Stephan Malinowski über "Die Hohenzollern und die Nazis"

"Kollaborateure des Nationalsozialismus"

10:25 Minuten
Kronprinz Wilhelm mit SA
Kronprinz Wilhelm 1933 beim Treffen von "Stahlhelm" und SA in Wittenberg an der Elbe. © picture-alliance / akg-images
Moderation: Stephan Karkowsky |
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Die Hohenzollern wollen entschädigt werden für Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch sind die Forderungen berechtigt? Inwiefern hat die Familie die NS-Bewegung unterstützt? Historiker Stephan Malinowski kommt zu einem klaren Befund.
Stephan Karkowsky: Die Hohenzollern gehörten einst zum Hochadel, die Mitglieder der Familie herrschten fast 1000 Jahre lang – als Fürsten, Herzöge, Grafen, Könige und zuletzt mit Wilhelm I. und II. auch als deutsche Kaiser. In jüngster Zeit machten die Hohenzollern vor allem Schlagzeilen mit Entschädigungsforderungen gegen den deutschen Staat: für wertvolle Güter, Kunst und Immobilien, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Sowjets enteignet wurden. Bedingung aber für so eine Entschädigung wäre, dass die Familie nicht groß mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hat, und genau darüber streitet die Familie mit dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg.
Einer der Gutachter im Streit ist der Historiker Stephan Malinowski. Er kommt zu dem Schluss, dass Kronprinz Wilhelm von Preußen die NS-Bewegung unterstützt habe. Sein neues Buch heißt "Die Hohenzollern und die Nazis: Geschichte einer Kollaboration". Herr Malinowski, Sie beginnen Ihr Buch mit zwei parallelen Ereignissen am selben Tag: der 9. November 1923. Da ist zum einen der ehemalige Kronprinz Wilhelm von Preußen im holländischen Exil und trifft Vorbereitungen für seine Rückkehr nach Deutschland und auf der anderen Seite Adolf Hitler in München, der den Putschversuch der NSDAP gegen die Weimarer Republik anführt, scheitert und verhaftet wird. Warum ist Ihnen diese Parallelität der Ereignisse wichtig?
Stephan Malinowski: Ich habe dieses Bild mit den zwei sich auf die Republik zubewegenden beziehungsweise gegen die Republik bewegenden Männern, die an zwei unterschiedlichen Orten aufbrechen und aus zwei sehr unterschiedlichen Milieus stammen, gewählt, um zu symbolisieren, dass diese Republik von Anfang an unter Beschuss ist und starke Feinde hat, von links und rechts.
Hier haben wir zwei Vertreter der rechtsradikalen Fraktion, wenn man so will: einmal den älteren Vertreter der konservativen Linie, für die der Kronprinz steht, der aus dem Exil aus Holland zurückkehrt – koordiniert übrigens und arrangiert durch Gustav Stresemann, den Reichskanzler –, und zum Zweiten dann eben den noch relativ unbekannten österreichischen Postkartenmaler und Parteiführer Adolf Hitler, der zu diesem Zeitpunkt eine noch mehr oder weniger unbekannte Figur ist.
Hermann Göring und Kronprinz Wilhelm.
Kronprinz Wilhelm traf sich auch mit Hermann Göring.© picture alliance / akg-images
Karkowsky: Aber würden Sie annehmen, dass die Hohenzollern irgendwie mit den Putschisten verschaltet waren?
Malinowski: Es gibt in der Tat sogar Hinweise darauf, dass der Kronprinz bereits im holländischen Exil im Frühjahr 1923 Kenntnis hatte von den Putschplanungen in München. Es gibt zu diesem Zeitpunkt noch keinen funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Männern, sondern ich beschreibe das als zwei konzentrische Bewegungen, die zu dem Zeitpunkt noch getrennt sind – 1923 – und einige Jahre später dann sich verschlingen werden zu einer großen dynamischen Bewegung, die dann 1933 das Ergebnis produziert, das wir in der Tat nicht nur aus dem Geschichtsunterricht kennen, nämlich die Auslieferung der Staatsgewalt an die Nationalsozialisten, die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 33, also ungefähr zehn Jahre später.

Rechtsradikale antisemitische Gedankenwelt

Karkowsky: Ihr Buch geht weit hinaus über die Betrachtung des Kronprinzen, beschränkt auf dessen Rolle vor allem im Jahr 33. Es bettet diesen Kronprinzen auch ein in seine adlige Familie, also das ehemalige Königshaus der Hohenzollern, und die Familie dann wiederum in ihr Milieu. Was sind denn Ihre wichtigsten Erkenntnisse in diesem Zusammenhang?
Malinowski: Seit 2011 ungefähr haben wir einen Streit von Historikern und verschiedenen Beobachtern, die von Juristen aufgefordert waren, Kenntnisse zu produzieren über den Kronprinzen. Das hat zu einer Verkürzung des Blickes geführt, und natürlich versuchen Historikerinnen und Historiker immer, Einzelindividuen einzufügen in ihre Familie, in ihr Milieu, in die Kreise, in die sie hineingehören.
Kurz gefasst sind die Ergebnisse meines Buches, dass nicht nur der Kronprinz, sondern auch seine Ehefrau, auch sein zweiter Sohn, Louis Ferdinand, im Jahre 1933 den Nationalsozialismus oder das Regime unterstützt, Werbung dafür macht, auch durch einen Brief an einen Banker in den USA, dass der Kaiser, also der Vater des Kronprinzen, der noch bis zum Sommer 1941 im Exil in den Niederlanden lebt, ebenfalls auf eine rechtsradikale antisemitische Gedankenwelt, in der er gefangen ist, und von dort aus dann phasenweise versucht, sich dem Nationalsozialismus anzunähern.
Das gilt auch für die zweite Ehefrau des Kaisers in Holland, die praktisch als mobile Vermittlerin zur rechtsradikalen Szene stetig durch Deutschland fährt. Das Gleiche gilt für den vierten Sohn des Kaisers, August Wilhelm Prinz von Preußen, der einen hohen SA-Rang tragen wird und in die NSDAP relativ früh, 1930, eintritt. Also wenn man das Gesamtporträt der Familie anschaut, dann kann man sagen, dass alle relevanten politisch hervortretenden Handlungsträger sich radikal und von Anfang an gegen die Republik gestellt haben und einige davon, vielleicht kann man auch sagen viele davon, sich mehr oder weniger als Kollaborateure – das ist der Begriff, den ich verwendet habe im Buch – sich als Kollaborateure dem Nationalsozialismus andienen.

Ziel: Zerstörung der Republik

Karkowsky: Aber Sie gehen ja sogar noch weiter, Sie sagen, die Hohenzollern hätten die Zerstörung der Republik betrieben und das vor dem Machtübergang an die Nationalsozialisten. Haben Sie dafür auch Belege?
Malinowski: Die Zerstörung der Republik wird ja von verschiedenen Seiten aus betrieben, und die klassische Darstellung wäre zu sagen, nicht nur zu Zeiten der Totalitarismustheorie. Es gab linksradikale und rechtsradikale Feinde, wenn man auf den Hochadel schaut, wird man linksradikal natürlich nicht finden, sondern sich naturgemäß mit der Rechten beschäftigen. Die Nazis brauchen ja eine gewisse Zeit, um sich in Form zu bringen, wenn man so will, also vor 1930 sind sie als Hauptträger des Rechtsradikalismus noch nicht präsent. Vorher sind das andere Gruppen aus dem völkischen, rechtsradikalen, antisemitischen, etwas inkohärenten, sich amöbenhaft bewegenden Milieu. Diese Gruppen gibt es, und man kann ohne Übertreibung sagen, die sind aus dem Stand 1918 mit Gründung der Republik im Grunde vorhanden. Wir haben natürlich längere Linien, die bis ins Kaiserreich zurückreichen.
Kronzprinz Wilhelm vor der Krolloper in Berlin
Gleiche Negativziele wie die Nationalsozialisten: Kronzprinz Wilhelm, hier 1934 vor der Krolloper in Berlin.© picture alliance / IMAGNO/Austrian Archives (S)
Karkowsky: Würden Sie dann sagen, in diesem Ansinnen, die Republik zu zerstören, haben die Hohenzollern insofern das gleiche Ziel wie die Nationalsozialisten gehabt, als die sie ja auch gegen die Weimarer Republik waren?
Malinowski: Ja, das kann man sagen, und überhaupt ist dieses Bündnis zwischen Konservativen und Nationalsozialisten, aus dem die Machtübertragung von 1933 hervorgeht. Also das gesamte Dritte Reich kann man ohne diese Zusammenarbeit ja nicht erklären, und man kann sagen, dass die eher über die Negativziele übereinstimmen denn über die positiven Ziele. Der Kronprinz und seine Familie haben andere Vorstellungen als die Nationalsozialisten, sie werden auch in der Tat dann ausgebootet und übertölpelt von den Nationalsozialisten und praktisch aus dem Boot geworfen nach 33/34.
Es gibt aber eine Übereinstimmung über die Negativziele: Also alle diese Gruppen sind antisemitisch, sind antirepublikanisch, sie hassen die Republik, sie hassen den Parlamentarismus, die Demokratie, die Gleichheitsideen, die Frauenbewegung, die moderne Literatur, das moderne Theater. Also es gibt einen sehr breiten Konsens über das, was man nicht will, und es gibt ein breites Einverständnis über die Dinge und über die Personen und Parteiungen, die man hasst. Die wichtige Erkenntnis ist, die Familie der Hohenzollern oder ihre wichtigsten Namensträger reihen sich ein in diese große Koalition des Hasses auf die Republik.

"Begeistert vom italienischen Faschismus"

Karkowsky: Und glauben Sie, dass diese gemeinsamen Werte schon ausreichen, um die Kollaboration zu erklären, die Sie beschreiben, oder gibt es dafür noch andere Gründe, warum die Hohenzollern-Familie das gemacht hat?
Malinowski: Es gibt natürlich auch materielle Ziele: Diese sogenannte Volksgemeinschaft, die da gebildet werden soll, macht verschiedenen Menschen verschiedene Angebote, und das Angebot des Nationalsozialismus an den Adel inklusive des deutschen Hochadels und der Hohenzollern ist die vage Hoffnung, man könnte für die 1918 verlorenen Güter- und Privilegien- und Machtpositionen einen Ersatz bekommen. Natürlich spielt für den Kronprinzen und auch für den gefallenen Kaiser in Holland immer noch die Vorstellung eine Rolle, man könne den Thron wieder errichten, man könne eine Monarchie wieder errichten, vielleicht nach dem italienischen Modell. Seit 1922 ist in Italien ja der Faschismus in Form einer Monarchie, die kombiniert ist mit einem faschistischen Führer, vorhanden als Gebrauchsanweisung, auf die auch im Adel mit großem Interesse geschaut wird. Also der Kronprinz ist fasziniert von Mussolini, begeistert vom italienischen Faschismus, hat auf seinem Schreibtisch auch ein Bild des Duce und ist begeistert von der, wie er es nennt, genialen Brutalität, mit der in Italien die Linke ausgerottet wird – so nennt er das.
Karkowsky: Nun sind wir ja zeitlich bereits in der Weimarer Republik, das Kaiserreich ist Geschichte, der Kaiser 1918 abgedankt. Wie groß war denn überhaupt noch der Einfluss der Hohenzollern, des ehemaligen Königshauses? War das mehr als nur symbolisch?
Malinowski: Die beiden Ebenen, die man analytisch unterscheiden kann, sind in der Tat symbolisch, Adel hat ja immer mit Symbolik zu tun. Könige, Herzöge, Grafen – das kann man bis in die Antike im Grunde zurückverfolgen – haben als eine ihrer Hauptfunktionen immer Symbole zu sein. Das Zweite ist die Ebene der Handlung, der Netzwerke, in denen diese Menschen und Offiziere noch eingebunden sind, also die Kontakte zur Reichsführung sind sehr wichtig, die Kontakte zum Großgrundbesitz sind sehr wichtig, die Kontakte zu den konservativen Parteien, aber eben auch in die NSDAP hinein.
Buchcover zu "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration" zeigt den Kronprinzen Wilhelm mit der SA.  
In seinem Buch "Die Hohenzollern und die Nazis" beschreibt der Historiker Stephan Malinowski, wie Kronprinz Wilhelm die Nazis unterstützt hat.© Deutschlandradio / Ullstein
Ganz nach vorne würde ich rangieren den sogenannten Stahlhelm, also den größten antirepublikanischen rechten Wehrverband, der dann Konkurrenz von der SA bekommt, und es gibt dann bei den Hohenzollern eine Art Arbeitsteilung, wenn Sie so wollen. Es gibt drei Prinzen, die im Stahlhelm mit Lederstiefeln herummarschieren, und dann gibt es August Wilhelm, der als SA-General oder hoher Generalführer in der SA ist. 1933 werden dann diese Verbände fusionieren, und eine Ebene des Einflusses des Kronprinzen ist die, dass er versucht, diese verschiedenen rechten Verbände zusammenzubringen. Auf meinem Buch ist auf dem Cover der Kronprinz zu sehen bei der Abnahme einer Parade – ich hab mich im Grunde auf dem Coverfoto bei der Beschriftung geirrt. Es handelt sich gar nicht um eine Stahlhelm-Parade, sondern um eine SA-Parade. Hier nimmt der Kronprinz im Oktober 1933 eine Parade von 60- bis 80.000 SA-Männern ab. Und die Kollegen von mir, also die Historiker, die mir immer widersprechen und sagen, der Kronprinz hätte gar keine Bedeutung mehr gehabt, müssten erklären, warum in diesem Moment der Kronprinz zentral auf der Tribüne des Rathauses von Breslau steht und eine Parade von 80.000 SA-Männern abnimmt.

Wirkung überschätzt?

Karkowsky: Und die Hohenzollern widersprechen Ihnen ja auch, die argumentieren, der Einfluss des ehemaligen Kronprinzen sei deutlich geringer gewesen. Ich zitiere mal den Bevollmächtigten des Hauses, Jürgen Aretz, der sagt: "Für mich steht fest, dass der Kronprinz sich in seinen Wirkungsmöglichkeiten überschätzt hat, sehr überschätzt hat." Die haben offenbar andere Quellen als Sie. Welche unbekannten Quellen nutzen Sie denn für Ihr Buch?
Malinowski: Da sagt der Kollege Dr. Aretz, der auch ein promovierter Zeithistoriker ist, etwas sehr Richtiges, nur kann man diesen Satz natürlich auf sehr viele deutsche Mitglieder der Funktionseliten und anderer – also geirrt haben sich viele. Und wenn man jetzt die wichtigsten politischen Funktionsträger durchgeht – Hindenburg, Schleicher, Papen, Westarp und andere im rechten Milieu, fast alle diese Männer irren sich in Adolf Hitler, und alle diese Männer unterschätzen das Monstrum, das zu kreieren sie helfen, und da ist der Kronprinz keine Ausnahme.
Es hat auch im Übrigen niemals jemand behauptet – das ist eine Fiktion –, der Kronprinz sei wichtiger gewesen als Hindenburg, Papen oder Schleicher. Ich kenne keinen Historiker, der das behauptet hat, aber das ist ja auch nicht die Debatte. Die Debatte war, ob diese Familie und ob diese Personen noch eine Wirkung und Rolle haben, und die Antwort der historischen Forschung darauf ist ein eindeutiges Ja, und zwar nicht nur meine Antwort, sondern die große Mehrheit der Historikerinnen und Historiker, die für diese Zeit und für diese Sachverhalte qualifiziert sind.

Stephan Malinowski: "Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration"
Propyläen Verlag, Berlin 2021
784 Seiten, 35 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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