Stephan Hermlin

Der "letzte Kommunist" des 20. Jahrhunderts

Der Schriftsteller Stephan Hermlin (hier auf einem Archivfoto von 1995). Hermlin starb 1997.
Der Schriftsteller Stephan Hermlin (hier auf einem Archivfoto von 1995). Hermlin starb 1997. © picture alliance/dpa/ZB
Von Christian Linder |
Als Kommunist im Maßanzug erschien der Schriftsteller Stephan Hermlin vielen. Er war einer der Repräsentanten der DDR-Literatur, und der Untergang der DDR war für ihn seine größte Lebensniederlage. Heute vor hundert Jahren wurde Hermlin geboren.
Seine zentralen Lebensfragen hat Stephan Hermlin in einem Hörspiel versteckt und sie Friedrich Hölderlin aussprechen lassen: "Was wollt ich denn? Was ist mir fehlgeschlagen? Was wird man antworten, wenn du dahin bist und die Leute fragen: Was hat ihm gefehlt?"
"Scardanelli" nannte Hermlin sein Ende der 1960er Jahre geschriebenes Hörspiel, nach dem mysteriösen Namen, mit dem Hölderlin nach Jahrzehnten des öffentlichen Verstummens gelegentlich doch noch geschriebene späte Verse unterzeichnete. Denn der alte Name war verbraucht, wie Hermlin Hölderlin im Hörspiel sagen ließ: "Ich bin nicht mehr von demselben Namen."
Auch Stephan Hermlin hatte seinen alten Namen abgelegt. Geboren als Rudolf Leder am 13. April 1915 in Chemnitz, war aus dem in einer jüdisch-bürgerlichen Familie aufgewachsenen Fabrikantensohn im Berlin der 1920er- und 1930er-Jahre ein kommunistischer Untergrundkämpfer geworden, der, von Karl Marx’ Manifest mitgerissen, gleichzeitig an seiner jugendlichen Hölderlin-Begeisterung festhielt und mit dem Schreiben von Balladen sich in den Schriftsteller Stephan Hermlin verwandelt hatte. In diesen Gedichten sah er "tote Städte", wie er 1940/41 schrieb: "Reiche verfluchten Seelen / Deine zagende Hand, / Lass von ihnen erwählen / Dir ein künftiges Land. / Über Gebirge und Meere / Stürzen wir mit dem Wind, / Wo in versteinerter Leere / Brütend die Städte sind."
Als die Strahlung solcher Verse sich nach 1945 als Ruhm verbreitete, lebte Stephan Hermlin in Ost-Berlin und war bald einer der Vorzeige-Autoren der DDR geworden, dessen "antifaschistischer" Lebenskampf im Hitler-Deutschland mit Exil-Stationen in Palästina, Spanien, Frankreich und der Schweiz als "beispielhaft" empfunden wurde. Erst Jahrzehnte später kam heraus, dass Hermlin viele biographische Fakten bis hin zu einem Aufenthalt im Konzentrationslager Sachsenhausen erfunden hatte. Hermlin konterte, er habe zum Beispiel in seinem Ende der 1970er Jahre erschienenen Erinnerungsbuch "Abendlicht" ein autobiografisches "Ich immer auch" im Sinne von Goethes Dichtung und Wahrheit durch Formen des Schweigens und Verschweigens zu gestalten versucht.
Hymnen auf Stalin
Bekannte aus der DDR-Zeit wie der Schriftsteller Günter Kunert haben Hermlin im persönlichen Umgang denn auch so erlebt, als einen "homme de lettre" durch und durch, dessen Tücken und Widersprüche nur aus seiner Lektüre und dem Willen, die eigene Existenz als Literatur zu leben, zu erklären gewesen seien. Als "sozialistischer Grandseigneur", wie er nicht nur in Kunerts Wahrnehmung zeitlebens auftrat, hatte er an seinem bürgerlichen Literaturgeschmack festgehalten und in seiner "Abendlicht"-Prosa Stimmungen wie diese beschworen: "Und der Himmel da oben, wie ist er so weit … über den fernen Berg hinweg zog er den Blick nach oben, ließ ihn von Tiefe zu Tiefe stürzen, denn die Tiefe war nicht nur unten in den Gewässern, sie umgab mich von allen Seiten, ihr anderer Name war Stille, nirgendwo war sie tiefer als im Blau da oben…"
Andererseits der Autor, der als Vertreter des Freund-Feind-Denkens sich den psychischen Komfort der für ihn unumstößlichen Gewissheit leistete, auf der "richtigen" Seite gegen den "richtigen", "faschistischen" Feind gekämpft zu haben, und aus dieser ihn beruhigenden Gewissheit sogar Hymnen auf Stalin rechtfertigte. Aber soviel Nähe zum Weltgeist er sich auch wünschte und so viel Nähe zu den Mächtigen in der DDR er offenkundig tatsächlich besaß, von Hermlins eigener Person ging stets eher der Eindruck einer Unnahbarkeit aus; ein Meister der Selbststilisierung und in seinen Träumen von einer Wunschbiographie immer auch ein bisschen befangen und nicht zuletzt deshalb in vielen seiner Texte epigonenhaft.
Bei seinem Tod im April 1997 rief man ihm nach, er sei "der letzte Kommunist" des 20. Jahrhunderts gewesen, wenn allerdings nur noch als "literarisierte Erscheinung". Wie schwer Hermlin das Wendejahr 1989 getroffen hatte und wie sehr er den Untergang der DDR als Scheitern seines persönlichen Lebens empfand, gab er kurz vor seinem Tod auch zu. Da blieb ihm nur der Rückzug in die Grundposition, "dass die Menschen aufhören müssen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu betreiben oder zu fördern, dass sie die Verpflichtung haben, eine solidarische Gemeinschaft aufzubauen, in der nicht mehr der eine den anderen beherrschen kann."
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