Beim Kohlekompromiss "vergessen"
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Im Saarland wächst der Ärger über den Kohlekompromiss, denn für das dortige ehemalige Steinkohlerevier sind keine finanziellen Hilfen vorgesehen. 52 Bürgermeister fordern nun für ihre Region Strukturgelder.
Die saarländischen Bergbaukommunen fühlen sich vernachlässigt. Nachdem auf Empfehlung der Kohlekommission die Bundesregierung für die kommenden 20 Jahre 40 Milliarden Euro für die Braunkohlereviere in Aussicht gestellt hat, fragen sich Städte und Dörfer im Saarland, wo denn ihre Unterstützung für den notwendigen Transformationsprozess bleibt. In einem Brandbrief an die Bundesregierung fordern die Bürgermeister deshalb Strukturhilfen.
"Weil wir in einer Art und Weise, wie das jetzt für die Braunkohlereviere Berücksichtigung findet, nicht berücksichtigt wurden. Wir sind in einer ähnlichen Situation, beziehungsweise schon seit Jahren, wo wir diesen Strukturwandel betreiben, auch in den nächsten Jahren noch ganz weit nach vorne bringen müssen und werden nicht in einer angemessenen Art und Weise von der Bundesregierung unterstützt", sagt Klaus-Peter Brill, Bürgermeister von Lebach.
Konstruktiver Widerspruch und keine Neiddiskussion
Die Gemeinden berufen sich dabei auf den gesetzlich verbrieften Grundsatz, dass für alle Regionen in Deutschland gleiche Lebensverhältnisse gelten sollen. Gegen Vorwürfe, sie würden lediglich eine Neiddiskussion vom Zaun brechen, verwahren sich die Bürgermeister. "Also wir sagen ja nicht, die haben das nicht verdient, sondern im Gegenteil, wir sagen, sie haben diese Schäden und haben diese Strukturprobleme, da soll es auch diese Unterstützung geben. Aber wir hatten die auch und haben die auch und auch dort ist eine Unterstützung wichtig", betont Thomas Redelberger, Rathauschef in Heusweiler.
Im Sommer 2012 fuhren Bergleute an der Saar ein letztes Mal ein. Etwas mehr als 1000 saarländische Bergleute, die seinerzeit zu jung waren, um in den Vorruhestand entlassen zu werden, wurden bis zum endgültigen Aus des deutschen Steinkohlenbergbaus Anfang dieses Jahres auf Zechen an der Ruhr und in Ibbenbüren beschäftigt. Dadurch wurde ihnen ermöglicht, die vorgezogene Altersgrenze zu erreichen.
Ein Ausstieg unter anderen Bedingungen
Der Ausstiegszeitpunkt aus dem deutschen Steinkohlenbergbau orientierte sich in erster Linie an sozialen Kriterien. Kein Bergmann sollte betriebsbedingt gekündigt werden. Dabei seien allerdings die Zukunftsperspektiven der übrigen Bevölkerung und auch der Kommunen auf der Strecke geblieben, argumentiert Peter Lehnert, Bürgermeister der Gemeinde Nalbach: "Die Bergleute sind nicht ins Bergfreie gefallen, der Bergbau ist zu deren Zufriedenheit abgewickelt. Aber wenn wir über "sozialverträglich" reden, fehlen die Bergbaubetroffenen und die Kommunen, und da arbeiten wir jetzt dran."
Heute, beim umweltpolitisch gewollten Ausstieg aus der Braunkohle seien die Voraussetzungen völlig anders, argumentiert Lehnert. In der Kohlekommission hätten Städte, Gemeinden, Umwelt- Wirtschafts- und Sozialverbände sowie Wissenschaftler am Tisch gesessen und sich Gedanken darüber gemacht, wie der notwendige Strukturwandel in den Braunkohlerevieren bewältigt werden könne. Die saarländischen Gemeindevorsteher wünschen sich nach diesem Vorbild ebenfalls Zukunftsprojekte. Diese sollen vor allem energetisch den Weg in eine neue Zeit weisen, sagt der Saarwellinger Bürgermeister Manfred Schwinn:
"Teilweise liegt auf unserem Gebiet der ehemalige Nordschacht der RAG. Hier gibt es auch schon Studien, um ein Pumpspeicherkraftwerk eventuell zu bauen. Das wäre zum Beispiel ein Punkt, nicht für Saarwellingen allein, sondern für das Saarland als Energieland. Wenn man ein solches Pumpspeicherkraftwerk wirtschaftlich bauen könnte oder kann, dann würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung und alle betroffenen Landesregierungen sich daran orientieren, um neue Energie zu installieren. Ich denke, damit wäre ganz Deutschland geholfen."
Projekte für neue Nutzungen
Die Frage ist allerdings, ob es dafür nicht zu spät ist. Bereits 2012 war darüber diskutiert worden, ob die stillgelegten Schächte, die bis zu 1500 Meter tief ins Erdinnere reichen, zur Energiegewinnung genutzt werden können. Technisch machbar ist es, nur teuer. Ohne finanzielle Unterstützung wird sich wohl kein Investor herantrauen. Eine Chance könnte vielleicht das vom Bundeswirtschaftsministerium aufgelegte Programm mit Namen "Reallabore der Energiewende" bieten. In den kommenden drei Jahren stehen 100 Millionen Euro bereit, um zukunftsfähige Energietechniken zu erproben. Die Ausschreibung für entsprechende Förderanträge läuft.
Im Saarland wurde allerdings nicht nur Steinkohle gefördert. Auf engstem Raum wurde in mehreren Großkraftwerken auch Strom und Wärme erzeugt. Eines dieser Kraftwerke ist bereits stillgelegt, zwei weitere werden als Reservekraftwerke vorgehalten, um die Netze zu stabilisieren, wenn der Wind mal nicht weht.
Lücken in der Wunschliste
Aber auf Dauer sollen diese Kraftwerke abgeschaltet werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf den saarländischen Arbeitsmarkt, erläutert Ministerpräsident Tobias Hans:
"Wenn das Saarland aus der Kohleverstromung eines Tages aussteigen sollte, dann ist damit verbunden letztendlich ein möglicher Verlust von 500 bis 600 Arbeitsplätzen, und das bedeutet für das Saarland tatsächlich schon etwas, und deshalb legen wir da größten Wert darauf – auch im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse – berücksichtigt zu werden."
Im Bericht der Kohlekommission wird eine solche Möglichkeit ausdrücklich eröffnet. Für den Fall, dass der Betrieb eines Kohlekraftwerkes das wirtschaftliche Wohlergehen einer Region maßgeblich mitbestimmt, empfiehlt der Bericht entsprechende Maßnahmen, um Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Zwar ist es der saarländischen Landesregierung vor diesem Hintergrund gelungen, in den Abschlussbericht der Kohlekommission zumindest eine Art Projekt-Wunsch-Liste hinein zu verhandeln und damit ein kleines Ausrufezeichen zu setzen. Allerdings ändert dies nichts daran, dass die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung die Steinkohlenreviere bei ihren Überlegungen schlicht nicht auf der Rechnung hatte. Und ob die saarländischen Bürgermeister da noch viel ausrichten können, darf bezweifelt werden.