Steigende Mieten
"Wir Mieter leiden": Menschen bei einer Demonstration gegen Wohnungsspekulation in Berlin. © Deutschlandradio / Annette Kammerer
Wenn Investoren mit Wohnraum spekulieren
07:52 Minuten
In kaum einer anderen deutschen Großstadt sind die Mieten in den letzten Jahren so stark gestiegen wie in Berlin. Auch weil Immobilienkonzerne in großem Stil Wohnungen kaufen, um sie später mit Gewinn wieder abzustoßen – auf Kosten der Mieter.
"Ich war kurz davor, den wegzuschmeißen. Tatsächlich, weil das so ein bisschen aussah wie Werbung", sagt Ella, eine junge Frau aus Berlin. Vor gut einem Jahr liegt ein Flyer in ihrem Briefkasten: "Und dann habe ich mir das durchgelesen und dann war uns irgendwie recht schnell klar, dass das jetzt wieder ein neuer Vermieter wird."
Ella mietet eine Wohnung im Prenzlauer Berg. Ihr Vermieter: die Gabriel International Gruppe mit Sitz in London. Anfang des Jahres verkauft sie rund 4000 Wohnungen für mutmaßlich 800 Millionen Euro. Käufer ist die schwedische Heimstaden-Gruppe. Zwei Unternehmen, von denen hierzulande bislang kaum einer gehört hat.
"Keiner weiß, wer dahinter steckt"
Auch die Mieterin Ella nicht: "Man muss sich wieder mit jemandem Neuen auseinandersetzen, der auch nicht wirklich mit einem spricht und das ist einfach wahnsinnig anstrengend. Und vor allem wissen wir immer noch nicht, wer war Gabriel International. Also keiner weiß, wer dahintersteckt. Und jetzt ist es wieder so ein großes Unternehmen."
Für Ella bedeutete der Verkauf erst Unsicherheit, dann Angst. Denn schon mit dem alten Vermieter gab es immer wieder nur Probleme: Die Londoner Investment-Gruppe Gabriel, setzte ständig neue Hausverwaltungen ein, die sich kaum kümmerten.
Mit dem neuen Eigentümer aber könnte sich auch noch die Miete erhöhen: "Hier so zu wohnen könnte ich mir nicht leisten. Eine Straße weiter schon. Wir können über den Innenhof quasi aufs nächste Haus gucken. Das Haus könnte ich mir schon nicht leisten, weil die einfach noch mal viel höhere Mieten haben."
Ella zahlte für ihre unsanierte Zwei-Raum-Wohnung bislang rund 1000 Euro warm, als Staffelmiete. Jedes Jahr kommen 100 Euro drauf. Laut Mietpreisspiegel sollte ihre Wohnung allerdings rund 300 Euro weniger pro Monat kosten.
Nachforderungen wegen des gekippten Mietendeckels
Doch kurz nach dem Verkauf liegt wieder ein Schreiben in Ellas Briefkasten. Dieses Mal schreibt der alte Eigentümer aus London und fordert plötzlich eine Nachzahlung von allen Mietern, erzählt Ellas Nachbar Alois, der seinen echten Namen aus Angst lieber nicht öffentlich machen möchte.
"Manche hatten 50 Euro, manche hatten 1000 bis 2000 Euro auch von anderen Häusern", sagt er. Da ist es dann schon, wenn man eine Staffelmiete hat und 2000 Euro zahlen muss, eventuell kein fester Angestellter ist, keinen festen Job hat oder sonst irgendwo ein Einkommen da ist. Ja, da war es plötzlich hart."
Der Grund: der Berliner Mietendeckel. Der galt eine Zeit lang und senkte auch Ellas Miete. Doch weil das Bundesverfassungsgericht ihn dann für rechtswidrig erklärte, will der alte Vermieter Gabriel die zu wenig gezahlte Miete nun zurück. "Man fühlt sich ein bisschen hilflos, weil man muss irgendwie innerhalb von einem Wochenende eben mal zum Experten werden", sagt sie.
"Ich muss diese ganzen Schreiben mir durchgucken und schauen: Gibt es hier irgendwie einen Subtext, den ich nicht lese, weil ich irgendwie kein juristisch kann? Das ist für mich wahnsinnig frustrierend und es macht ja auch ein bisschen Angst, weil man einfach nicht genau versteht: Worum geht es hier?"
Jetzt gilt wieder nur die Mietpreisbremse
Die gesetzliche Lage für Mieter in Berlin ist mittlerweile kaum mehr zu durchblicken: Erst galt nur die Mietpreisbremse, dann kam der Mietendeckel, der dann gekippt wurde – und jetzt gilt wieder nur die Bremse.
Durch den Verkauf von Gabriel an Heimstaden ist all das noch einmal doppelt so kompliziert geworden. Auch, weil die Vermieter oft im Ausland sitzen. Die Firma Gabriel beispielsweise sitzt in London. Und hat weder eine Webseite noch eine Telefonnummer.
Das ARD Studio London sucht an der im britischen Firmenregister angegebenen Adresse. Vergebens. "Ich habe gerade an der Rezeption gefragt – und die haben von der Firma gar nichts gehört. Die Dame an der Rezeption meinte, seit 2019 war hier keine Gabriel International Assets Limited, sie bekommt auch keine Post von denen. Die Angabe muss entweder falsch sein – oder die Firma gibt es hier auf jeden Fall nicht."
Wir haben schriftliche Anfragen an die Firma Gabriel und die Heimstaden-Gruppe geschickt, auch das ohne Erfolg.
Mega-Deals wie der Verkauf von Gabriel an Heimstaden sind keine Seltenheit. Auch dass sich Investmentfirmen wie Gabriel auf dem deutschen Immobilienmarkt eingekauft haben, sei nicht ungewöhnlich, meint Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Spekulation auf steigende Berliner Hauspreise
"Das ist jetzt im Berliner Immobilienmarkt ganz besonders",sagt er. "Da gab es in den letzten zehn Jahren ganz massive Wertsteigerungen, wo sich der Wert von Immobilien teilweise verdoppelt oder sogar verdreifacht hat."
Das Problem: Die Firmen spekulierten auf steigende Hauspreise. Und wenn die Hauspreise immer weiter steigen, müssen irgendwann auch die Mieten steigen, so Trautvetter.
"Und wenn jetzt diese Wertsteigerung realisiert wird, das heißt: Der ursprüngliche Investor in diesem Fall Gabriel nimmt diese Wertsteigerung mit, lässt sie sich auf sein Privatkonto auszahlen im Prinzip", erklärt er.
"Der neue Investor muss diesen teureren Preis zahlen und ist dadurch gezwungen, in Zukunft eben die Mieten zu erhöhen. Und zwar massiv zu erhöhen, um diesen hohen Kaufpreis irgendwie wieder reinzuspielen. Das ist also das Problem an jeder dieser Transaktionen."
Ende der 90er-Jahre, Anfang der 2000er seien viele "Hochrisiko-Investoren" in den deutschen Immobilienmarkt eingestiegen, erklärt Trautvetter. Sie hätten große, teilweise staatliche Wohnungsbestände aufgekauft – und sie nach ein paar Jahren zu höheren Preisen wieder verkauft. Also schlicht mit Wohnraum spekuliert.
"Das ist für mich ein Marktversagen"
"Also wir haben tatsächlich Kapital, was übrig ist. Große Vermögen, die angelegt werden müssen. Rentenversicherungen, die nach Rendite bringenden, aber gleichzeitig sicheren Investitionen suchen." Und diese Rendite und Sicherheit findet es in Immobilien.
Doch Investitionen in bestehenden Wohnraum sei, so Trautvetter, streng genommen eben kein Investment: "Das Geld investiert nicht, es schafft keine Werte, sondern es wird nur geparkt und spekuliert auf Wertsteigerungen", erklärt er.
"Es sichert regelmäßige Erträge aus den Mieteinnahmen und wird da vor allen Dingen eben durch die Wertsteigerung überproportional dafür entlohnt, ohne aber eigentlich den dahinterstehenden Wert zu schaffen. Deshalb ist das für mich eigentlich ein Marktversagen."
Geld also, das keinen neuen Wohnraum schafft, sondern nur darauf setzt, dass der vorhandene Wohnraum teurer wird – und mit ihm auch irgendwann die Mieten.
Der nächste Mega-Deal zeichnet sich ab
"Man kommt gar nicht mehr hinterher. Also man wartet ja immer nur so ein bisschen darauf. Wann kommt der nächste große Haifisch, der sich hier irgendwie einkauft? Und das ist eine Absurdität", kritisiert Christoph Trautvetter.
"Die kann man, glaube ich, gar nicht so richtig erklären, wenn man nicht in Berlin wohnt. Weil das zum Normalzustand wird. Wenn ich jemanden höre, der einen privaten Vermieter hat, also einen Menschen auf dem Briefkopf, da staune ich. Das ist einfach die Ausnahme geworden – und das finde ich wirklich absurd."
Auf dem Berliner Immobilienmarkt zeichnet sich übrigens schon der nächste Mega-Deal ab – und er soll noch größer werden, als der zwischen Gabriel und Heimstaden.
Der Immobilienkonzern Akelius verkauft 28.000 Wohnungen. 17.000 davon in Berlin und Hamburg. Der Käufer: wieder Heimstaden. Der Preis: stolze 9 Milliarden Euro.