Stefan Reinecke: Ströbele. Die Biografie Berlin Verlag, 01. April 2016 464 Seiten, 24, 00 Euro, auch als ebook
Porträt eines authentischen Linksalternativen
Ein Parlamentarier, der außerparlamentarisch protestierte. Ein Rechtsanwalt, der Terroristen verteidigte. Ein Alt-Achtundsechziger, der die Tageszeitung "TAZ" und die "Alternative Liste" gründete. Stefan Reinecke legt die Biografie des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele vor.
Dieses Buch ist mehr als eine Biografie über den Berliner Rechtsanwalt und Politiker. Es fängt Zeitumstände ein: die Jahre der "Roten Armee Fraktion", die Gründung der Grünen, die CDU-Spendenaffäre unter Helmut Kohl, die Kreuzberger "Szene", die Enthüllungen des "NSA"-Insiders Edward Snowden. Und Hans-Christian Ströbele ist immer mittendrin.
Stefan Reinecke schrieb bereits über Otto Schily, den Kollegen, Vertrauten und Konkurrenten. Wie dieser war Ströbele ein Sohn aus gutem Haus, der Jura studierte - nach seiner Bundeswehrzeit. In Berlin rief er das Sozialistische Anwaltskollektiv ins Leben, gemeinsam mit Horst Mahler, einem späteren Linksterroristen und heute in der Wolle gefärbten Rechtsextremisten.
Rechtsanwalt der "RAF" und Mitbegründer der "AL"
Vom spektakulären Stammheim-Prozess ausgeschlossen und angeklagt wegen Unterstützung des Hungerstreiks seiner Mandanten und des Aufbaus eines Info-Systems zwischen inhaftierten Terroristen und ihren Unterstützern außerhalb des Gefängnisses, erhält er eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten.
Die SPD trennte sich von ihm wegen großer Nähe zu den Strafgefangenen aus der "RAF", die er als "Genossen" bezeichnete. So wirkte er Ende der siebziger Jahre mit, die "Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz" zu gründen, die sich als Berliner Landesverband von Bündnis90/Die Grünen etablierte. Dem Bundestag gehört er von 1985 bis 1987 an, dann wieder seit 1998. Viermal seit 2002 gewann er das Direktmandat in seinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg.
Verfechter von Loyalität und Dissidenz
Als Fundamentalist macht er auch seiner grünen Partei immer wieder Schwierigkeiten, nicht nur weil er den außenpolitischen Kurs Joschka Fischers nach dem 11. September 2001 ablehnte.
Eine spezifische Stärke des Buches besteht darin, dass Stefan Reinecke mit großer Empathie das Leben von Hans-Christian Ströbele detailliert einfängt: sein Wirken, seine Erfolge, seine Niederlagen, seine Hartnäckigkeit. Der langjährige Parlamentarier entpuppte sich in vielen Gesprächen, die der Redakteur der "TAZ" mit ihm führte, als Verfechter von Loyalität und Dissidenz zugleich.
Aus Stärke wird eine gewisse Schwäche, sofern der Journalist sich dessen Sichtweise zu eigen macht. Die Kritik an der "antiimperialistischen" Position Ströbeles fällt dagegen mit Blick auf Israel hart aus.
Porträt mit Nähe zum links-alternativen Milieu
Auch die anderen Gesprächspartner, zu denen Otto Schily nicht gehört, stammen überwiegend aus dem links-alternativen Milieu. Da hätte etwas mehr Distanz nicht geschadet. So wäre zu prüfen gewesen, ob der Rechtsanwalt durch das Infosystem über Gefängnismauern hinweg nicht der zweiten RAF-Generation erst den Boden bereitete, wiewohl unbeabsichtigt.
Auch wer den Porträtierten kritischer sieht, empfindet ihn nach der Lektüre als authentisch. Intrigantentum zeichnet ihn nicht aus. Er hat stets mit offenem Visier gekämpft.
Das anschaulich geschriebene Buch, zudem gut recherchiert, lässt indirekt die Politik der letzten fünf Jahrzehnte Revue passieren. Die 68er-Bewegung hat die Gesellschaft verändert und die Gesellschaft deren Militanz. Für Hans-Christian Ströbele gilt dies am wenigsten.