Stegemann-Essay "Das Gespenst des Populismus"

Scharfzüngige Attacken mit klarem Feindbild

Der Dramaturg Bernd Stegemann auf einer Pressekonferenz am Deutschen Theater Berlin, aufgenommen 2005
Der Dramaturg Bernd Stegemann © imago/DRAMA-Berlin.de
Von André Mumot |
Der Dramaturg Bernd Stegemann wettert und kämpft - zuletzt gegen das Performancetheater. In seinem neuen Essay "Das Gespenst des Populismus" geht es aber kaum noch ums Theater. Hier rennt er erbittert gegen Kapitalisten und sogenannte Besitzbürger an - und ruft auf zum Klassenkampf.
Wenn er austeilt, dann richtig. Bei der Beschreibung von dem, was seiner Ansicht nach schiefläuft an deutschsprachigen Bühnen, nimmt Bernd Stegemann kein Blatt vor den Mund. Um Theater geht es in seinem soeben erschienenen Buch allerdings nur noch am Rande. Milo Raus Inszenierung "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" wird im "Gespenst des Populismus" kurz lobend erwähnt, auch Ibsens analytische Dramen. Als Beispiel für die gute alte Zeit, denn, so Stegemann: "Ibsens Bürger hatten noch ein schlechtes Gewissen, das sie verstecken wollten, die Bürger der Postmoderne sind stolz darauf, ein schlechtes Gewissen zu haben."
Oft legt er den Finger sehr effektvoll in die Wunden unserer Gegenwart, vor allem dort, wo er erbittert gegen linksintellektuelle Selbstverständlichkeiten anrennt: "Veggie-Day statt Umverteilung, Biogemüse statt der Enteignung von Agrarkonzernen, die Afrika kolonialisieren, Political Correctness statt Klassenkampf." Und da fällt es dann auch schon, das Wort, um das sich auf diesen gut 160 Seiten alles dreht: Der "Klassenkampf zwischen Kapital und Menschheit." Schließlich gehe es bei uns "immer weniger um tatsächliche Ungleichheit als vielmehr darum, allen anderen ihre weniger entwickelte Moral vorzuwerfen."

Wohin ein "täglicher Überlebenskampf" führt

Um Stegemanns scharfzüngigen Attacken zu folgen, muss man bereit sein, ein sehr klares Feindbild zu akzeptieren. Schuld an allem, was schiefläuft in unserer Gesellschaft, haben die Kapitalisten und die sogenannten Besitzbürger, die bereit sind, mit dem Großkapital zusammenzuarbeiten, im Zweifelsfall durch Selbstausbeutung und Selbstoptimierung.
Demgegenüber stehen die prekären Existenzen, die, so Stegemann, in Deutschland heute 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, und im Zustand permanenter Ausbeutung den "täglichen Überlebenskampf" kämpfen. Dass sie dann aufbegehren und den rassistischen Demagogen der AfD anheimfallen, findet er durchaus verständlich, schließlich müsse eben dieses untere Drittel der deutschen Gesellschaft seinen Beitrag zur Willkommenskultur leisten, in dem es, "seinen Lebensraum teilen soll. Die Folgen sind nicht nur eine Belastung der sozialen Sicherungssysteme, rasant zunehmende Wohnungsknappheit und Lohndumping, sondern auch ein sprunghaftes Anwachsen von Fremdenfeindlichkeit."

Ausfälle der Rechtspopulisten als notwendiges Korrektiv?

Stegemann macht keinen Hehl daraus, dass er die Ausfälle der Rechtspopulisten als notwendiges Korrektiv ansieht für eine Gesellschaft, die sich im Neoliberalismus ausruht. Seine Weltsicht erweist sich dabei als erschreckend eingleisig. Grob zusammenfassen kann man seine Forderung so: Lasst das Gerede über Uni-Sex-Toiletten und nehmt den Klassenkampf auf. Haben die Menschen den Klassenkampf, müssen sie keine Rassisten werden. Hass auf die Besitzenden macht den Hass auf die Migranten überflüssig und ist moralisch in jedem Fall unbedenklich. Aha.
Man kann, man muss widersprechen bei der Lektüre, sich getroffen fühlen, sich ärgern über die Terminologie des Autors, wenn er etwa Gesine Schwan den "Gestus des postmodernen Herrenmenschen" unterstellt, weil sie in einer Talkshow bei AfD-Argumenten genervt die Augenbrauen hochzieht. Besonders fragwürdig ist dies, weil mit keinem Wort erwähnt wird, welche konkrete Aussagen der Rechtspopulisten dieses Augenbrauenhochziehen ausgelöst haben.
Ab der kommenden Spielzeit gehört Bernd Stegemann als Dramaturg zum Team des neuen Berliner Ensembles unter Oliver Reese. Es bleibt abzuwarten, welche Reibungen so viel grollende Streitlust dort entfalten wird. Dass er vorhat, ein Stachel im Fleisch des Betriebs zu bleiben, hat er jedenfalls ausreichend bewiesen.

Bernd Stegemann: Das Gespenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie
Theater der Zeit, Berlin 2017
180 Seiten, 14 Euro

Mehr zum Thema