Stefan Klein: "Boko Haram: Terror und Trauma"

Angst, Unwissenheit, Warten

07:09 Minuten
Das Cover des Buches zeigt in einer fernsehbildhaften Anmutung eine Gruppe am Boden sitzender Frauen in traditioneller Kleidung.
Stefan Klein erzählt in seinem Buch von der Entführung von 276 Schülerinnen im Norden Nigerias durch die Terrorgruppe Boko Haram. © Cover: Kunstmann / Collage: Deutschlandradio
Von Moritz Behrendt |
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Stefan Klein erzählt in "Boko Haram. Terror und Trauma" von den Traumata, die 276 Schülerinnen erlitten, die drei Jahre lang von der Terrorgruppe entführt wurden. Was dieser beeindruckenden, glänzend geschriebenen Reportage fehlt, ist der Zweifel.
Kann man über große Tragödien in Afrika anders berichten als in der Form der großen Reportage? Sollte man es vielleicht? Diese Fragen wirft Stefan Kleins Schilderung der Entführung von 276 Schülerinnen im Norden Nigerias durch die Terrorgruppe Boko Haram auf. Denn sein Buch ist so eine große Reportage, mit all ihren Stärken, aber auch mit fragwürdigen Aspekten.
Klein, langjähriger Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", schreibt meisterhaft. Er schafft Nähe. Die Angst der Mädchen, die Ungewissheit, das elendige Warten in drei Jahren Geiselhaft in den verschiedenen Unterschlüpfen der Islamisten wird greifbar. Kleins Buch basiert auf ausführlichen Gesprächen mit drei jungen Frauen, die zu den Mädchen von Chibok gehörten, sowie auf zahlreichen weiteren Interviews. Dennoch schreibt Klein, als sei er dabei gewesen, als habe er als Reporter beobachtet, wie die Kämpfer von Boko Haram in die Mädchenschule eingedrungen sind. Er gibt wieder, was die Mädchen gesagt, gedacht und gefühlt haben.

Weltweite Aufmerksamkeit

Was dieser beeindruckenden Darstellung fehlt, ist der Zweifel (So oder so ähnlich könnte es gewesen sein) und die Verortung des Reporters (So haben mir es die Mädchen erzählt). Wie es ihm gelungen ist, dass die jungen Frauen so offen mit ihm über ihre traumatischen Erfahrungen gesprochen haben, das berichtet Klein leider nicht. So bleibt ein wenig der Eindruck, dass Afrika sich gerade deshalb so wunderbar für starke Reportagen eignet, mit der eleganten Verknüpfung der großen Linien mit den kleinsten Details, weil sich aus der Ferne eh niemand die Mühe macht, das alles nachzuprüfen.
Das ist schade, denn dieser Eindruck überdeckt auch den zweiten starken Erzählstrang des Buches: Klein begleitet die Aktivisten der Kampagne, durch die die Entführung der Schülerinnen überhaupt erst weltweite Aufmerksamkeit erlangt hat. Dahinter steckte weit mehr als nur der Hashtag "Bring Back our Girls" und die Unterstützung durch Prominente wie Michele Obama.

Zivilgesellschaftliches Engagement

Klein beschreibt eindrücklich, wie eine kleine Gruppe von Menschen in der Hauptstadt Lagos täglich Demonstrationen organisiert, sich international vernetzt, sich für die Angehörigen der Entführten einsetzt und von den wechselnden Präsidenten kontinuierlich missachtet wird. Diese Kampagne stellt bloß, wie wenig sich die nigerianische Regierung für die Mädchen im Norden des Landes interessiert und überhaupt für Bildung, wenn sie nicht für die Eliten gedacht ist. An den Demonstrationen nehmen manchmal hunderte Menschen teil, an anderen Tagen sind nur eine Hand voll Aktivistinnen dabei. Immer wieder werden sie von der Polizei verscheucht, durch das Desinteresse der Politik frustriert. Dennoch, das macht Kleins Schilderung deutlich, zeigt zivilgesellschaftliches Engagement Wirkung.
Insofern ist "Terror und Trauma" ein wichtiges und lesenswertes Buch - die Frage, mit welchen Darstellungsformen wichtige Geschehnisse in Afrika angemessen geschildert werden sollten, bleibt jedoch offen.

Stefan Klein: "Boko Haram: Terror und Trauma". Die entführten Mädchen von Chibok erzählen
Verlag Antje Kunstmann, München 2019
240 Seiten, 20 Euro

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