Sein Humor hat der Physik gut getan
Stephen Hawking habe nicht nur "bahnbrechende Theorien" entwickelt, sondern auch ein breites Publikum für Physik begeistert, sagt der Schriftsteller und Physiker Ulrich Woelk. Mit Pointen und britischem Humor habe er schwierige Fragen heruntergebrochen.
Physiker und Popstar zugleich: der am Mittwoch verstorbene Stephen Hawking war nicht nur ein großer Physiker, sondern auch der Mann, der mit seinem Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" (1988) das sperrige Gebiet der Physik für ein breites Publikum erschlossen hat.
"Es war ein geniales Buch, aber es kam auch zum richtigen Zeitpunkt", sagt der Schriftsteller Ulrich Woelk, der selbst Physiker ist. "Die Physik stand fast an einem neuen Aufbruchspunkt, der bis heute weiterwirkt. Wir haben eben die Theorien des Universums, Urknall, plötzlich konnte man das alles rechnen."
Zuletzt war er der "elder statesman" der Physik
Mit Pointen und Humor habe Hawking schwierige Fragen so heruntergebrochen, dass alle "ankoppeln" konnten, meint Woelk. "Ich glaube, er war ein echter Brite, und dieser trockene Humor ist das, was ich eigentlich mit britischem Humor auch assoziiere. Und der tut der Physik sehr, sehr gut."
Folgt man dem Schrifsteller, haben Hawkings Ausflüge in die Popkultur mit Gastauftritten bei den "Simpsons" oder "Star Trek" seiner wissenschaftlichen Reputation offenbar nicht geschadet. In der wissenschaftlichen Gemeinde habe Hawking zuletzt den Ruf eines "elder statesman" genossen, man habe gewusst, was dieser als Physiker geleistet habe, so Woelk.
Hawking habe "bahnbrechende Theorien" entwickelt, unter denen die bekannteste die Hawking-Strahlung sei. Der Nobelpreis blieb ihm dennoch versagt: "Das liegt daran, dass die Effekte, die aus seinen Theorien folgen, so klein oder so schwer messbar sind, dass es bis heute nicht gelungen ist."
(uko)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Als er 21 Jahre alt war, da haben die Ärzte Stephen Hawking mitgeteilt, dass er nicht mehr lange leben würde. Und heute wissen wir aus traurigem Anlass ganz genau, dass er von diesem Zeitpunkt an noch 55 Jahre vor sich hatte. Denn im Alter von 76 ist der Astrophysiker in der vergangenen Nacht nach Angaben seiner Verwandten friedlich in seinem Haus in Cambridge in Großbritannien gestorben. Wir wollen über den sicherlich bekanntesten Physiker sprechen mit Ulrich Woelk, selbst auch Physiker, bekannt geworden, aber natürlich durch seine schriftstellerische Arbeit, durch seine Romane unter anderem. Er ist spontan live zu uns ins Studio gekommen. Schönen guten Morgen, Herr Woelk!
Ulrich Woelk: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was ist für Sie wichtiger bei Stephen Hawking, das, was er geleistet hat als Physikvermittler oder wirklich das, was er als Physiker, als Forscher geleistet hat?
Woelk: Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist sehr wichtig, und natürlich ist es immer auch eine große Leistung, ein großes Publikum für die Physik, die ja nun wirklich abstrakt genug ist, zu begeistern. Natürlich, das Problem ist, er war ein großer Physiker, das ist überhaupt keine Frage, er hat eben bahnbrechende Theorien gemacht. Die Hawking-Strahlung ist mitunter die bekannteste. Sagen wir, weswegen dieser Aspekt ein bisschen vergessen wird, weswegen er zum Beispiel auch nie den Nobelpreis bekommen hat, das liegt daran, dass die Effekte, die aus seinen Theorien folgen, so klein oder so schwer messbar sind, dass es bis heute nicht gelungen ist.
Ein Buch zur rechten Zeit
Kassel: Was ihm aber immer wieder gelungen ist, ist diese Vermittlung. Meine erste Begegnung mit ihm war das berühmte Buch "A Brief History of Time", also "Eine kurze Geschichte der Zeit". Und man muss wirklich ganz klar sagen, es ist ein unglaublich populäres Buch, ich will gar nicht wissen, in der wievielten Auflage es inzwischen erschienen ist, aber es sind unglaublich grundsätzliche und komplexe Sachverhalte, die er da erklärt, und ich muss zugeben, das war bei mir das erste naturwissenschaftliche Sachbuch dieser Komplexität, das ich wirklich verstanden habe.
Woelk: Ich glaube, der durchschlagende Erfolg des Buches war aber auch, dass es zur rechten Zeit kam. Die Physik stand fast an einem neuen Aufbruchspunkt, der bis heute weiterwirkt. Wir haben eben die Theorien des Universums, der Urknall, plötzlich konnte man das alles rechnen. Und er hat eben sich dann ja auch einen Namen gemacht, indem er sich mit der Kirche da verständigt hat und gesagt hat, gut, wir können einen Anfang des Universums annehmen. Dann hat der Papst gesagt, gut, aber bitte nicht fragen, was vorher war. Und so hat er sich eigentlich im richtigen Moment, glaube ich, zu Wort gemeldet mit diesen Theorien, als die Zeit dafür offen und reif war. Und das ist ja oft so, es war ein geniales Buch, aber es kam auch zum richtigen Zeitpunkt.
Ohne Raum und Zeit - die gedankliche Hölle
Kassel: Es ist schön, dass Sie den Papst erwähnen. Es gibt ein Zitat, wir haben es heute Morgen schon gehört, wo Stephen Hawking sagt, was ihn bewegt, ist die Frage, wenn wir mal davon ausgehen, der Urknall hat so stattgefunden, wie es Physiker heute eigentlich annehmen, stellt sich die Frage, was war vor dem Urknall, was hat Gott davor gemacht, und Stephen Hawking hat selbst die Antwort gegeben, er hat die Hölle geschaffen für Menschen, die diese Frage stellen. Das ist eine Pointe, aber dieser relativ kurze Satz, da steckt ja unglaublich viel an Information auch drin. Das war seine große Fähigkeit.
Woelk: Ja, aber wenn wir das jetzt auch wieder wissenschaftlich noch mal ganz ernst nehmen, ist es eben so, dass mit dem Universum, mit dem Urknall ja nicht nur der Raum und die Sterne entstanden sind, sondern die Zeit eben auch selbst. Und das ist das, was wir nicht denken können, was er vielleicht auch mit Hölle meint. Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es ein Davor gibt, weil es keine Zeit gab. Aber wir können uns nicht vorstellen, dass es keine Zeit gibt. Wir kommen da in eine Hölle hinein gedanklich.
Insofern, glaube ich, war für ihn als Physiker, und als solchen habe ich ihn übrigens auch einmal erlebt, doch ganz wichtig, immer auf der Basis der Gleichungen, der Mathematik, des Formalismus zu bleiben und zu sagen, die Fragen, die damit beantwortbar sind, die können wir uns stellen. Alle anderen Fragen lassen wir weg.
Ein unendlich aufgeblähtes Universum ist mathematisch unbefriedigend
Kassel: Glauben Sie, dass ihm das wirklich gelungen ist? Weil es gibt so vieles, was wir Menschen nicht können. Das, was Sie beschrieben haben, können wir uns nicht vorstellen. Ich glaube, echte Unendlichkeit kann man sich genauso wenig vorstellen wie echte Endlichkeit. Aber man kann es doch eigentlich nicht lassen. Können Sie das lassen, können Sie sagen, es gibt Fragen, die ignoriere ich, weil ich weiß, ich finde die Antwort nicht?
Woelk: Nein. Das wird man auch nie tun. Es ist eben einfach so, selbst Kinder fangen ja schon an zu fragen, was ist denn, wenn ich mich in eine Rakete setze und fliege immer weiter geradeaus? Kommt dann irgendwann eine Wand, gegen die ich fliege? Da kommen schon die Fragen von der Unendlichkeit hinein, und natürlich versuchen Physiker, die das Universum als Ganzes beschreiben wollen, damit irgendwie klarzukommen, damit irgendwie umzugehen. Denn ein unendlich aufgeblähtes Universum ist unbefriedigend mathematisch, aber ein endliches auch wiederum nicht vorstellbar.
Es gibt allerdings Tricks, wie man das auch wieder doch, ich sag mal, zumindest beschreiben kann, wo sich die Sachen nicht so beißen. Wie auch immer, ich glaube, was den Charme und das Traurige jetzt natürlich bei dem Tod von Stephen Hawking ausmacht, ist, dass er immer diesen Witz hatte, diesen Witz, diese schwierigen Fragen auch mit Pointen sozusagen so weit runterzubrechen, dass wir alle eigentlich da ankoppeln können.
"Er war ein echter Brite"
Kassel: Da Sie ja gesagt haben, Sie sind ihm persönlich begegnet als Physiker – das ist die eine Erklärung, die Sie gerade geliefert haben für seinen Humor, seinen Witz, als Reaktion auf diese schwierigen Fragen. Aber wenn man sich dieses Leben anguckt: Mit 21 hat er erfahren, es ist jetzt bald Schluss, was Gott sei Dank nicht stimmte. Rollstuhl folgte dann, dann hat er seine Stimme verloren. Die meisten von uns kennen ja nur diese Quak-Stimme, diese Computerstimme. War das nicht auch vielleicht ein Grund für den Humor, ein Ventil, um zu überleben?
Woelk: Das mag sein. Mir kommt es aber eigentlich, wenn ich das gelesen habe, immer sehr britisch auch vor. Ich glaube, er war ein echter Brite, und dieser trockene Humor ist das, was ich eigentlich mit britischem Humor auch assoziiere. Und der tut der Physik sehr gut und auch vor allen Dingen der Astrophysik und der Kosmologie, diesen ganz schwierigen Fragen. Und trotzdem war es für ihn aber wichtig, in der Physikergemeinde, das war seinerzeit bei einem Strings-Kongress vor etwas 20 Jahren in Potsdam, eben wirklich als Physiker wahrgenommen zu werden. Es war so, man durfte ihm im Vorfeld Fragen stellen, das konnte man ja nicht live tun.
Das heißt, alle, die an dem Kongress teilgenommen haben, haben eine Frage hingeschickt und er hat sich dann drei ausgesucht, um die dann mit seinem Computer vorgefertigt zu beantworten. Und wahrscheinlich haben alle geschrien, gibt es Gott und was ist unendlich. Aber er hat sich auf ganz – Fragen, die ich hier gar nicht wiedergeben kann, rein physikalische Fragen halt beschränkt. Das war ihm wirklich auch wichtig, da in der Physik seriös zu bleiben.
Elder Statesman der Physik
Kassel: Die String-Theorie gibt mir eine Chance, zur letzten Frage zu kommen, die spielt nämlich in dieser Fernsehserie "Big Bang Theory" lange eine Rolle. Ab einer gewissen Staffel nicht mehr, weil der Physiker da beschließt, ist doch nichts. Das wollen wir jetzt nicht diskutieren, ob das wissenschaftlich sinnvoll ist, aber diese Auftritte in solchen Sendungen, "Star Trek" unter anderem auch, immer die Bereitschaft, wirklich sehr populär zu sein bis hin zur Albernheit – hat ihm das vielleicht manchmal in der Wissenschaftscommunity geschadet? Sie haben jetzt den Nicht-Nobelpreis nur damit begründet, dass seine Forschung sich mit Dingen beschäftigte, weil sie zu wenig Auswirkungen haben. War es nicht vielleicht sogar ein bisschen mehr?
Woelk: Das glaube ich eigentlich nicht. In der wissenschaftlichen Gemeinde hatte er dann zum Schluss, würde ich jetzt sagen, gewissermaßen den Ruf eines, man würde vielleicht sagen, Elder Statesman. Das heißt also, man wusste ganz genau, er hat wirklich seine Meriten, er hat wichtige Dinge gemacht, auch wenn man sie bis heute nicht nachweisen kann, was übrigens nichts heißt, auch Einsteins Gravitationswellen hat man erst hundert Jahre nach der Entdeckung nachgewiesen.
Aber es ist dann oftmals bei Physikern so, das war auch bei Einstein nicht anders, dass sie dann im Alter sozusagen nicht mehr wissen. Sie hängen dann eher an ihren Theoriegebäuden, aber irgendwo in der Jugend wächst was Neues, wachsen neue Ideen, und dann hat man eben so den Ruf eines wichtigen Gesprächspartners, eines ganz wichtigen Fragenstellers, sag ich mal, aber vielleicht nicht mehr unbedingt des Impulsgebers, was neue wissenschaftliche Ideen angeht.
Verrückte optimistische Perspektive
Kassel: Er ist, ganz kurz zum Schluss, aber im Alter auch ein etwas pessimistischer Mensch geworden trotz seines Humors. Die Zukunft der Menschheit hat er am Ende nicht mehr sehr rosig gesehen. Schieben Sie das auf sein Alter, oder sagen Sie auch als Physiker, ich fürchte, leider war auch das richtig, was er gesagt hat?
Woelk: Das ist immer schwer zu sagen. Ich persönlich weigere mich ja immer, so pessimistisch zu sein. Ich denke, die Menschheit wird schon Wege finden. Aber es kam ja immer aus klaren Beobachtungen. Wenn man einfach sieht, womit die Menschheit zurzeit rumexperimentiert, ohne sich so recht im Klaren zu sein, was geschehen könnte – wir wollen das jetzt nicht alles besprechen. Ja, gut, dann ist er pessimistisch geworden. Aber er hat ja auch wieder eine ganz verrückte optimistische Perspektive entwickelt. Er hat nämlich gesagt, wir müssen große Raumschiffe bauen und müssen uns ins Weltall davon machen, damit wir mehrere Positionen haben im Weltall. Wenn es also dann irgendwo schief geht, bleibt dann wieder auf der anderen Stelle noch was übrig, wo es weitergehen kann.
Kassel: Und es gibt ja auch diverse Diskussionen über diverse Dimensionen. Vielleicht treffen wir ihn dann doch mal wieder. Nicht wahrscheinlich, aber man weiß das ja alles nicht. Stephen Hawking ist im Alter von 76 Jahren in der vergangenen Nacht in seinem Haus in Cambridge gestorben. Wir haben über ihn geredet mit dem Astrophysiker und Schriftsteller Ulrich Woelk. Herr Woelk, danke, dass Sie bei uns waren!
Woelk: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.