The Poetess
Deutschland, Saudi-Arabien, 2017, 89 Minuten
Regie: Stefanie Brockhaus, Andreas Wolff
Produktion: Andreas Wolff, Brockhaus/Wolff Films
Redaktion: Claudia Tronnier, ZDF/Das Kleine Fernsehspiel | Lucas Schmidt, ZDF/Das Kleine Fernsehspiel | Kathrin Brinkmann, ZDF/ARTE
Kamera: Tobias Tempel, Stefanie Brockhaus
Schnitt: Hansjörg Weissbrich, Anja Pohl
Musik: Sebastian Zenke
Eine Frau zwischen Beduinentradition und Religion
Hissa Hilal war die erste Frau, die an der arabischen TV-Show "Million's Poet" teilnahm. Mit ihren Gedichten griff sie Terrorismus, Extremismus und das Patriarchat an. Nun gibt es eine Dokumentation über die furchtlose Dichterin.
Beim Filmfestival Locarno wurde erstmals die Dokumentation "The Poetess" gezeigt. Die deutsch-saudi-arabische Produktion erzählt die Geschichte von Hissa Hilal, einer 43-jährigen Hausfrau aus Saudi-Arabien, die die gesellschaftliche Grenzen ihres Kulturkreises auslotet.
Verhüllt in eine Burka nimmt sie in Abu Dhabi am renommierten Wettbewerb "Million's Poet" teil und wird damit auch international bekannt. Sie ist die erste Frau, die in der Reality-TV-Show auftritt. Der Dichter-Wettbewerb ist mit einem Preisgeld von einer Million Dollar dotiert.
Hilals Gedichte greifen Terrorismus und den fanatischen Islam an. Vor 75 Millionen Zuschauern kritisiert sie die patriarchale arabische Gesellschaft und prangert einen für seine extremistischen Fatwas berüchtigten Geistlichen an.
Auslöser für den Film war ein Foto in der Zeitung
Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff haben bei der Dokumentation Regie geführt. Der Wunsch, den Film zu machen, entstand Brockhaus zufolge, nachdem sie ein Foto von Hilal in der New York Times gesehen hatte. Man sah dort nur die Augen der Dichterin, der Rest des Körpers war verschleiert. Sie habe wissen wollen, wer diese Frau ist, sagte Brockhaus im Deutschlandfunk Kultur.
Die Dreharbeiten waren dann allerdings nicht so einfach. Und das nicht wegen Hilal, die die Filmemacher als offen und sehr gastfreundlich kennenlernten, sondern wegen der gesellschaftlichen Verhältnisse in Saudi-Arabien. "Es ist ein kompliziertes Land, voller Barrieren und Widersprüche", sagte Wolff.
(ahe)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Gestern wurde in Locarno erstmals eine deutsch-saudi-arabische Dokumentation gezeigt, die ganz sicher auch hierzulande viele Zuschauer beeindrucken wird, wenn sie im ZDF läuft und hoffentlich auch in den Kinos und auf vielen Festivals. "The poetess" heißt sie, "Die Dichterin", ein Film über Hissa Hilal, eine 43-jährige Frau aus Saudi-Arabien, die ihre Grenzen im täglichen Ringen um Veränderung erprobt, und das mit Lyrik. Verhüllt in schwarze Burka und Schleier, der zusätzlich die Augen verdeckt, wird sie durch die Teilnahme am renommierten Wettbewerb "Millions Poet" in Abu Dhabi international berühmt mit ihren Gedichten, in denen sie den Terrorismus und die Ideologien der fanatischen Islamisten kritisiert, vor 75 Millionen Zuschauern im arabischen Raum hat sie das getan und war die erste und einzige Frau, die an diesem Wettbewerb teilnahm. Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff haben den Film "The Poetess" über Hissa gedreht. Mit ihnen habe ich beim Filmfestival Locarno gesprochen. Ich grüße Sie!
Stefanie Brockhaus: Hallo!
Andreas Wolff: Hallo!
von Billerbeck: Die Geschichte der saudischen Dichterin Hissa Hilal ist ja um die Welt gegangen. Wann, Andreas Wolff, haben Sie entschieden, über diese Frau gemeinsam einen Film zu drehen?
Auf dem Foto sah man nur die Augen
Wolff: Eigentlich direkt, als es in der "New York Times" veröffentlicht wurde, dass die Dichterin im Wettbewerb ist. Da hat sie damals 2010 das Halbfinale von dem Millions Poet Contest erreicht. Und Stefanie hat eigentlich das Foto nur gesehen, da saßen wir im Flieger in den USA, und war von dem Bild, glaube ich, so beeindruckt.
Brockhaus: Ja, ich habe über sie gelesen, und dabei dieses Foto von Hissa Hilal ...
von Billerbeck: Man muss das Foto beschreiben vielleicht. Das ist ja diese schwarze Burka, und man sieht die Augen, und dazwischen ist noch ein Steg, der verhindert, dass also dieser schmale Schlitz auch noch nach unten rutscht.
Brockhaus: Ja, es gibt viele verschiedene Versionen von Burkas, Niqab – jeder Tribe hat seine eigene Tradition, wie sie die Burka tragen. Und Hissa, da sie aus einer Tribe kommt, trägt die Burka so mit diesem kleinen Faden zwischen den Augen noch. Man sieht nur die Augen, man sieht den Rest ihres Gesichts nicht. Alles ist verdeckt. Aber es hat mich irgendwie angezogen, hat mich interessiert, wer das wohl ist, diese Person.
von Billerbeck: Stefanie Brockhaus, in Saudi-Arabien entscheidet ja der Ehemann alles. Auf welchem Weg haben Sie denn Kontakt aufgenommen zu der Frau, über die Sie diesen Film dann drehen wollten?
Brockhaus: Das war eine relativ kurze Recherche. Ich habe dann einen Journalisten gefunden, der über sie berichtet hatte, habe den angeschrieben, und fünf Minuten später hatte er mir ihre Telefonnummer geschickt und gesagt, ich könnte sie über diese Nummer erreichen. Und das habe ich dann gemacht, und dann war sie auch sofort dran, und da habe ich mich vorgestellt und habe gesagt, ich möchte Sie gern kennenlernen, und sie meinte, ich bin in Abu Dhabi, Sie können jederzeit kommen.
von Billerbeck: War es nötig, dass Sie als Team Frau/Mann diesen Film drehen in Saudi-Arabien?
Wolff: Es hat, glaube ich, einiges erleichtert. In Saudi-Arabien ist es schon schwierig, sich als Frau allein zu bewegen, und wenn man da zu zweit auftritt, dann ist es bei so einem Dreh schon sehr hilfreich, bestimmte Sachen eben zu umgehen. Wenn man, Steffi oder ich auch teilweise, irgendwo nicht rein kann, dann konnte das Steffi machen, und umgekehrt auch. Es ist ein kompliziertes Land voller Barrieren und voller Widersprüche.
von Billerbeck: Was für eine Frau haben Sie denn kennengelernt? Wie war das erste Treffen?
Hissa war unheimlich offen und freundlich
Brockhaus: Das erste Treffen war sehr überraschend, weil Hissa unheimlich offen war und freundlich, und wir irgendwie gleich einen sehr guten Kontakt hatten. Sie hat uns dann zum Essen eingeladen, und dann haben wir ihre Familie kennengelernt und auch ihren Mann, und sie hat uns allen vorgestellt. Das war gleich sehr freundschaftlich und sehr familiär. Aber so sind auch viele Araber und Muslime. Das ist einfach Teil ihrer Kultur.
von Billerbeck: Hissa Hilal wurde ja mit Gedichten bekannt, die sie in der höchst populären Fernsehsendung "Millions Poet" vorgetragen hat. Und sie hat in diesen Gedichten nicht etwa die Natur besungen, sondern sich über Terrorismus und Extremismus geäußert. Was sorgte denn für die größere Empörung: Dass sie diese Tabuthemen angesprochen hat, oder dass es eine Frau war, die das getan hat?
Wolff: Jetzt muss man unterscheiden, da geht man gleich in diese komplexen Themen der saudischen Gesellschaft, ob man aus der Perspektive der Religiösen die Hissa betrachtet oder aus der Perspektive der Beduinen. Für die Religiösen ist es extrem schwierig, dass Hissa sich gegen Extremismus ausspricht beziehungsweise ganz konkret einen Kleriker angreift. Das ist für die ein Problem. Und für die Beduinen, von deren Lager die Hissa kommt, ist es eigentlich nur ein Problem, wenn die Hissa auf der Bühne steht. Ob die sich gegen Religiöse ausspricht, ist ihnen eigentlich egal. Hauptsache, sie verhält sich politisch korrekt, und das hat sie aus Sicht der Beduinen getan, und da ist man halt mittendrin in diesen komplexen Themen der saudischen Gesellschaft.
von Billerbeck: Politisch korrekt sich zu verhalten, das hieß eben, wie wir es schon beschrieben haben, sie muss vollverschleiert in dieser Fernsehshow auftreten. Da gibt es also ganz skurrile Momente. Als sie zum Beispiel den Ausgang nicht findet, weil sie nicht genug sieht durch diese Verhüllung, und die Jury muss ihr den Weg weisen. Und sie kann auch nicht gut vom Zettel ablesen. War es Ihnen wichtig, dass man auch diese fast komischen Momente sieht in dieser eigentlich doch sehr ernsten Geschichte?
Sie tauschte Vollschleier gegen Burka
Brockhaus: Ja, ich glaube, das ist ein guter Moment, wo auch Hissa selbst ja den zur Komik macht, indem sie sagt, ich konnte noch nicht mal mehr mein Gedicht von meinem Zettel lesen – so geht's nicht. Also hat sie sich durchgesetzt und hat den Vollschleier runtergenommen und hat gesagt, ich ziehe die Burka an.
von Billerbeck: Sie zeigen aber auch in diesem Film, dass dieser öffentliche Auftritt ja nicht nur positive Seiten hat. Es werden viele Frauen gezeigt, die das toll finden, dass da eine Frau auf der Bühne steht. Aber Hissa wurde auch angegriffen und bedroht. Warum hat sie dennoch nicht aufgehört mit dem, was ihr Ziel ist?
Brockhaus: Ich glaube, sie hat ein tiefes Selbstbewusstsein, dass das, was sie gemacht hat, das absolut Richtige ist, und das nicht zu tun sie als falsch empfindet. Das verwurzelt sie in der Beduinentradition, die Hunderte, Tausende Jahre alt ist, wo sich Frauen immer in Form von Gedichten zu gesellschaftlich schwierigen Themen geäußert haben und auch dafür gekämpft haben. Das ist sozusagen Teil ihrer Tradition. Die kennt sie sehr gut, und sie sagt nur, wenn da jemand ein Problem damit hat, dann kennt er die Beduinenkultur nicht gut. Und deswegen mach ich das, was ich tun muss.
von Billerbeck: Im Tessin, wo ja das Festival Locarno stattfindet, da gibt es ein Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit. Hissa Hilal ist mit Ihnen zur Weltpremiere des Films angereist. Das heißt, öffentlich konnte sie ihr Gesicht zeigen. Aber wie war das, wenn sie Interviews gegeben hat?
Hilal will nicht angreifbar werden
Brockhaus: Sie möchte nur nicht fotografiert und gefilmt werden. Das macht sie einfach aus dem Grund, dass sie nicht angreifbar gemacht werden kann. Das war eigentlich die einzige Regel. Sie hat Journalisten getroffen unverschleiert, und sie ist auch auf die Bühne getreten, unverschleiert. Interessanterweise war ein Zuschauer im Publikum, der war an der Verabschiedung von diesem Gesetz hier im Tessin beteiligt und hat sie dann auch ganz klar angegriffen und hat gesagt, warum sagst du im Film, für dich wäre es kein Problem, den Niqab abzunehmen, und jetzt stehst du hier auf der Bühne und hältst dir den Schleier vors Gesicht.
von Billerbeck: Was hat sie gesagt?
Brockhaus: Sie hat gesagt, dass sie hier in der Öffentlichkeit steht und dass sie einfach nicht zum Ziel der Medien gemacht wird, und das ist der einzige Grund, warum sie ihr Gesicht verschleiert. Aber sie geht unverschleiert vor die Tür.
von Billerbeck: Beim Filmfestival Locarno sprach ich mit den Filmemachern Stefanie Brockhoff und Andreas Wolff, deren Dokumentation "The Poetess. Die Dichterin" am gestrigen Dienstag dort Weltpremiere hatte. Danke an Sie beide und auch an Ihre Protagonistin Hissa!
Brockhaus: Danke schön!
Wolff: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.