Steinkohle-Ausstieg "Schritt für Schritt"

Peter Müller im Gespräch mit Marcus Pindur · 29.09.2010
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) wendet sich gegen das Vorhaben der EU, das Auslaufen der Steinkohle-Subventionierung auf 2014 vorzuziehen. Eine tragfähige Finanzierung der so genannten Ewigkeitslasten sei kurzfristig nicht zu sichern.
Marcus Pindur: Eigentlich schien alles in trockenen Tüchern, und das schon seit Jahren: Bis 2018 soll der hoch subventionierte Steinkohlebergbau in Deutschland auslaufen. Eine Tonne deutscher Steinkohle aus Flözen tief unter der Erde abgebaut kostet ein Dreifaches des Weltmarktpreises – vernünftig also, die Subventionen auslaufen zu lassen, aber mit Rücksicht auf die Arbeitsplätze nur schrittweise.

In diesen deutschen Konsens platzte auf einmal ein Vorschlag aus der EU-Kommission: Der Ausstieg müsse schon vier Jahre früher, also 2014, vonstattengehen. Die IG Bau, Chemie, Energie ist alarmiert: Sie will heute in Brüssel gegen die Vorschläge aus der Kommission demonstrieren. Betroffen sind zwei Bundesländer, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Und wir sind jetzt verbunden mit dem Ministerpräsidenten des Saarlandes Peter Müller. Guten Morgen, Herr Müller!

Peter Müller: Hallo, guten Morgen!

Marcus Pindur: Eine Tonne Steinkohle aus dem Saarland kostete nach Berechnungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG 2007 191 Euro, und das war damals ungefähr drei Mal so viel wie eine Tonne Steinkohle auf dem Weltmarkt. Wäre es denn nicht besser, den Steinkohlebergbau so früh wie möglich zu schließen und damit auch die Steuerzahler zu entlasten?

Müller: Ich glaube nicht, dass es zu einer Entlastung der Steuerzahler kommen würde, denn wenn wir sozusagen über Nacht den Steinkohlebergbau beenden, gibt es auf der einen Seite in erheblichem Umfang Nachsorgeaufwendungen – die Bergwerke müssen betreut werden, die Wasserhaltung muss weitergeführt werden –, und wir hätten in einer sehr großen Zahl Freisetzungen in den Arbeitsmarkt, es müssten also Arbeitslose finanziert werden, die bisher eine Beschäftigung haben. Es würden Steuereinnahmen verloren gehen. Es ist einfach vernünftig, einen Weg des sozialverträglichen Ausstiegs zu gehen, Schritt für Schritt die Subventionen auf null zu fahren. Am Ende ist dies auch unter Subventionsgesichtspunkten der richtige Weg.

Marcus Pindur: In Frankreich zum Beispiel hat man die letzte Grube aber schon 2005 geschlossen. Da gab es großzügige Abfindungen und Ruhestandsregelungen. Warum geht das nicht in Deutschland?

Müller: Auch in Frankreich war das das Ergebnis eines über mehrere Jahre gestreckten Prozesses. Die Franzosen haben die Entscheidung, den Steinkohlebergbau auslaufen zu lassen, früher getroffen. Aber auch dort hat man nicht über Nacht die Gruben abgeschlossen. Wir werden nach Beendigung des Bergbaus sogenannte Ewigkeitslasten zu tragen haben. Auch dann wird die Wasserhaltung zu regeln sein, wird Wasser abgepumpt werden müssen, damit in bestimmten Bereichen die Stätten und Gemeinden nicht absaufen. Und diese Ewigkeitslasten werden wir nur tragen können, wenn die Kohlestiftung, die wir gegründet haben, über ein ausreichendes Kapital verfügt. Das ist bis 2014 nicht zu schaffen.

Marcus Pindur: Die Grünen sind keine großen Freunde der Kohleverstromung, der Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion Jürgen Trittin hat sich auch für 2014 als Ende der deutschen Steinkohleförderung ausgesprochen. Sie regieren ja mit FDP und Grünen – haben Sie auch ein Problem im eigenen Kabinett?

Müller: Nein, wir haben im eigenen Kabinett überhaupt kein Problem. Bestandteil des Koalitionsvertrages im Saarland ist, dass der Steinkohlebergbau sozialverträglich beendet werden soll, und nicht durch abrupte Entscheidungen über Nacht, bei denen die Schäden größer sind als dasjenige, was an Einsparungen erzielt werden kann. Wenn ich es richtig sehe, ist auch in Nordrhein-Westfalen – und auch dort regieren die Grünen ja mit – das System des sozialverträglichen Ausstiegs Grundlage der Regierungspolitik. Der Herr Trittin kann von Berlin aus, wo er keine Verantwortung zu tragen hat, leicht große Töne spucken: Den Problemen, die zu bewältigen sind und der Situation der Menschen wird man mit solchen Sprüchen nicht gerecht.

Marcus Pindur: Wenn wir schon gerade in Berlin sind: Wie verhält sich denn die Bundesregierung zu Ihrem Anliegen?

Müller: Ich bin sehr dankbar, dass die Bundeskanzlerin sehr klar und sehr deutlich gesagt hat, dass sie für den Kohlekompromiss von 2007 in Brüssel streiten wird, dass sie sich dafür einsetzen wird. Im Energiekonzept ist ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beendigung des Steinkohlenbergbaus auf der Grundlage der nationalen Vereinbarungen stattfinden soll. Also die Bundesregierung ist in dieser Frage an der Seite der Revierländer.

Marcus Pindur: 2012 soll der Kohlepakt noch einmal überprüft werden, das ist die sogenannte Revisionsklausel. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass es da ein grundlegend anderes Ergebnis gibt. Aber könnte man diese Überprüfung nicht als Verhandlungsmasse gegenüber Brüssel in die Waagschale werfen?

Müller: Meines Erachtens ja, in Brüssel ist ja die Befürchtung, dass mit der Diskussion um die Verschiebung hinter das Jahr 2014 der Versuch verbunden ist, dann doch dauerhaft den Steinkohlenbergbau zu subventionieren. Um dort ein Stück Verlässlichkeit, Klarheit zu schaffen, wäre es sicherlich hilfreich, wenn wir sagen, es bleibt bei diesem Weg, die Revisionsklausel wird nicht gezogen. Ich jedenfalls hätte kein Problem damit, wenn die Revisionsklausel aus dem Steinkohlefinanzierungsgesetz herausgenommen würde.

Marcus Pindur: Herr Müller, haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch!

Müller: Bitte schön!

Marcus Pindur: Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, in Deutschlandradio Kultur.