Sascha Mamczak, Jahrgang 1970, arbeitet als Autor, Lektor und Herausgeber in München. Er hat das Buch "Die Zukunft – Eine Einführung" geschrieben und hält regelmäßig Vorträge zu Zukunftsthemen.
Kisten packen für den Mars
Der Physiker Stephen Hawking schlug kürzlich vor, die Menschheit solle den Mars besiedeln, um die in nicht allzu ferner Zukunft bevorstehende Unbewohnbarkeit der Erde zu überstehen. Was würde dann passieren? Sehr wahrscheinlich nicht das vielleicht Erhoffte, meint Science-Fiction-Lektor Sascha Mamczak.
Es ist ja so: Wer umzieht, der nimmt nicht nur jede Menge Zeug von der alten in die neue Behausung mit, sondern auch sich selbst. Das ging mir durch den Kopf, als der berühmte Physiker Stephen Hawking vor kurzem empfahl, die Menschheit solle in den kommenden hundert Jahren die Erde verlassen und sich auf dem Mars ein neues Zuhause aufbauen.
Nun vermute ich, dass Ihnen, sollten Sie ebenfalls Hawkings Empfehlung vernommen haben, dabei etwas anderes durch den Kopf ging: Nämlich dass dieser Ratschlag nach schlechter Science-Fiction klingt, in der heldenhafte Raumpioniere erst ihre Fahne in den roten Marsboden rammen und dann unseren Nachbarplaneten in Windeseile kolonisieren. Denn die Wahrheit ist: Der Mars ist eine eiskalte, strahlenverseuchte, lebensfeindliche Wüste. Wer will da schon hin?
Wer will schon auf dem Mars leben?
Andererseits ist Stephen Hawking ein sehr ernsthafter, wenn nicht gar weiser Mensch, dessen Empfehlungen man nicht einfach abtun sollte, nur weil sie nach schlechter Science-Fiction klingen. Und seine Gründe für den großen Umzug zum Mars haben ja auch einiges für sich: Klimakatastrophe, neuartige Epidemien, ungebremste Bevölkerungswachstum und vieles mehr machen den Ort, an dem wir derzeit leben, zu einer Hochrisikozone. Ja, es besteht die Gefahr, so Hawking, dass die Menschheit insgesamt den von ihr auf der Erde angerichteten Schlamassel nicht überlebt.
Lassen wir uns also kurz auf die Vorstellung ein, dass wir – genauer gesagt: die kommenden Generationen – im Laufe der nächsten hundert Jahre in Raumschiffe klettern und zum Mars fliegen werden, um dort in geschützten Habitaten das Menschheitsprojekt fortzusetzen. Was löst dieser Gedanke in Ihnen aus? Was verbindet Sie mit diesen Menschen, die einmal auf dem Mars stehen und von dort auf einen bläulich schimmernden Punkt am Nachthimmel, Erde genannt, blicken werden? Gibt es Ihnen ein gutes Gefühl, dass es "die Menschheit" geschafft haben wird?
Umzugspläne einer winzigen Elite
Es ist schon merkwürdig: Es mag noch so evident sein, dass "die Menschheit" als politische Entität gar nicht existiert, dass jedenfalls "die Menschheit" nicht für die Misere verantwortlich ist, die Hawking beschreibt, sondern dass Verantwortung auf dem Planeten Erde völlig unterschiedlich und ziemlich ungerecht verteilt ist – und trotzdem drängt es uns, uns mit "der Menschheit" zu solidarisieren. Aber auch auf dem Mars wird dereinst nicht "die Menschheit" wohnen, sondern ein winzig kleiner Teil davon – ja, womöglich ein ziemlich elitärer Teil.
Natürlich hätten die ersten Marsianer die Chance, endlich einmal eine Gesellschaftsform zu entwickeln, die nicht auf die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen setzt, aber viel wahrscheinlicher ist, dass sich das Rad der Geschichte einfach schnöde weiterdreht – so wie beim letzten großen Umzug, als sich dem von Hunger, Krieg und Seuchen geplagten mittelalterlichen Europa ein neuer Kontinent darbot und sich die Europäer nicht lange bitten ließen.
Der Vergleich hinkt natürlich, denn nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es auf dem Mars keine Ureinwohner, die man ausrotten kann. Aber dass wir, wo immer wir hingehen, auch unseren geistigen und sonstigen Müll mitnehmen, ist eine nicht zu leugnende Tatsache.
Am schönsten? Immer noch die Erde
Und so ist das eigentlich Sciencefictionneske an Stephen Hawkings Empfehlung nicht die Reise zum Mars selbst, sondern diese seltsame Idee, "die Menschheit" könne sich vor sich selbst bewahren, indem sie sich von einem Planeten zum anderen bewegt.
Bevor Sie also schon die Möbelpacker bestellen, denken Sie daran, dass der schönste Planet, von dem wir wissen, immer noch der ist, auf dem Sie sich gerade befinden. Ich glaube, der weise Stephen Hawking hat uns auf seine Art daran erinnert.