Mehr Autoverkehr und mehr Lärm: Wenn Dörfern die Lkw-Karawane droht
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Vor allem der Lkw-Verkehr nimmt zu. Doch statt den Schienentransport stärker zu fördern, werden Autobahnen weiter ausgebaut. Allerdings enthalten die alten Ausbaukonzepte oft Planungen, die vor Gerichten anfechtbar sind.
Mit 120 Kilometern pro Stunde sind Fabian Schulz und Hendrik Rasmussen auf Streife. In dunkelblauer Polizeiuniform, im silber-blauen Kombi. Das Revier der beiden Polizisten ist die A2 bei Braunschweig. Insgesamt rund 200 Kilometer Autobahn. Es ist Dienstagmittag und relativ wenig los auf der wichtigsten Ost-West-Verbindungsautobahn der Republik.
"Morgens und mittags haben wir größtenteils mit Verkehrsunfällen zu tun oder Gegenständen auf der Fahrbahn, die von Lkw oder Pkw abgefallen sind. Die müssen wir dann von der Fahrbahn beseitigen. Zur Nachtzeit beschäftigen wir uns dann viel mit Liegenbleibern auf der Autobahn, da die häufig auch ohne Licht liegenbleiben, also auch ohne Warnblinklicht oder sonstige Absicherung."
Vor allem nachts immer mehr Lkw unterwegs
Langsam überholt der Polizeiwagen die Lkw-Kolonne auf der rechten Spur. Die Beamten werfen im Vorbeifahren einen Blick in die Führerhäuser, schauen nach, ob ein Fahrer das Handy am Ohr hat oder, auch das kommt vor, sich gerade einen Kaffee kocht. Polizeioberkommissar Fabian Schulz ist seit zwölf Jahren auf der A2 unterwegs, hat miterlebt, wie die Verkehrsströme auf der A2 anwuchsen.
"Der LKW-Verkehr hat auf jeden Fall zugenommen in dieser Zeit. Gerade zur Nachtzeit sind nach wie vor zunehmend Lkw festzustellen. Von Kollegen hört man, dass nach Grenzöffnung der Verkehr extrem zugenommen hat. Auf jeden Fall ist der extrem hoch. Nach wie vor."
Rund 90.000 Fahrzeuge sind jeden Tag auf der A2 unterwegs. Jeden Tag staut sich der Verkehr. Vor allem dann, wenn es kracht. 2017 sind bei Unfällen auf der A2 zehn Menschen gestorben, Dutzende wurden schwer verletzt. Jeden Tag gibt es etwa drei Unfälle, schwere und weniger schwere.
Parkplätze statt Kraniche
Entlastung für die Verkehrsregion Braunschweig könnte auch der Weiterbau der Autobahn 39 nördlich von Wolfsburg, vorbei an Wittingen und Uelzen bis nach Lüneburg bringen, sind sich auch die beiden Streifenpolizisten Hendrik Rasmussen und Fabian Schulz sicher. Immerhin hätte auch die Fertigstellung anderer Autobahnabschnitte schon für Entspannung gesorgt.
"Wir haben das gute Beispiel, dass die A36 gerade den Lückenschluss zwischen der A14 und der A39 hatte – also quasi die Südumgehung. Da merken wir ganz deutlich, dass eine Entlastung stattgefunden hat. Und genau die gleiche Hoffnung haben wir natürlich auch, wenn die A39 dann Richtung Norden weitergeht und über Uelzen Entlastung schafft."
Petra Merz will das verhindern. Sie steht auf einem Feldweg am Riestedter Ortsrand, genau dort, wo in zehn Jahren die A39 an Uelzen vorbei verlaufen und eine Rastanlage vor allem für Lkw entstehen soll.
"Man sieht hier sehr schön die einzelnen Baumgruppen, die wie Inseln auf den Äckern stehen. Das ist natürlich wunderbares Schutzgebiet für die ganzen Vögel und das Wild. Und hier auf der anderen Seite haben wir das Speicherbecken, wo sich wirklich jedes Jahr zwei Mal hunderte von Kranichen sammeln und genau auf diesem Gelände sitzen, rasten, fressen. Und das komplette Gelände in einer Größe von 48 Fußballfeldern mit allerbester Bodenqualität soll versiegelt werden."
Landwirt befürchtet wirtschaftlichen Einschränkung
Seit drei Jahren lebt Petra Merz in Riestedt. Ist zurückgekehrt in das 89-Einwohner-Dorf, auf den Hof, auf dem sie groß geworden ist. Am Horizont, in Richtung Norden, dreht sich ein halbes Dutzend Windräder.
Nicht weit entfernt ist Morton Harms mit seinem Trecker unterwegs, bringt die Rübensaat aufs Feld. Seinen Riestedter Hof bewirtschaftet er in dritter Generation. Harms klettert vom Trecker. Was für Folgen werden die Autobahnpläne für ihn haben?
"Das wäre eine wirtschaftliche Einschränkung, weil Flächen zerschnitten werden. Ein Teil geht durch die Trasse selbst verloren. Aber auch durch die zahlreichen Ausgleichsmaßnahmen. Die dann zwar nicht direkt an der Trasse, aber bis einen Kilometer entfernt geplant werden: Hecken, Büsche werden angepflanzt. Das sind auch weitere Wirtschaftsbeeinträchtigungen für mich. Wir haben Beregnung, die umgesetzt werden muss. Und wenn da eine Hecke im Weg ist. Das stört natürlich."
Statt Äcker und Wiesen eine Lkw-Raststätte
Neue Pachtflächen seien Mangelware, erzählt Morton Harms. 25 Hektar gingen durch die Raststätte verloren. Die A39 vor der Haustür sei schon schlimm genug, sagt er. Aber die Raststätte, konzipiert für 100 Pkw und 300 Lkw, sei einfach zu viel.
Schon seit Jahren wächst der Schwerlastverkehr durch das kleine Dorf, erzählt Petra Merz im sonnigen Hof ihres alten Bauernhauses. Und wie sehr sich der jetzige Alltag, das Leben auf dem Land verändern wird, ist ihr erst im vergangenen Dezember klar geworden. Auf einer Informationsveranstaltung im nahen Bad Bevensen.
"Wir haben tatsächlich die Hoffnung gehabt, dass das gar nicht passiert. Weil es so viele Jahre auf Eis lag. Wir haben ein Stück weit nicht damit gerechnet. Vielleicht kann man es so sehen. Aber wir sind immer noch in einem sehr guten Zeitplan, weil wir noch nicht planfestgestellt sind. Das ist durchaus alles noch verschiebbar."
Trost vom Bürgermeister: Das Beste draus machen
Petra Merz sammelt Unterschriften für eine Petition. Und Ende Februar haben sämtliche Abgeordnete des niedersächsischen Landtags Post von der Riestedter Dorfinitiative bekommen. Genauso wie Uelzens Bürgermeister Jürgen Markwardt:
"Ich habe großes Verständnis für diesen Protest. Wir haben es auch immer formuliert und immer sehr deutlich gemacht. Mit der A39 und auch der Tank- und Rastanlage wird sich das Bild von so manchem Dorf grundlegend ändern. Das ist einfach klar. Wobei ich auch sagen muss: Nicht jede Veränderung ist per se negativ. Man muss in dem Moment auch das Beste draus machen wollen. Das halte ich für sehr, sehr wichtig."
Die A39 werde die wirtschaftliche Situation im Landkreis Uelzen deutlich verbessern, versichert Jürgen Markwardt in seinem Büro im Uelzener Rathaus. Nirgendwo in Deutschland müsse man so lange fahren wie in Uelzen, um eine Autobahn zu erreichen. Und andernorts, dort, wo die A39 schon fertig ist, sei der Aufschwung längst angekommen.
"Jeder, der mit offenen Augen über die A39 von Hamburg Richtung Lüneburg fährt, der muss sich nur Winsen/Luhe angucken. Oder auch Lüneburg. Was haben die für eine Entwicklung hinter sich in den letzten Jahren. Anderes Beispiel: Soltau an der A7. Dort passiert viel. Und zwar viel Wirtschaftliches, was ohne einen solchen Autobahnanschluss nicht passieren würde."
Streit um die Effekte neuer Autobahnanbindungen
Uelzen bekäme auf lange Sicht mehr Einwohner, mehr Touristen, mehr Gewerbesteuereinnahmen, hofft der Bürgermeister. Werner Reh, Verkehrsexperte vom BUND, hält dagegen, dass eine Autobahnanbindung immer auch wirtschaftliche Prosperität nach sich ziehen würde, sei keineswegs erwiesen.
"Diese regionalwirtschaftlichen Impulse sind hoch umstritten. Es gibt Verlagerungen. Wenn ich einen neuen Autobahnanschluss habe, dann gehen Logistikfirmen zu diesem Anschluss. Aber das sind eher Verlagerungen und keine neuen Arbeitsplätze, die geschaffen werden. Es ist immer so, dass durch eine neue Verbindung immer eher die Metropolen stärker profitieren als die kleineren Städte. Jedenfalls ist es keine wirtschaftliche Entwicklungsstrategie, zu sagen: 'Der Straßenbau, der wird uns retten!''"
Im Streit um die Tank- und Rastanlage in Riestedt sei er jederzeit zu Gesprächen bereit, versichert Bürgermeister Markwardt. Große Hoffnungen könne er den Menschen aber nicht machen. Der Protest komme einfach viel zu spät. Die Entscheidungen seien schon vor langer Zeit getroffen worden, noch bevor Markwardt selbst Bürgermeister wurde:
"Klar ist, dass die Hansestadt Uelzen 2011 von sich aus den Antrag gestellt hat, Standort der Tank- und Rastanlage zu werden. Und das auch immer und ganz offen kommuniziert habe – auch offen mit allen Einschränkungen, die dadurch entstehen können. Das ist auch übrigens durch den Ortsrat in Masendorf, Molzen, Riestedt gegangen. Bereits 2012."
Applaus für das Verlegen von Trassen unter die Erde
Nicht Protest, sondern breite Zustimmung ruft dagegen der Ausbau der A7 bei Hamburg hervor. Gleich hinter dem Elbtunnel wurde die Autobahn von sechs auf acht Spuren erweitert. Gleichzeitig wurde die Trasse in Stellingen, Schnelsen oder Bahrenfeld überdacht, in Tunnel verlegt. Das Projekt sei ein Gewinn für alle: für staugeplagte Autofahrer und lärmgeplagte Anwohner, findet Christian Merl, A7-Koordinator in der Hansestadt:
"Nehmen sie die A7 mitten durch Hamburg. Das ist in den 70er-Jahren hip gewesen, eine Autobahn quer durch die Stadt zu legen. Das sehen sie in ganz vielen Metropolen. Wir müssen die Leute jetzt schützen, wir müssen die Stadt hier auch reparieren. Wir müssen die A7 aber auch ausbauen. Mit den Deckeln haben wir hier eine Win-win-Situation umgesetzt, weil wir Stadtteilreparatur, Lärmschutz, aber auch die Autobahn ausbauen können. Das ist hier wunderbar gelungen!"
Oben auf den Deckeln sollen viele Rasenflächen, Radwege und flach wurzelnde Bäume die zerschnittenen Viertel wieder zusammenwachsen lassen. Aber auch danach wird weitergebaut. Schon heute passieren täglich rund 100.000 Fahrzeuge die A7 bei Hamburg. Und es werden mehr.
"Es wird eindeutig mehr! Es gibt dazu auch Studien des Ministeriums für Verkehr, wo wir von einem Anstieg von 39 Prozent ausgehen von 2014 nach 2030, alleine beim Lkw-Verkehr rechnen müssen."
Leistungsfähigkeit, Ansiedlungen und Immobilien
Im Hamburger Westen soll die schon jahrzehntelang geplante A20 die Elbe bei Glückstadt queren und so Entlastung für die A7 schaffen. Und im Osten der Stadt wird bis weit in die 20er-Jahre hinein geplant, erklärt A7-Koordinator Christian Merl:
"Sobald die Fehmarnbelt-Querung da ist, braucht es eine leistungsfähige östliche Umfahrung, sprich: die A21. Die müsste jetzt in Angriff genommen werden. Die Kollegen in Schleswig-Holstein sind schon dabei, die B404 auch in dem Bereich auszubauen."
Schleswig-Holstein wird vom 18 Kilometer langen Tunnel für Eisenbahnen, Laster und Pkw profitieren, prognostiziert Landesverkehrsminister Bernd Buchholz von der FDP: "Wir sind fest davon überzeugt, dass die Verbindung Kopenhagen–Hamburg, die feste Fehmarnbelt-Querung auch überall an der A1 und Nordosten Schleswig-Holsteins, in Ostholstein, deutliche Einnahmen an Gewerbeansiedlungen bedeuten wird. Wir haben schon heute einen Ausverkauf der Flächen in den Gewerbegebieten an der Autobahn und den Belttunnel gibt es noch gar nicht."
An der A21 wird bereits gebaut. Dagegen mussten auf einem 20 Kilometer langen Abschnitt der A20 alle Vorarbeiten gestoppt werden. Die Planungen seien fehlerhaft, urteilten die Richter am Leipziger Bundesverwaltungsgericht. Keine Seltenheit bei Großprojekten in Deutschland:
"Letztlich ist das gescheitert, weil wir den Einflugbereich von Bechsteinfledermäusen nicht weit genug kartiert haben. Und auch die Schleiereule nach Ansicht des Gerichts nicht breit genug berücksichtigt haben. Dann stellt man immer mal wieder fest: Über die Jahre, in denen so ein Planungsverfahren läuft, verändern sich die rechtlichen Vorgaben, verändert sich auch ein bisschen der Hintergrund zum Beispiel im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie. Dann sagen die Richter: Nach der Rechtsprechung, die wir in den letzten drei Jahren entwickelt haben, hättet ihr das anders machen müssen; dann ist der Plan rechtswidrig. Das kann einen schon zur Verzweiflung bringen!"
Neue Richtlinien, um Planungen auch durchzusetzen
Damit Großprojekte mit jahre- oder jahrzehntelangem Planungsvorlauf schneller realisiert werden, fordert Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Buchholz eine sogenannte Stichtagsregelung.
"Wenn der Stand der Technik und die Dinge, die 'State of the Art' waren, zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses beachtet worden sind, dann, finde ich, muss man irgendwie auch einen bestimmten Stichtag tatsächlich einführen, weil man sich ansonsten total im Kreis dreht. Sonst kann allen Beteiligten einer Planungsbehörde immer wieder was ganz Neues vorgehalten werden."
In Zukunft sollten auch die Umweltverbände, schon in der Planungsphase von Großprojekten viel früher einbezogen werden. Werner Reh vom Bund für Umwelt und Naturschutz nimmt diesen Vorschlag gern an:
"Wir helfen gerne mit, Leitfäden zu machen, Handreichungen zu machen, wie man ökologische Prüfungen gut macht, mit welchen Methoden. Und dann machen wir eine Wissensplattform, wo jeder Planer gucken kann: Was sind jetzt die aktuellen Standards für eine Untersuchung der Vogelwelt, von Fledermäusen und, und, und. Dann muss man sich über diese Dinge nicht mehr streiten und kann sich auf das konzentrieren, was eigentlich das Thema ist: Wie sieht eine gute Verkehrsinfrastrukturplanung in Deutschland aus?"
Allerdings fordert der BUND-Mann auch eine konsequente Verkehrswende. Noch immer würden mehr Straßen für immer mehr Kraftfahrzeuge gebaut. Und das sei sicher der falsche Ansatz.
"Wenn wir eine andere Verkehrspolitik hätten, die eben auch was tut, statt ihre Lebenslüge zu erzählen: ‚Wir verlagern Güteverkehr auf die Schiene!‘ das auch wirklich tun würde, dann würde das Wachstum anders aussehen. Wir könnten, ein Gutachten für den Bundesverkehrsminister sagt das, die Anteile des Schienenverkehrs bis 2030 verdoppeln. Allerdings fehlen die Mittel. Der Plan für die Schiene ist bis heute noch nicht verabschiedet."
Milliarden für die Schiene, aber noch mehr für die Straße
Seit den 80er-Jahren gibt es die Idee, mehr Container, mehr Fracht per Eisenbahn durch Deutschland zu schicken. Passiert ist aber wenig. Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan ist vermerkt: 132 Milliarden Euro sollen in den Bau von Straßen und Autobahnen investiert werden, 112 Milliarden Euro ins Eisenbahnnetz.
"Wollen wir ewig mehr Transitverkehr durch Deutschland? Denn das ist der Verkehrsanteil, der auf der Straße am stärksten wächst. Und da können wir zum Beispiel was dagegen tun, indem man eben die Mautsätze nach Entfernung staffelt. Bis 300 Kilometer, wie es heute ist, und dann eben verdoppeln. Dann hätte man ein ganz anderes Verkehrsgeschehen."
Dann müssten aber auch neue Schienenstränge verlegt werden, um mehr Güterzüge durch Deutschland rollen zu lassen. Viel schneller als der Bau neuer Autobahnen wird auch das nicht funktionieren. Klageberechtigten Anwohnern ist es am Ende egal, ob das Dröhnen vor der Haustür von 40-Tonnern oder von Güterzügen stammt.