"Absolut am Puls unserer Zeit"
Der Fernsehfilm "Es" hat sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt. Jetzt kommt eine Neuverfilmung von Andy Muschietti ins Kino. In den USA ist der Horrorstreifen erfolgreich angelaufen. Kulturwissenschaftler Marcus Stiglegger hat "Es" gesehen und erzählt, warum er ihn für einen Erfolg hält.
Susanne Burg: Stephen-King-Verfilmungen, das ist fast ein eigenes Genre. Über 60 Verfilmungen von Stephen-King-Büchern gibt es mittlerweile, darunter sehr prominente wie "Shining", "Carrie" und "Dead Zone". Eine, die sich stark ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt hat, ist der Fernsehzweiteiler "Es" von 1990. Und nun knüpft eine Neuverfilmung von Andy Muschietti an diese Zeit an. In den USA ist "Es" schon angelaufen und dort unglaublich erfolgreich. In Deutschland kommt die Verfilmung dieses 1.500-Seiten-Romans am Donnerstag in die Kinos. Gesehen hat diesen Film und auch die meisten anderen Stephen-King-Verfilmungen Marcus Stiglegger, Film- und Kulturwissenschaftler und Professor an der DEKRA-Hochschule für Medien. Guten Tag!
Marcus Stiglegger: Guten Tag!
Burg: Wenn man, wie Sie, die Verfilmung von 1990 kennt und mag, haben es Neuverfilmungen nicht gerade leicht. Für wie gut gelungen halten Sie denn die neue.
Stiglegger: Die Neuverfilmung ist natürlich State of the art. Sie ist absolut am Puls unserer Zeit und damit eine ganz deutliche Aktualisierung, Modernisierung und Erweiterung. Man muss auch bedenken, der Film ist voll kinoformatig. Die alte Verfilmung ist ein Fernsehfilm. Das sieht man auch, wenn man ihn heute wiedersieht. Die Intensität der Inszenierung dieser Neuverfilmung ist deutlich überlegen dem Fernsehfilm.
Burg: Ich habe es schon erwähnt, in den USA ist der Film angelaufen, unglaublich erfolgreich, und es ist nicht unbedingt selbstverständlich, wenn man sich nämlich mal die letzten Stephen-King-Verfilmungen anguckt. Da haben Stephen-King-Romane den Ruf von vielen Regisseuren ruiniert. Filme wie "Der dunkle Turm", "Maximum Overdrive" oder "Creep Show 2", für das ja sogar Zombie-Gott George Romero das Drehbuch geschrieben hat, sind gescheitert. Woran liegt es eigentlich, dass so viele Stephen-King-Verfilmungen gefloppt sind?
Gelungene Transformation von Literatur in Film
Stiglegger: Die besondere Qualität von Stephen Kings Literatur ist ja nicht zufällig auch begründet in der Ausführlichkeit, mit der er das amerikanische Alltagsleben darstellt. Bei ihm kriecht ja das Grauen sehr langsam und schleichend in das Alltagserleben der Protagonisten. Das ist etwas, was man in Romanform unheimlich gut machen kann. Bezeichnenderweise ist ja auch "Es" als Roman 1.500 Seiten, Sie erwähnten das. Und das ist eine Technik, die sich sehr schwer auf Film übertragen lässt. Man kann natürlich das Milieu dieser Vorstadt, Kleinstadt in Amerika, dieses Milieu gut darstellen, aber die Art und Weise, wie eben sich das Grauen dort einnistet und etabliert. Das ist möglicherweise in der Romanform noch etwas anders zu gestalten. Deswegen ist es immer eine Herausforderung, Stephen King auf die Weise zu verfilmen, und es ist umso beachtlicher, wenn das tatsächlich gelingt. Es gibt ja einen sehr frühen Stephen-King-Film, nämlich "Carrie" von 1976, wo das schon relativ überzeugend war und auch erfolgreich. Und jetzt aktuell kann man "Es" mit der Verfilmung der ersten Hälfte des Romans durchaus auch als eine sehr gelungene Transformation von der Literatur in den Film betrachten.
!Burg:!! Und "Carrie" war ja durchaus auch erfolgreich. Vor allem die ersten Filme haben ein sehr gutes Renommee. Woran liegt das, dass die eine Gefolgschaft hatten und danach eigentlich mehr die durchaus auch mainstreamig produziert waren, sang- und klanglos untergingen?
Stiglegger: Wenn man die frühen Stephen-King-Verfilmungen wie zum Beispiel "Shining", "Dead Zone", "Carrie" getrachtet, die ja als eigenständige Filmwerke auch funktionieren, dann fällt auf, dass die eigentlich die Grundidee der Romane nehmen und eben eigenständig in Drehbücher und in Filme übertragen, also nicht versuchen, den Stephen-King-Modus auf die Leinwand zu bringen. Als Filme in den 80er-Jahren, vor allem für Videothekenkunden war das ja wie ein eigenes Subgenre des Horrorfilms, also Stephen-King-Filme, waren sie oft enttäuschend, weil sie eben genau diese Übertragung nicht schafften und auch als Film eigenständig meistens recht blass blieben. Und das ist eben genau die Herausforderung, quasi beides zu leisten, diesen Stephen-King-Touch zu behalten und gleichzeitig als eigenständige Filmwerke zu funktionieren.
Burg: Und ist es denn eigentlich der Verfilmung von 1990, "Es", gelungen, oder anders gefragt, was hat sie eigentlich zu einem solchen Klassiker werden lassen?
Nostalgie für das ältere Publikum
Stiglegger: Ich denke, die Grundidee von "Es" ist hier schon bewahrt. Wichtig erscheint mir, dass der Film in zwei Zeitebenen spielt, eben in der nostalgischen Kindheitsvergangenheit und mit Kindheitsängsten agiert, und dann quasi die Kontinuität dieser Ängste in die Erwachsenenära hineinträgt, also zwei Ebenen. Diese erste Fernsehverfilmung ist ja auch über drei Stunden lang, und dadurch hat sie ein bisschen mehr Möglichkeit, diesen epischen Romanduktus auch beizubehalten. Sie ist nichtsdestotrotz eine Vereinfachung natürlich dieser Romangeschichte. Und es ist dem neuen Film natürlich auch anzurechnen, dass er sich erst mal nur einen Teil des Romans dadurch vornimmt, den Kindheitsteil vor allem.
Burg: Der Film setzt im Jahr 1988 ein, in der Kleinstadt Derry in Maine. Wie knüpft er denn an den alten Film von 1990 an? Tut er das?
Stiglegger: Ja. Das ist natürlich ganz interessant, weil der Roman spielt ja eigentlich in den 50er-Jahren in der Kindheit, und dann in den 80er-Jahren wird das wieder aufgegriffen. Ich denke der Film knüpft sehr stark für das Publikum an den 80er-Jahre-Erfahrungen an, weil der genau zwischen dem Roman, 1986, und der Fernsehverfilmung 1990 angesiedelt ist. Und das weckt natürlich viele Erinnerungen, auch eigene Erfahrungen, Erinnerungen an die eigene Jugend und Kindheit. Und so die ersten zwei Generationen von Stephen-King-Lesern sind da natürlich ganz klar das Zielpublikum. Das ist natürlich sehr geschickt, weil der Film sowohl für ein aktuelles Publikum funktioniert, ein junges, wie auch eben aus nostalgischen Gründen eben für das ältere Publikum.
Burg: Heißt das, da sind auch lauter versteckte Botschaften drin?
Stiglegger: Da sind auf jeden Fall Verweise und Zitate drin. Man hat Freude daran, bestimmte Hinweise auf Figuren, auf Ereignisse und so weiter zu verfolgen, wie das ja im Stephen-King-Universum, dem literarischen Universum auch üblich ist. Viele der Stephen-King-Romane stehen ja in einem Bezug zueinander. "Es" wird wieder aufgegriffen in dem Roman "Der Anschlag" und so weiter. Also, es gibt so ein ganzes Universum, auf das er immer wieder selbst Bezug nimmt, und was die Filme auch aufgreifen. Und das verweist wiederum auf andere Traditionen, zum Beispiel die literarische Tradition von Howard Phillips Lovecraft und seinem kosmischen Horror der alten Götter, die quasi durch Dimensionstore wie in "Es" das Grauen in die Gegenwartswelt bringen.
Burg: Einiges hat der Film aber auch wieder getilgt wiederum: Die Homophobie Derrys, die Angst vor Aids sowie den Rassismus. Wie gut bekommt das dem Film?
Thematisierung kindheitsbasierter Urängste
Stiglegger: Der Film hat einige etwas risikoreichere Dinge vermieden. Jetzt muss man sagen, momentan ist der Horrorfilm in Amerika ja schon durchaus mutig. Filme wie "Get out" zum Beispiel greifen ja gerade Themen wie Rassismus auf und bauen darauf eben ihre Angstmodelle auf. Ich denke, es gibt gute Gründe, warum man, wenn man eine sehr große Produktion macht, gewisse Risiken vermeidet. Nicht jedes dieser Risiken war nötig, zu vermeiden, muss ich sagen. Das macht schon Sinn aus kommerziellen Erwägungen vielleicht, aber ich habe manche Sachen schon vermisst, ja.
Burg: Nun ist ja auch gerade ein anderer Horrorfilm noch gestartet, "Mother" von Darren Aronofsky. Wie unterschiedlich inszenieren die beiden Filme Horror?
Stiglegger: Zunächst mal ist das ein gutes Beispiel für zwei völlig unterschiedliche Vertreter dieses Genres, denn der Horrorfilm ist ungeheuer komplex, entgegen dem Ruf, den er in Deutschland üblicherweise hat. Man kann sagen, dass "Es" vielleicht klassischer vorgeht, weil er eben diese direkte Thematisierung der kindheitsbasierten Urängste, Angst vor Clowns zum Beispiel, das ist so eines dieser Dinge, die so im amerikanischen kommerziellen Horrorfilm sich fest etabliert haben, die da auch wieder vorkommen, solche Dinge. Während "Mother" ja ein sehr künstlerischer Zugang ist, der also quasi ein Universum des Grauens auf einer sehr subjektiven und persönlichen Ebene im Kosmos einer Paarbeziehung entwirft. Und beiden Filmen gelingt es aber, gesellschaftliche Problematiken ins Grauenerregende oder Angsterregende zu übersteigern, und auf sehr unterschiedliche Weise aufs Publikum zurückzuspiegeln. Das Horrorgenre schafft Relevantes und ist die Möglichkeit, gesellschaftskritische Metaphern im Bild zu verdichten, die für ein großes Publikum zum Teil zumindest zugänglich sind.
Burg: Zwei Gelegenheiten, das zu sehen, gibt es jetzt also im Kino. "Mother" ist schon angelaufen, "Es", eine Stephen-King-Verfilmung läuft am Donnerstag an. Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. Vielen Dank!
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