Steigende Energiepreise und die Folgen

Wenn einem mit dem Strom auch das Kind weggenommen wird

07:33 Minuten
Theromostat welches auf die Einstellung Frostschutz eingestellt ist.
Wenn man sich nur noch den Frostschutz leisten kann: Der Anstieg der Energiepreise kann für ärmere Haushalte existenzbedrohend sein. © imago / Chromorange
Von Annette Kammerer |
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Gas, Strom, Benzin: Die steigenden Energiepreise sind für alle Verbraucher ein Ärgernis. Für ärmere Haushalte, die über keine finanzielle Reserven verfügen, können die Folgen drastisch sein. Sozialverbände fordern staatliche Hilfen für diese Menschen.
Es waren gerade einmal rund zweihundert Euro, die Katharina Well in eine Katastrophe zu stürzen drohten:
"Irgendwann war dann halt auch der rote Zettel drin", berichtet sie. "Da steht ein Datum drauf mit einer Uhrzeit, ansonsten wird halt abgeklemmt zu dem jeweiligen Zeitpunkt."
Well, die eigentlich anders heißt, ist damals, als der rote Zettel in ihrem Briefkasten liegt, Ende 20, alleinerziehend – und verschuldet.
Neben Handy- und Mietschulden, hat die Schwerinerin auch Stromschulden. Und weil sie die rund 200 Euro aus der Jahresabrechnung nicht begleichen konnte, drohte ihr der Versorger mit einer Stromsperre:
"Man steht da erst mal vor einer Stahlmauer, die nicht zu bewältigen ist."

Es droht der Entzug des Kindes

Doch kein Strom bedeutet für die junge Mutter nicht nur, kein Licht, kein heißes Wasser und keinen Herd zum Kochen zu haben. Im schlimmsten Fall nimmt das Jugendamt auch noch das eigene Kind in Obhut.
"Man ist arbeiten, man tut und tut und bekommt so eine Sache dann nicht bewältigt. Dann in der Angst zu sein, dass es darauf dann zurückfällt, was das Kind anbelangt und die Familie – dann wird’s wirklich holprig. Mehr als arbeiten gehen kannst du ja nun auch nicht."
Dabei arbeitet Katharina Well Vollzeit. 40 Stunden im Callcenter, wie sie sagt, auch mal am Wochenende, auch mal in der Nacht. Aber immer nur knapp über Mindestlohn.
Als ihr mit dem roten Zettel eine Stromsperre drohte, wendete sie sich an die Volkssolidarität.
"Hallo, Volkssolidarität Schwerin, Rosendahl mein Name." Katja Rosendahl leitet in Schwerin die Schuldnerberatung. Im Jahr berät sie rund 1000 Menschen. 80 Prozent von ihnen haben auch Stromschulden, so Rosendahl.
"Wir haben immer wieder monatlich Anfragen, wie man es regeln und Stromsperren verhindern kann. Aber wir sehen auch, dass, wer überschuldet ist, üblicherweise auch Stromschulden hat, weil es ein so hoher Kostenfaktor ist, der nur schwer regelbar ist mit staatlichen Leistungen oder mit einem Niedriglohn."

Viele haben keinerlei finanzielle Reserven

Unter Rosendahls Klienten ist beispielsweise der Geflüchtete, dem sie den Strom abgestellt hatten. Die alleinerziehende Mutter mit psychischen Problemen, der mit dem Strom auch das Kind weggenommen wurde, oder der Frührentner, der plötzlich mehrere tausend Euro hätte nachzahlen müssen.
"Wir diskutieren darüber, dass jeder einen Anspruch auf den Internetanschluss hat. Aber dass es Menschen gibt, die keinen Strom haben, weil sie es sich nicht leisten können – das ist schwierig. Ich wünsche jedem, dass er es nicht merkt, wenn er 300 Euro Nachzahlung machen muss. Aber es gibt halt viele Menschen, die schon bei einer Rechnung von 150 Euro Schweißausbrüche kriegen."
Tatsächlich aber sind die Preise für Strom, Gas oder Heizöl stark gestiegen. Heizöl beispielsweise kostet heute gut doppelt so viel wie vor einem Jahr. Gas ist fast ein Drittel teurer. Preisentwicklungen, die selbst Julia Panke von den Stadtwerken Schwerin ungewöhnlich findet:
"Wir haben Kolleginnen und Kollegen hier, die sind 20, 30 Jahre im Unternehmen, die sagen, sowas haben sie noch nicht erlebt in dem Ausmaß. Die Gaspreise am Terminmarkt haben sich innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht. In diesem Ausmaß ist das bislang in der jüngeren Geschichte einzigartig."

Eine solche Situation gab es noch nie

Und so wird auch Strom immer teurer. Selbst einige Grundversorger sehen sich gezwungen, die Preise bald anzupassen, wenn sie es nicht schon getan haben, erklärt Julia Panke:
"Das wird überall kommen. Ich kann mir nicht vorstellen – außer irgendwelche Wettbewerber beziehen ihre Gasvorräte von einem anderen Planeten oder so – ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, wie jemand ohne Preisanpassungen auskommt. Wir sehen ja jetzt schon, dass andere Anbieter beispielsweise Aufnahmestop für Neukunden haben, weil sie sich erst einmal komplett neu aufstellen müssen, weil so eine Situation einfach noch nicht da war."
Diese überall steigenden Preise stellen vor allem Haushalte mit geringem Einkommen vor ein existenzielles Problem, warnt Rosendahl von der Volkssolidarität:
"Es wird für die Menschen viel, viel schwerer, die Stromsperre zu verhindern. Es kommt zu hohen Nachzahlungen in der Verbrauchsabrechnung. Und das ist natürlich sehr schwierig, weil, gerade ohne Strom zu leben, ist schon ein ziemlich harter Faktor in einem Land wie Deutschland."

Gas, Strom, Benzin: Was den steigenden Energiepreisen entgegnet werden kann
Die Preise für Gas, Strom und Benzin steigen rasant und belasten Verbraucher wie Unternehmen. Daher werden Forderungen nach Hilfen und Entlastungen lauter. Einzelne EU-Staaten versuchen bereits, ärmere Haushalte zu unterstützen. Auch die EU-Kommission hat einen Maßnahmenkatalog vorgestellt.

Ein Autofahrer tankt ein Auto mit Benzin Super E5 an einer Tankstelle.
© picture alliance/dpa | Carsten Koall
Schwierig wird es vor allem für Haushalte, die Sozialleistungen beziehen. Denn bei Hartz IV beispielsweise ist auf den Euro genau festgelegt, was für Heizung ausgegeben werden darf oder was für Strom drin ist.
"Wir haben im Moment eine extrem belastende Situation", erklärt Denis Peikert, Referent in der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband SoVD:
"Wir haben als SoVD schon etliche Jahre gefordert, dass die Regelsätze ansteigen sollen. Dann kam die Pandemie, da haben wir gesagt, es geht so nicht weiter. Wir brauchen einen monatlichen Zuschuss von 100 Euro für Hartz-IV-Empfängerin und Hartz-IV-Empfänger. Und jetzt sind wir in der Situation, dass die Regelsätze nächstes Jahr um zwei bis drei Euro erhöht werden sollen, was aber natürlich bei einer Inflation von vier Prozent eigentlich eine Kürzung bedeutet."

Andere Länder entlasten die Bürger

Doch Sozialleistungen zu erhöhen, ist nur ein Mittel, das der Politik zur Verfügung steht. Europäische Nachbarländer reagieren im Gegensatz zu Deutschland längst auf die steigenden Preise:
"Wenn man schaut: Frankreich hat eine Tarifbremse für Strom und Gas angekündigt, will ärmere Haushalte um 100 Euro entlasten. Italien will drei Milliarden Euro ausgeben, um ärmeren Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnung zu erlassen, zum Beispiel durch Steuersenkungen. Da sind schon konkrete Maßnahmen angekündigt und in Deutschland passiert aktuell wenig, was natürlich den aktuellen Verhandlungen geschuldet sein mag, aber es ist natürlich schwierig für die Leute, die es gerade betrifft."
Es sind vor allem Menschen wie Katharina Well, die unter den steigenden Preisen leiden. Die noch nicht einmal ein paar hundert Euro auf der hohen Kante haben und die in einem Land wie Deutschland von der Hand in den Mund leben – trotz Vollzeitjob.

Das Leben wird immer teurer

"Man zahlt in einem Drei-Mann-Haushalt hier 75-80 Euro. Dann noch mal 20 Euro drauf, also das weiß ich nicht. Die neue Jahresabrechnung, wenn die einem reinflattert, dann wird einem schlecht. Weiß nicht, wie ich das begleichen soll."
Seit drei Jahren ist die heute Anfang 30-jährige Schwerinerin schon in der Privatinsolvenz. Eigentlich wollte sie dieses Jahr den Ausstieg aus den Schulden schaffen, dann aber kam Corona und jetzt das Leben, das immer teurer wird:
"Ich hätte nach drei Jahren eigentlich gedacht, dass ich rauskomme. Ja, aber jetzt muss ich noch mal zwei Jahre dran."
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