Stefan Schweizer: "Die Hängenden Gärten von Babylon"

Grünes Weltwunder

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Collage des Buchcovers der Neuerscheinung auf orangenem Hintergund.
Die Geschichte der Hängenden Gärten von Babylon präsentiert der Kunsthistoriker Stefan Schweizer in seinem neuen Buch © Wagenbach Verlag
Von Michael Opitz  · 26.03.2020
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Die Geschichte der Hängenden Gärten von Babylon präsentiert der Kunsthistoriker Stefan Schweizer in seinem neuen Buch. Darin wird auch deutlich, wie sehr das antike Weltwunder noch heute die "grüne Architektur" beeinflusst.
In Zeiten verordneter Reiseabstinenz könnte das Reisen in den eigenen vier Wänden, wie es Xavier de Maistre in seinem Buch "Die Reise um mein Zimmer" (1790) empfiehlt, eine Alternative sein. Wer aber den eigenen vier Wänden zu entfliehen gedenkt, müsste im Kopf reisen. Solche Touren könnten nach Rom, London oder Paris führen, wobei allerdings auch vor ferner gelegenen Reisezielen nicht halt gemacht werden müsste.
Babylon ließe sich auf diesem Wege mit Leichtigkeit erreichen, wobei ein Besuch der sagenumwobenen Stadt den zusätzlichen Reiz einer Bildungsreise hätte, würde er unter Anleitung von Stefan Schweizers Buch "Die Hängenden Gärten von Babylon" unternommen werden. Der 1968 geborene Kunsthistoriker ist bereits Autor eines Buches über den französischen Gartenarchitekten André le Nôtre – ihm verdanken wir u.a. die Gartenanlagen von Versailles. Nun hat er ein schön gestaltetes, umfassend recherchiertes und spannend zu lesendes Buch vorgelegt, in dem er dem Faszinosum von Babylons Hängenden Gärten nachgeht.

Eines der sieben Weltwunder

Dass die Hängenden Gärten von Babylon zu den sieben antiken Weltwundern gezählt werden, überrascht insofern, da doch Gärten, im Unterschied zu den ägyptischen Pyramiden, deutlich stärker dem Klima und damit dem Verfall ausgesetzt waren als etwa Babylons Stadtmauern. Aufnahme in den Weltwunderkatalog aber fanden nur jene Bauwerke, die neben Kunstfertigkeit und Monumentalität auch versprachen, von Dauer zu sein.
Babylons hängende Gärten des Semiramis (angelegt vermutlich unter Nebukadnezar II., 604-562 v.Chr. für seine Gemahlin Semiramis) ist eines der sieben Weltwunder. Holzstich, altkolorierte Zeichnung von 1886, von Ferdinand Knab (1834-1902). 
Um die hängende Gärten der Semiramis in Babylon sind über die Jahrhunderte zahlreiche Mythen entstanden.© picture-alliance / akg-images
Die erstmals von Ktesias von Knidos 400 v. Ch. erwähnten Hängenden Gärten Babylons galten als ein architektonisches Wunderwerk, da sie nicht zu ebener Erde, sondern in luftiger Höhe auf dem Dach eines Unterbaus angelegt worden waren. Um Dachterrassen, wie wir sie heute kennen, handelte es sich bei den auf mehrstufigen Plateaus angelegten Gärten nicht. Denn für die Hängenden Gärten war so viel Erdreich angehäuft worden, dass Hügel angelegt werden konnten, auf denen Bäume wuchsen.

Reichhaltige Bildgeschichte

Stefan Schweizer rekonstruiert minutiös die historische Überlieferungsgeschichte der Hängenden Gärten, wobei auffällig ist, dass in diesem Zusammenhang immer wieder zwei Frauen erwähnt werden. Aus Liebe, so erzählt es eine Legende, soll ein syrischer König das Anlegen der Hängenden Gärten verfügt haben. Denn seine Frau sehnte sich nach ihrer bergigen, waldreichen Heimat.
Ein eigenes Kapitel widmet Schweizer schließlich Königin Semiramis, die in der Rezeptionsgeschichte häufig nicht nur als Erbauerin Babylons, sondern auch der Hängenden Gärten erwähnt wird. Wie man sich im Spätmittelalter Königin Semiramis in den Hängenden Gärten vorstellte, zeigt eine Abbildung von 1450 im Kapitel zur bildlichen Überlieferungsgeschichte.
Auffällig an dieser Bildgeschichte, die Schweizer bis ins 19. Jahrhundert verfolgt, ist, wie sehr die künstlerischen Bildfindungen der Hängenden Gärten im 17. und 18. Jahrhundert ihrer Zeit verhaftet blieben. Die Abbildungen, die Babylons Hängende Gärten darstellen, gleichen den damals favorisierten französischen Gärten. Und die Bauten, auf denen sie zu finden sind, orientieren sich an der Architektur des Kolosseums in Rom.

Vorbild für italienische Dachgartenarchitektur

Dass bereits in der Renaissance begonnen wurde, Gärten nach dem Vorbild der Hängenden Gärten anzulegen, zeigt Schweizer, indem er Beispiele der italienischen Dachgartenarchitektur anführt. Wie heute eine grüne Architektur auf die Hängenden Gärten Bezug nimmt, darauf macht Frank Maier-Solgk im letzten Kapitel des Buches aufmerksam. Darin werden gegenwärtige und im Entstehen begriffene Bauwerke erwähnt, in denen der Mythos der Hängenden Gärten Babylons weiterlebt.
Dieses auf Fakten basierende, reich bebilderte, wissenschaftlich akribisch gearbeitete und sehr lesbar geschriebene Buch ist durchaus anspruchsvoll, aber gerade deshalb ist es ein Lesevergnügen.

Stefan Schweizer: Die Hängenden Gärten von Babylon. Vom Weltwunder zur grünen Architektur
Mit einem Beitrag von Frank Maier-Solgk
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020
240 Seiten, 28 Euro

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