"Ich gehöre zum Club der deutlichen Aussprache"
Zehn Jahre war Stephan J. Kramer Generalsekretär des Zentralrates der Juden und seit 2015 ist er Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen. Insofern sei er für fanatische Rechte und Linke eine Art "Doppelfeind", sagt Kramer.
Überraschende Wendungen bestimmen das Leben von Stephan J. Kramer. Er arbeitet für Politiker verschiedener Parteien, ist zehn Jahre der Generalsekretär des Zentralrates der Juden und seit 2015 Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen.
Kramer erzählt, er habe seine neue Rolle erst finden müssen und sei zu Beginn auch einige Male an die "Stromleitung" gekommen. Als Chef des Verfassungsschutzes und bekennender Jude sei er für fanatische Rechte und Linke eine Art "Doppelfeind". Dennoch versucht er seit fünf Jahren unter Beweis zu stellen, dass auch der Verfassungsschutz reformfähig ist:
"Also all das, was er im Grunde während NSU und anderer Skandale nicht unter Beweis gestellt hat, und das, was in der Politik und durch Untersuchungsausschüssen an Reformprojekten schon angeschoben worden ist, im Grunde durch eine Personalisierung zu verändern."
Einsatz von V-Leuten muss gut überlegt sein
Den Einsatz von V-Leuten sieht er als ein "hochgradig gefährliches Instrument" an, aber es gebe noch keine besseren Instrumente, um besondere Informationen zu generieren. Und deshalb müsse sich auch die Gesellschaft fragen:
"Wollen wir eine Behörde haben, die im Vorfeld eben solche Gefahren aufklärt, sie dann aufschreibt und analysiert und bewertet und dann anderen die Möglichkeit gibt, entsprechend Handlungen einzusetzen - oder eben nicht."
"Ich hätte es einfacher haben können"
Ursprünglich wollte Kramer Anwalt werden, studierte Jura und anschließend Sozialwissenschaft. Einen Abschluss machte er nicht, weil er schon während seines Studiums "den Virus der Politik gefangen" habe. Schnell arbeitete er für Abgeordnete verschiedener Parteien.
Eine offene Diskussionskultur habe er in seinem Elternhaus gelernt. Als Elfjähriger besuchte er erstmals die USA und war so fasziniert, dass er nicht mehr zurück nach Deutschland wollte. Das Land habe ihm Selbstvertrauen gegeben, und dort begegnete er erstmals auch dem jüdischen Glauben. "Kramer ist in den USA ein jüdischer Name."
Verantwortung statt Schuldgefühle
Bei seinen Nachforschungen fand er keine jüdischen Vorfahren. Kramer verbrachte seine Kindheit im katholischen Siegerland, sei aber ohne Glauben aufgewachsen. Antworten auf Lebensfragen habe er dann aber im jüdischen Glauben gefunden. 1999 trat er offiziell zum Judentum über.
Dabei sei vor allem die langjährige Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses Charlotte Knobloch seine "jüdische Mammele" gewesen. Sie vermittelte ihm auch den Job im Zentralrat der Juden Deutschlands, wo er zehn Jahre lang arbeitete.
Seiner Ansicht nach gebe es weiterhin große Wissensdefizite über die jüdische Gemeinschaft. Andererseits sei viel erreicht worden:
"Wenn ich mir gerade die Gedenkstätten und Erinnerungsarbeit anschaue, wo es eben nicht darum geht, Schuldgefühle zu erzeugen, sondern an die Verantwortung zu appellieren und Verantwortungsgefühl gerade bei jungen Menschen heraufzubeschwören."
(cg)