Gutachten von Sterbehilfe-Verein

Hamburger Ehepaar das "grüne Licht" versagt

07:25 Minuten
Eine grün leuchtende Ampel im nächtlichen Nebel.
240 Mitglieder haben im vergangenen Jahr nach Angaben des Vereins Sterbehilfe Deutschland mit Hauptsitz in der Schweiz einen Antrag auf assistierten Suizid gestellt. In nur 24 Fällen hat der Verein diesen Wunsch, das sogenannte „grüne Licht“ verwehrt – wie bei Elke und Johann. © unsplash / Andy Holmes (Symbolfoto)
Von Jörn Straehler-Pohl · 02.05.2022
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Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 das Verbot für Sterbehilfe-Vereine gekippt. Diese entscheiden nun nach eigenen ethischen Regeln, wem sie beim Suizid assistieren. Denn gesetzliche Regeln fehlen bislang. Ein Hamburger Ehepaar ist betroffen.
Im Oktober 2020 bekommen Elke und Johann Post aus Zürich. Der Verein Sterbehilfe Deutschland mit Hauptsitz in der Schweiz begrüßt die beiden als neue Vereinsmitglieder. Er ist zu diesem Zeitpunkt 90, sie 79. „Ach, eigentlich ist mir die Entscheidung gar nicht schwergefallen. Ich war eher ein bisschen beruhigt, weil die Angst im Pflegeheim zu landen oder allein ohne Kind zu sein – der Gedanke hat mich sehr belastet.“
Sie hätten sich das schon lange überlegt, Mitglied in dem Verein zu werden, sagt auch ihr Mann Johann. Sie wollten gemeinsam durch ein tödlich wirkendes Medikament sterben, das von einem Arzt verschrieben wird und dass sie im Beisein eines Sterbebegleiters zu sich nehmen.
Ein Anruf des Vereinsgründer Roger Kusch gab ihnen die Sicherheit, dass diesem Plan nichts im Wege steht. „Ja, ich hab ja mit dem Herrn Dr. Kusch gesprochen und das Gespräch war eigentlich sehr angenehm, und ich war also überzeugt, so wie er sich geäußert hat, dass wir, ja, die Zustimmung bekommen“, sagt Johann.

Wunsch auf assistierten Suizid verwehrt

Weder Johann noch Elke wollen ihren Nachnamen im Radio hören. Aber ihre Geschichte sollen alle erfahren. Die Geschichte, dass der Verein ihnen den Wunsch auf einen assistieren Suizid nun verwehrt hat. Anfang 2021 hatten sie den Antrag dafür gestellt. Ende April 2021 kamen die Absagen.
In dem Schreiben an den Mann heißt es: „Die ärztliche Begutachtung hat gezeigt, dass der Sterbewunsch Ihrem eigenen Bedürfnis nicht entspringt. Darüber hinaus wurde eine mindestens beginnende demenzielle Entwicklung diagnostiziert.“
Und bei seiner Frau erkannte der Gutachter des Vereins eine depressive Verstimmung und eine Persönlichkeitsstörung, die bisher nicht behandelt wurde: „Der Verein empfiehlt Ihnen daher eine psychologisch-therapeutische Behandlung. Nach dieser Behandlung kann eine neue ärztliche Begutachtung erfolgen.“

Verein entscheidet über "grünes Licht"

Das Ehepaar ist am Boden zerstört – es hatte nicht mit den Absagen gerechnet. Die beiden fühlen sich rückblickend schlecht aufgeklärt durch den Verein und seine Informationsbroschüre. „Weil ja in dem Buch, wir haben uns das ja durchgelesen, sogar stand, dass man ja nicht mal unheilbar krank sein muss, sondern allein schon, wenn man merkt, dass die Kraft und die Schmerzen einen so sehr belasten, dass man damit nicht zurechtkommt, dass da also keine Schwierigkeiten auf uns zukämen“, sagt Elke.
240 Mitglieder hatten im vergangenen Jahr nach Angaben des Vereins einen Antrag auf assistierten Suizid gestellt. In nur 24 Fällen hat der Verein diesen Wunsch, das sogenannte „grüne Licht“ verwehrt – wie bei Elke und Johann.
In erster Linie, weil der Gutachter nicht davon überzeugt war, dass der Sterbewunsch auf eine freie Entscheidung ohne äußeren Druck zurückgeht, sagt Vereinsgeschäftsführer Jakub Jaros. „Wir haben ein Schutzkonzept und es ist eigentlich zum Schutz der Freiverantwortlichkeit von den Mitgliedern. Sie haben das ‚grüne Licht‘ noch nicht bekommen, weil sie sich nicht kooperativ geben. Es ist ja unsere Aufgabe, die Freiverantwortlichkeit zu klären, dass sie vorhanden ist. In diesem Fall haben wir die Möglichkeit noch nicht gehabt.“

Sterbehilfe-Vereine mit eigenen ethischen Regeln

Wann genau ist es eine freie und autonome Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen? Entspringt der Wunsch nur einer kurzen Lebensphase oder ist er von Dauer? Was wären die Alternativen zum Suizid? All diese Fragen beantworten Sterbehilfe-Vereine seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor zwei Jahren noch nach ihren eigenen ethischen Regeln, sagt der Hamburger Ärztekammerpräsident Pedram Emami.
„Eigentlich ist es jetzt wichtig, dass es keinen Wildwuchs gibt, sondern dass der Gesetzgeber den Menschen mit einem Suizid-Wunsch fair und transparent Rahmenbedingungen bietet, in denen Entsprechendes besprochen und diskutiert und gegebenenfalls – was nicht schön wäre – angewandt werden kann.“

Gesetzgeber tut sich schwer

Doch der Gesetzgeber tut sich schwer. Seit einigen Wochen liegt dem Bundestag der dritte Gesetzesentwurf vor, den Abgeordnete von SPD, Grünen, CDU, FDP und Linken gemeinsam formuliert haben. Er trägt unter anderem die Handschrift des CDU-Politikers Ansgar Heveling aus Nordrhein-Westfalen. „Wir haben das Ziel, mit unserem Gesetzesantrag den Lebenswillen zu fördern, aber gleichzeitig eben die Regeln so zu schaffen, dass der freiverantwortliche Suizid – weil die Verfassung uns das vorgibt – möglich bleibt. Aber es geht auch darum, andere Wege aufzuzeigen.“
Dieser dritte Gesetzentwurf gilt als der bislang strengste zur Sterbehilfe. Um Hilfe beim Suizid bekommen zu können, bräuchte es mindestens zwei psychiatrische Untersuchungen im Abstand von drei Monaten und zusätzlich ein ärztliches Beratungsgespräch – Ausnahmen gibt es allerdings für sterbenskranke Menschen.
„Und wir sagen eben, an den Stellen, wo die Vorgaben nicht eingehalten werden, und es sich dann um eine geschäftsmäßige Beihilfe handelt, also um eine Sterbehilfe-Organisation, dann ist die Grenze zum Verbotenen überschritten und deswegen ist unser Gesetzentwurf der einzige, der eine strafrechtliche Verbotsregelung enthält.“
Sprich: Ein Sterbehilfe-Verein müsste sich also genau an die gesetzlichen Regeln halten – ansonsten drohen seinen Vertretern im schlimmsten Fall bis zu drei Jahren Haft.

Zeitpunkt für Beratungen im Bundestag offen

Soweit gehen die anderen beiden Gesetzesentwürfe nicht. Wann der Bundestag in die Beratungen einsteigt, ist noch offen. Dem Hamburger Ehepaar Elke und Johann dürfte das eh nicht mehr helfen. Mit dem „grünen Licht“ rechnen sie nicht mehr, allenfalls mit der Rückerstattung ihrer Ausgaben.
Sie haben in der Hoffnung auf einen assistierten Suizid satzungsgemäß 18.000 Euro an den Sterbehilfe-Verein gezahlt – allein jeweils 7000 Euro für den Antrag auf „Grünes Licht“. „Ja, wenn das grüne Licht nicht zu bekommen ist für uns, was ich nach wie vor nicht verstehen kann, dann wenigstens das Geld zurückzubekommen, ja“, sagt Johann.

Haben Sie suizidale Gedanken, befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation oder trifft das auf einen Angehörigen oder Bekannten von Ihnen zu? Dann können sie auf die Hilfe der Telefonseelsorge zurückgreifen: Anonyme Beratung erhalten Sie rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich.

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