"Der Widerstand ist ein Stachel im Fleisch der deutschen Gesellschaft"
Der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, sieht neue Herausforderungen bei der Vermittlung der Geschichte der Hitler-Attentäter vom 20. Juli.
Christopher Ricke: Das Attentat vom 20. Juli 1944, morgen wird es sich zum 70. Mal jähren. Es war der Umsturzversuch des militärischen Widerstands gegen das Hitler-Regime. Dieser Umsturzversuch ist zwar gescheitert, hat aber dennoch Geschichte geschrieben. Und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die natürlich in der Stauffenbergstraße liegt, zeigt seit diesem Monat eine neue Dauerausstellung mit dem Titel "Widerstand gegen den Nationalsozialismus". Da geht es nicht nur um den militärischen, sondern um den gesamten in seiner gesamten gesellschaftlichen und sozialen Breite. Professor Peter Steinbach ist der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte, er ist heute Morgen zu uns ins Studio gekommen, guten Morgen, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Guten Morgen!
Ricke: Morgen sind es 70 Jahre, das sind zwei Generationen. Verstehen denn die Schüler, die heute in Ihre Ausstellung kommen, noch, was da geschehen ist?
Steinbach: Das ist die Herausforderung, vor die wir uns stellen. Ich glaube, sie würden sich gelangweilt abwenden, wenn man nur eine antiquarische Ausstellung macht, die sich an den Ereignissen orientiert. Aber eigentlich sind wir ja von Situationen umgeben, die Widerständigkeit voraussetzen und verlangen. Das beginnt im Alltag. Ich möchte Schüler gerne erleben, die gegen das Mobbing anarbeiten, also die Zivilcourage in ihrer Gruppe beweisen, und das geht weiter in der großen Politik. Unsere Aufgabe besteht im Grunde darin, das Ereignis vom 20. Juli zu verknüpfen mit einer grundsätzlichen Frage nach den Grenzen und Zielen des Staates und nach den Möglichkeiten einer Widerständigkeit innerhalb der Gesellschaft, in der man lebt. Und so nutzen wir also historische Beispiele, um vielleicht auch Haltung und Verhalten mit zu beeinflussen, das ich für unverzichtbar halte. Denn jeder Staat greift nach den Bürgern und braucht deshalb auch ein Nein. Und innerhalb einer Gesellschaft gibt es ganz viele Zwänge, gegen die man sich eben auch wehren muss.
Ricke: Damit haben Sie das Thema Widerstand direkt in die aktuelle politische Diskussion gebracht, wir können nach Amerika schauen, wir können uns die NSA-Affäre ansehen. Ist das tatsächlich etwas, was die Besucher Ihrer Ausstellung dann auch verstehen, dass das ganz viel mit heute zu tun hat?
Steinbach: Ich glaube, ja. Das zeigen viele Reaktionen. Unser Prinzip ist ja, dass wir nicht nur etwas zeigen, sondern dass wir versuchen, mit Besuchern auch zu sprechen, zu diskutieren. Es gibt kundige Leute, die also wirklich Fragen aufnehmen. Und ich glaube, das ist der wichtige Sinn. Man könnte jetzt natürlich alte Debatten führen, was wollten die, waren das Demokraten, waren das Parlamentarier. Aber ich glaube, das erschöpft sich dann, das ist die Fragestellung, die man vor etwa 30 Jahren verfolgt hat. Aber wenn man heute fragt, ist das vielleicht der kleine Beitrag, der aus der deutschen Geschichte die Geschichte der Menschenrechte beeinflusst, dann hat man ein Thema, das einen wirklich anspringt, und dann kann man mit Menschen diskutieren. Nun ist es natürlich nicht das Einzige, diese Aktualisierung, diese Präsentation von Vergegenwärtigung, sondern es geht auch schon darum, sich mit einzelnen Menschen, die die Kraft hatten, sich zu entscheiden, zu beschäftigen, etwa mit einem Einzeltäter wie Elser, was treibt einen Schreiner dazu, über ein Jahr lang ein Attentat auf Hitler vorzubereiten? Er hat eine Vision, eine Vorstellung, der Krieg kommt, und dagegen geht er vor.
Ricke: Schauen wir noch mal mit dem heutigen Wissen auf das damalige Geschehen, mit 70 Jahren Abstand und diesen Jahrzehnten der Forschung. Die Rolle der Alliierten, Amerikaner, Briten, Franzosen, Russen, damals 1944, in einer Zeit, in der es auch schon Geheimdienste gab. Hätten die vielleicht mehr dazu beitragen können, dass der Tyrannenmord gelingt?
Verschränkung von Widerstand und Geheimdienst
Steinbach: Die Haltung der Alliierten ist festgelegt durch eine sehr inflexible Forderung: bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Das engte die Spielräume des Widerstands ein. Auf der anderen Seite zeigen wir auch, dass es Kontakte gab zu anderen Diensten. Eine Gruppe, die aus der Abwehr zum Beispiel kommt, sammelt Informationen international und versucht auch gleichzeitig für den Widerstand herauszubekommen, was haben die Alliierten eigentlich mit Deutschland vor? Diese Verschränkung von Widerstand und Geheimdienst ist zum Beispiel noch ein sehr, sehr brisantes und sehr offenes Thema. Aber wir können uns vorstellen: Deutsche Regimegegner, die im Vatikan, in Bern, in Madrid, in Stockholm, also in neutralen Ländern saßen, die hatten Kontakte zu Geheimdiensten. Und wir wissen auch heute, dass die Alliierten relativ gut informiert waren über den Widerstand, aber diese selbst konstruierte Sperre – mit denen verhandeln wir – einfach nicht überspringen wollten.
Ricke: Schauen wir noch auf die Erzählformen, die es gibt, das sind ja jetzt sehr verschiedene, besonders verdichtet sind Erzählformen im Film, "Operation Walküre. Das Stauffenberg-Attentat" mit Tom Cruise war so ein Hollywood-Versuch. Wenn jetzt jemand zu Ihnen kommt, der kein Vorwissen hat, der aber nur diesen Film gesehen hat, müssen Sie da viel geraderücken?
Steinbach: Nein, wir wollen dann auch nicht geraderücken, sondern wir rücken dann Filme gerade, wenn – was ja ein Phänomen ist –, wenn Filme an die Stelle der Realität treten in den Köpfen der damaligen Beteiligten. Das ist die allergrößte Gefahr. Wenn Tom Cruise die Welt rettet wie Stauffenberg, dann ist das für mich als Historiker eigentlich nur der Einstieg, es wird Appetit gemacht, es wird vielleicht auch Freude an dem Thema geweckt. Und das große Problem ist, dass Historiker, zu denen ich mich ja auch zähle, viel zu wenig die Chancen nutzen, die diese Medien bieten. Also zum Beispiel die ... Es gab ja nicht nur den Tom-Cruise-Film über Stauffenberg, sondern es gab vorher schon zwei andere, von Jo Baier, im ZDF auch. Wir haben gemerkt, plötzlich kannten 90 Prozent der Deutschen Stauffenberg. Und da wäre ich doch als Historiker dumm, wenn ich die Chance dieses Mediums nicht nutzen würde! Es nutzt überhaupt nichts zu sagen, ja, die Chronologie ist durcheinandergeraten! Wichtig ist, das Narrativ, die Erzählung des Films ist der erste Einstieg. Und wir als Historiker müssen eigentlich viel, viel intensiver uns mit dem Problem der Vermittlung von Geschichte, von Themen wie etwa dem Widerstand in der Öffentlichkeit auseinandersetzen.
Symbole können etwas im Kopf festsetzen
Ricke: Diese Geschichte muss ja auch politisch immer wieder gewichtet, bewertet, eingeordnet und betont werden. Der Bundespräsident Joachim Gauck hält morgen, am 20. Juli, die Ansprache im Bendlerblock, er wird auch einen Kranz niederlegen, das ist ein Symbol. Braucht Geschichte auch dieses Symbol?
Steinbach: Ja, Symbole brauchen wir, weil Symbole im Grunde dann auch etwas im Kopf festsetzen. Wir haben bestimmte Bilder im Kopf. Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde: 11. September, dann hätten Sie mit Sicherheit ein Bild im Kopf wie 80 Millionen andere oder viele andere. Also, die Symbolisierung ist es nicht. Die Gefahr liegt darin, dass häufig solche Gedenktage benutzt werden, um Sonntagsreden zu halten. Der Widerstand ist ein Stachel im Fleisch der deutschen Gesellschaft. Er ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Anpassung. Also, Widerstand und Anpassung, das gehört zusammen. Und Reden waren immer dann groß, denken Sie etwa an die Weizsäcker-Rede, wenn es diese Verbindung gab zwischen Widerständigkeit, Selbsterklärung, auch Selbstanklage und der Artikulation, der Bereitschaft, sich der Geschichte zu stellen. Und der 20. Juli hat viele sehr gute Reden hervorgebracht, wir haben sie ja alle auch dokumentiert auf unserer Webseite der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wir haben, glaube ich, etwa 600 Reden und da findet man schon manche Rede, die wirklich lesebuchwürdig ist.
Ricke: Zur Rede gehört aber auch das Gespräch mit Zeitzeugen. Der Bundespräsident wird morgen mit Angehörigen der Opfer des Widerstands zusammentreffen, noch gibt es Zeitzeugen, aber die werden natürlich rar. Was bedeutet das für die historische Forschung, sind alle Interviews geführt?
Jetzt gilt es, Archivschätze zu heben
Steinbach: Wir haben viele Interviews geführt, wir haben dabei auch die Tücken von Interviews kennengelernt. Denn der Zeitzeuge ist nicht nur der Gegner des Historikers, sondern er ist auch immer derjenige, der ganz viele Vorstellungen seiner späteren Lebenszeit, das, was er gelesen hat, einbringt. Das, was im Augenblick, glaube ich, wirklich am beeindruckendsten ist, ist die Annäherung der Nachfahren, der Kinder, der verwaisten Kinder, die Opfer eigentlich der Tat ihres Vaters geworden sind, die sich jetzt auf wirklich beeindruckende Weise noch einmal mit ihren Eltern auseinandersetzen, und das Ganze ohne jeden Heroismusverdacht. Zeitzeugen selbst, die letzten, sind gegangen. Wenn wir keine Zeitzeugen mehr haben, wird sogar das Geschäft des Historikers schwieriger, denn er muss die alten Zeitzeugnisse, die ja nicht aus der Welt sind, die bei ihm im Archiv schlummern zum Beispiel, heben. Und dazu muss er wieder ein ungewohntes Verhältnis zu Quellen, zu Überlieferungen entwickeln. Derjenige, der Medien verachtet, wird die Schätze, die in diesen Medien liegen, nie heben können.
Ricke: Professor Peter Steinbach, er ist der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, heute am Vortag des 20. Juli 2014, morgen ist der 70. Jahrestag. Vielen Dank, Professor Steinbach!
Steinbach: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.