Stephan Urbach über sein Buch "Neustart"

Burn-Out eines Netzaktivisten

Stephan Urbach war Netzaktivist und Mitglied der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: Heute arbeitet er als Experte für Netz- und Datenschutzfragen.
Stephan Urbach war Netzaktivist und Mitglied der Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: Heute arbeitet er als Experte für Netz- und Datenschutzfragen. © picture alliance / dpa
Moderation: Liane von Billerbeck · 01.10.2015
Stephan Urbach war Hacker in einer Aktivistengruppe. Diese sorgte für Internet-Zugänge in Ägypten, als dort der Arabische Frühling begann, und engagierte sich später auch in Syrien. In seinem Buch "Neustart" berichtet Urbach nun davon, wie sehr ihn diese Arbeit innerlich aufgefressen hat.
Liane von Billerbeck: Menschen, die sehr engagiert sind, die lassen sich gut ausbeuten, das weiß man. Aber sie beuten sich auch oft selbst aus, eben im Sinne ihrer guten Sache. Und das oft in einer Weise, die sie an ihre Grenzen und darüber hinausbringt.
Stephan Urbach dürfte so ein Fall sein. Geboren 1980 in Hessen, hat er zuerst erfolglos studiert, dann Bankkaufmann gelernt und war dann für die Piraten-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und bis 2013 auch Mitglied der Hackeraktivistengruppe Telecomix, die sich vor allem während der Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo und den Anfängen des Bürgerkriegs in Syrien international einen Namen gemacht hatte, weil sie dafür sorgte, dass die Aktivisten Internetzugang haben.
Stephan Urbach hat über all das ein Buch geschrieben, das hat den Titel "Neustart". Er ist jetzt Experte für Netz- und Datenschutzfragen und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Stephan Urbach: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Herr Urbach, Ihr Engagement für Syrien und Ägypten, was haben Sie dort konkret gemacht, wie kamen Sie überhaupt dazu?
"Wir sind eigentlich durch Zufall dazu gekommen"
Urbach: Also, was wir gemacht haben, war in unseren Augen eigentlich relativ trivial. In Ägypten haben wir, als Mubarak das Netz hat abschalten lassen, dafür gesorgt, dass die Ägypterinnen und Ägypter trotzdem Internet hatten, indem wir alte Modems aufgebaut haben und die Nummern hingefaxt haben.
Und in Syrien haben wir Aktivistinnen und Aktivisten geholfen, die Bilder von Demonstrationen und Blogtexte und dergleichen und Fotos an der Überwachung durch den Geheimdienst vorbei hochzuladen ins Internet, das sind die Dinge, die wir getan haben. Dazu sind wir gekommen durch Zufall eigentlich, das war nie geplant von uns, das hat sich irgendwie so entwickelt.
von Billerbeck: Das möchte ich ein bisschen genauer wissen!
Urbach: Wir haben mit Menschen am Tahrir-Platz, als es damals losging, als das Netz noch ging, gechattet, uns unterhalten und uns erzählen lassen, was da gerade passiert. Und als dann halt das Netz weg war, Mubarak es hat abschalten lassen, haben wir uns gedacht, hm, das ist ja jetzt blöd, jetzt können wir uns ja gar nicht mehr mit denen unterhalten!
Und deswegen haben wir dann nach einer Lösung geschaut, wie wir das trotzdem noch tun können und wie die Menschen dann trotzdem noch ihre von vor Ort hochladen können. Und dadurch wurden wir halt bekannt im Endeffekt, und als das in Syrien losging, haben uns Menschen aus Syrien gefragt, ob wir ihnen Hilfe leisten könnten, was die Technologie betrifft.
von Billerbeck: Weil die das schon aus Ägypten wussten.
Urbach: Genau, die hatten das mitbekommen, das ging ja auch durch die Medien damals, dass wir das gemacht haben. Und die dachten sich, wenn uns einer helfen kann, dann die.
von Billerbeck: Welche Hoffnungen haben Sie denn mit diesen ganzen Auseinandersetzungen, mit der Arabellion verbunden?
Urbach: Ich habe damals eigentlich wenig Hoffnung mit irgendwas verbunden. Ich fand das sehr spannend, ich fand diesen Prozess sehr spannend. Das war ja jetzt nicht alles neu und frisch, sondern in Ägypten waren ja schon in den 50er-Jahren die Proteste gegen Mubarak, die sich halt nur jetzt neu geformt hatten und aufgrund der Ereignisse in Tunesien neues Feuer bekommen hatten.
Ich fand es vor allem spannend zu sehen, wie junge Menschen aufstehen und auf die Straße gehen und sagen, so nicht mehr, so wollen wir nicht leben. Und in Syrien waren ja auch vor allem viele Studierende beteiligt, die gesagt haben, nein, so wollen wir nicht leben, Assad, bitte lass das. Und daraus haben sich jetzt im Endeffekt sehr schlimme Dinge entwickelt.
"Es gibt gerade nur noch Verlierer, es gibt keine Gewinner mehr"
von Billerbeck: Wie beurteilen Sie die Situation denn jetzt dort?
Urbach: Das ist völlig unübersichtlich. Ich meine, irgendwie sind es fünf bis gefühlt 20 Gruppierungen, die gegeneinander Krieg führen. Jetzt haben die Russen noch Angriffe geflogen gegen ISIS, danach hat Assad noch mal angegriffen. Es gibt gerade nur noch Verlierer, es gibt keine Gewinner mehr.
von Billerbeck: In Ihrem Buch, das ich vorhin erwähnt habe, "Neustart", da gibt es ein Zitat, das lautet: "Ein guter Hacker ist jemand, der die Welt ein kleines bisschen besser machen will." Sie auch?
Urbach: Ja.
von Billerbeck: Klare Antwort. So ein starkes Engagement, auch das habe ich aus Ihrem Buch gelernt, das muss nicht ohne Folgen bleiben, das kann welche haben, die einen selbst sehr beeinträchtigen. Wie ist das bei Ihnen passiert, wie sind Sie sich selbst abhandengekommen bei diesem Tun für Ägypten und für Syrien?
Urbach: Wir saßen ja in unseren Heimatländern in Europa jeweils und haben im Endeffekt eine sehr komfortable Situation gehabt. Ich musste jetzt nicht Angst haben, dass ich irgendwie erschossen werde oder dergleichen. Und die Aufgabe … Wir haben den Technologie-Support für ein ganzes Land gemacht im Endeffekt, das ist dann halt doch sehr auffressend zeitlich einfach.
von Billerbeck: Kann man sich vorstellen, ja.
Urbach: Und da waren jetzt also Menschen, die wir auch kennengelernt hatten, die irgendwie sich auf uns verlassen haben. Also, es ist ja jetzt nicht so, dass man irgendwie sagt, nein, ich mache jetzt Feierabend, ich habe jetzt keine Lust mehr, sondern die verlassen sich darauf. Und für die hängt da mehr von ab als nur irgendwie einen Text hochzuladen oder dergleichen, da hängt unter Umständen die ganze Existenz dran, für die. Und es war eine Spirale, aus der wir nicht mehr rausgekommen sind.
von Billerbeck: "Wir" sind jetzt Telecomix, Ihre Hackergruppe oder wer?
Urbach: Genau. Das war Telecomix, wir kamen halt aus dieser Spirale nicht mehr raus, wir mussten eine Art Notbremse ziehen. Das heißt, wir haben in der Öffentlichkeit gesagt, uns gibt es nicht mehr, haben aber natürlich nicht aufgehört, mit den Menschen zu kommunizieren vor Ort, nur: Seitdem hatten wir plötzlich viel mehr Ruhe.
von Billerbeck: Das, was Sie aber schildern, dieses Sich-völlig-Übernehmen, um es mal so ganz landläufig zu formulieren, war das eine individuelle Geschichte, betraf das nur Sie, dass Sie also da am Draht waren und gar keine Erholung mehr hatten, oder ging das Ihren Freunden bei Telecomix auch so?
Urbach: Das ging auch einigen Freunden bei Telecomix so. Das Dumme ist, wir haben alle irgendwie gelernt vorher, dass man über solche Sachen nicht spricht, und wir haben erst bei einer Veranstaltung, wo wir uns alle darüber getroffen hatten, darüber gesprochen, irgendwie morgens um drei bei viel Bier. Und erst dann ist uns allen klargeworden, in was für einer Scheißsituation wir gerade sind, und dass es nicht was Individuelles ist, sondern dass es die ganze Gruppe betrifft.
von Billerbeck: Ich will noch mal ein Zitat bringen aus Ihrem Buch: "Auf meinem Server hatte ich einen Totmannschalter installiert, das hieß, alle 24 Stunden musste ich einen Befehl eingeben, damit das System wusste, dass ich noch lebte. Blieb der Befehl, wusste das System, was es zu tun hatte. Eine Abschiedsblogpost wäre auf meinem Blog erschienen und über meinen Twitter-Account verbreitet worden." Das sind Selbstmordgedanken, die Sie da hatten. Wie sind Sie da rein- und wie sind Sie da wieder rausgekommen?
"Geholfen hat dieses Zusammensitzen-und-ein-Bier-trinken"
Urbach: Ja, reingekommen geht schneller, als einem lieb ist. Das ist halt aufgrund der Überlastung und der schlimmen Dinge, die wir gesehen haben. Also, ich habe live mit ansehen müssen, wie ein Freund von mir in Aleppo erschossen worden ist. Das hat dann einfach völlig … ja, das war viel zu viel.
Und rausgekommen bin ich im Endeffekt dann auch in dieser Veranstaltung, als wir alle zusammensaßen und uns lange unterhalten hatten und uns klar war, dass wir so nicht weitermachen können, und dass es halt nichts Individuelles ist, sondern dass es uns allen als Gruppe ziemlich schlecht geht und wir jetzt zusammen eine Lösung finden müssen. Und das hat ganz stark geholfen, dieses Zusammensitzen-und-ein-Bier-trinken.
von Billerbeck: Trotzdem machen Sie ja vermutlich weiter, um die Leute in Ägypten und Syrien zu unterstützen. Machen Sie es jetzt anders?
Urbach: Also, ich gebe zu, ich mache es nicht mehr. Ich habe mich da sehr rausgenommen. Was ich jetzt noch mache, ist, das habe ich vor zwei, drei Jahren auch schon gemacht, mit Geflüchteten arbeiten. Aber dann immer so in einer Art und Weise, dass es mir noch gut damit geht. Das heißt auch, dass ich ein ganz anderes Commitment an eine Sache gebe als vorher, nämlich eins, wo ich sage, ich kann nur so weit, wie es mir noch damit gut geht.
Und ich muss auch gestehen, dass ich zum Glück Freunde außen herum habe, die darauf aufpassen, dass es genauso abläuft. Und das ist … Ja, so funktioniert das für mich einigermaßen gut.
von Billerbeck: Stephan Urbach, Netz- und Datenschutzexperte, der sich für Ägypten und Syrien engagiert hat und dafür auch einen hohen Preis gezahlt hat. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Urbach: Ich danke Ihnen!
von Billerbeck: Und das Buch "Neustart", in dem er seine Geschichte erzählt, ist jetzt bei Knaur erschienen.
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