statussymbole

Luxus als Aufbegehren gegen die Vernunft

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Was ist der Sinn von Luxus? Vernünftig ist er jedenfalls nicht. © picture alliance / dpa / Florian Schuh
Von Torsten Jantschek |
Glaubt man dem Philosophen Lambert Wiesing, ist Luxus nicht einfach nur Besitz zum Zwecke des Prestigegewinns. Luxus ist für ihn vor allem eine ästhetische Erfahrung. Und eine Möglichkeit, gegen eine zweckrationale Welt durch Übertreibung aufzubegehren.
Was es heißt, ein Luxusproblem zu haben, weiß man spätestens, wenn man in diesen Tagen, in denen Tausende Menschen hierzulande ankommen, die alles aufgegeben haben, ein Buch liest, das versucht, die Erfahrung zu beschreiben, die wir mit Phänomenen des Luxus machen können.
Luxus, da erscheint ja zunächst einmal ein prall gefüllter Warenkorb vor dem inneren Auge: sündhaft teure Uhren, edelste Weine, schnelle, seltene Autos oder monströse Jachten. Und es entsteht beinahe instinktiv ein Abwehrmechanismus, der im besten Falle in der ethischen Überzeugung gründet, dass man all dies für ein glückliches, gelingendes Leben nicht braucht.
Ein luxuriöser Lebenswandel wird vor diesem Hintergrund zu einem Dekadenzphänomen für Snobs. Oder er wird aus sozialen Gerechtigkeitsgründen verteufelt. Oder er ist schlicht Gegenstand des Neids.
Es gibt zahlreiche Gründe, theoretisch einen Bogen um dieses Phänomen zu machen, auch philosophische: Für Jean Jacques Rousseau etwa waren Luxus und schlechter Geschmack unweigerlich miteinander verbunden. Auf der anderen Seite steht die Faszination für eine glamouröse Existenzform.
Doch was ist das eigentlich: Luxus? Wer sich mit Lambert Wiesing auf diese Frage einlässt, erlebt selbst den Luxus, ein Buch lesen zu können, das auf höchst originelle Weise eine menschliche Lebensmöglichkeit entfaltet, die am Ende sogar als ebenso skurrile wie wünschenswerte Umgangsweise mit dem Leben und der uns umgebenden Welt aufleuchtet.
Über das Normalmaß hinausgehender Aufwand
Lambert Wiesing nähert sich als Phänomenologe seinem Gegenstand, versucht ihn mit feinstem philosophischen Unterscheidungsbesteck zu filetieren, enthält sich der Wertung und entdeckt dadurch Luxus als genuin ästhetische Erfahrung, als eine Erfahrung, die mit dem Besitzen verbunden ist. Ein Besitzen, in dem der Mensch sich als Mensch erfahren kann. Und zwar gerade dadurch, dass er einen über das Normalmaß hinausgehenden Aufwand betreibt. Etwa, indem er eine Uhr besitzt, die ihrem Besitzer oder ihrer Besitzerin nicht nur die Zeit anzeigt, sondern die - unter Nützlichkeitskriterien - mit einen völlig übertriebenen handwerklichen und materiellen Aufwand hergestellt worden ist.
Gerade in diesem bewusst – im wahrsten Sinne – in Kauf genommenen übertriebenen Aufwand zeigt sich für Wiesing in der Luxuserfahrung der Eigensinn des Menschen, sich einer zweckrational zugerichteten Welt zu entziehen, sich nicht von einer funktionalen, in Zweck-Mittel-Relationen geordneten Gesellschaft vereinnahmen zu lassen. Luxus wird so zu einem Aufbegehren gegen die instrumentelle Vernunft, zu einer dadaistischen Trotzreaktion, in der die Erfahrung wirklicher Autonomie aufgehoben ist.
Um diesen Bedeutungskern der Luxuserfahrung herauspräparieren zu können, muss Wiesing den Luxus auf der einen Seite vom Protzgebaren mit Konsumgütern abgrenzen: Wer protzt, benutzt Besitz etwa zum Zweck des Prestigegewinns. Der zur Schau gestellte Besitz allein hat für Wiesing mit Luxus nichts, mit plumper Selbstdarstellung dagegen viel zu tun. Um eine Luxuserfahrung machen zu können, reicht es auch nicht, nur Eigentümer eines Luxusguts zu sein, sondern man muss wissen, wie es ist, so etwas zu besitzen, so wie man weiß, wie es ist, eine Krankheit zu haben.
Ein gedankenreiches Buch
Wiesing betritt mit dieser Beschreibung des Luxus als genuin ästhetischer Erfahrung aber nicht nur ethisch, politisch und sozial vermintes Gelände, sondern er fordert auch jene heraus, die glauben, dass die Erfahrung des Schönen nichts mit Besitz zu tun haben darf, dass sie per se "interesselos" zu suchen sei, dass Kunstwerke oder Natur ästhetisch um ihrer selbst willen zu erfahren seien.
Luxus dagegen braucht einen Zweck, schon deshalb, weil sich nur an ihm der übertriebene Aufwand, den man betreibt, um ihn zu erreichen, ermessen lässt. Um von einem Ort zum anderen zu kommen, braucht man keine Luxuskarosse, ja oftmals nicht einmal Auto, und wenn doch, ist jeder Kleinwagen komfortabler als ein mit irrwitzigem Aufwand instand gehaltener britischer Sportwagen aus den 70er-Jahren. Aber auch um Komfort, Gemütlichkeit, Wohlsein geht es in der Luxuserfahrung nicht, sondern um Enthusiasmus und Kennerschaft.
Nur wer weiß, wie Dinge hergestellt werden, kann diese Erfahrung auch machen. Während ein Ästhetizist, einer, dem es nur um die interesselose Erfahrung des Schönen geht, sich um die Herstellung der Dinge, die er oder sie anhimmelt, einen Dreck scheren kann, ist es für die Enthusiasten des Luxus unmöglich, von menschenunwürdigen Produktionsbedingungen abzusehen.
"Wer einen Teppich wegen seiner Millionen von Knoten in seinem Irrationalismus zu schätzen weiß, interessiert sich eben auch für die Frage, wer diese Knoten eigentlich geknüpft hat, wie dieser Teppich möglich geworden ist."
Und es ist eine der Pointen dieses gedankenreichen Buches, dass die ästhetische Erfahrung des Luxus – so absurd sie sich lebensweltlich ausnimmt – am Ende moralisch aufgeklärter erscheint als etwa die der Kunst.

Lambert Wiesing: Luxus
Suhrkamp, Berlin, 2015
200 Seiten, 24,95 EUR

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