"Sterben im Hospiz"

Von Katrin Jäger |
Wenn das Ende naht, begeben sich immer mehr todkranke Menschen in die Obhut eines Hospizes statt eines Krankenhauses. Der Soziologe Stefan Dreßler hat sich dort als Praktikant verdingt und das Buch "Sterben im Hospiz" geschrieben. Allzu Menschliches darf man davon nicht erwarten - eher eine soziologische Abhandlung.
Richtig spannend wird Stefan Dreßkes Abhandlung "Sterben im Hospiz", wenn der Autor und Soziologe von sich selbst erzählt. Wie er die Abläufe im Sterbehaus detektivisch beobachtet, dann heimlich, in einer abgelegenen Nische den Schreibblock zückt, um das Gespräch mit einem Pfleger aufzuschreiben. Wenn er nebenbei einfließen lässt, dass der Chef des Hauses ihm verbietet, ein Aufnahmegerät mitlaufen zu lassen. Womöglich, damit Kommentare über faulende Wunden, ätzende Körperausdünstungen und ekelerregende Anblicke nicht nach außen dringen, vermutet Stefan Dreßke.

Dreßke: " Das Problem der Außendarstellung, gerade im Bereich des Sterbens ist, dass der körperliche Verfall der Patienten fast verleugnet wird. Es wird immer von den psychischen Prozessen gesprochen, dass ein Patient das Sterben akzeptiert hat, dass er sein Leben ins Reine gebracht hat. Aber oftmals sind die wichtigen Dinge die körperlichen Dinge. Die Pflege, die Leiden, die mit dem Sterben verbunden sind. Diese werden quasi ausgeklammert. Das ist ein körperloses Sterben, was in den Medien formuliert wird."

Erstaunlich, dass Dreßke trotz dieser Kritik ebenso körperlos schreibt. Die sterbenden Menschen handelt er als Fallbeispiele mit einer Patientenkarriere ab, die im ungünstigen Fall verlaufsgestört ist. Das Hospiz sieht er als Labor des guten Sterbens, Gefühle presst er in eine Gefühlsordnung. Seine Beobachtungen gleichen einem physikalischen Versuchsaufbau. Der Blick durch sein soziologisches Methodenraster versperrt ihm den persönlichen Zugang zu den Bewohnern.

Dreßke: " Sie schließen mit dem Leben ab. Das ist so. Da ließ sich auch kaum was beobachten, obwohl ich natürlich Kontakte hatte. Obwohl's immer wieder Kontakte zwischen den Patienten gibt, aber die sind höchst singulär."

In sieben langatmigen Kapiteln schleust der Autor den Leser durch die Untersuchung. Dabei schreibt er Nebensächlichkeiten zu Sensationen hoch: Die formale Aufnahme einer neuen Bewohnerin stilisiert er zum Sozialisationsereignis. Nahezu zynisch kommentiert er die Tatsache, dass der Gast sich im Hospiz einleben soll, obwohl er doch zum Sterben dort hinkomme. Und – kaum zu glauben – der Autor wundert sich, dass die Pflege der todkranken Menschen eine große Rolle spielt.

Dreßke: " Also, das gute Sterben ist immer noch ganz dominierend ein medizinisch korrektes Sterben: Schmerzfreiheit, auch Angstfreiheit lässt sich medizinisch regulieren, Leidensfreiheit. Die anderen Dinge nehmen in der Arbeit des Personals eher'n geringeren Stellenwert ein. Gespräche sind immer wichtig in Hospizen. Das ist unabhängig von den Trägern."

Gern verallgemeinert Stefan Dreßke seine subjektiven Eindrücke, spricht von dem Hospiz an sich, obwohl er in lediglich zweien für jeweils acht Wochen Praktikant war. Mitarbeiterinterviews hat er in insgesamt acht Einrichtungen geführt.

Dreßke: " Das lässt sich durchaus verallgemeinern. Zumal es sich meistens um konzeptuelle Dinge handelt, die ich hier anspreche. Sicherlich, die konkreten Arbeitsbedingungen sind unterschiedlich, manche Hospize sind kleiner, manche größer, aber das Konzept des guten Sterbens zum Beispiel wird überall vorhanden sein. Überall wird es Regeln geben, wie mit Sterbenden umzugehen ist. "

Bloß, welche Regeln, das steht nicht im Buch. Welche Handlungen, womöglich auch spirituellen Rituale sich im Sterbehaus konkret abspielen, wie der Tod dort seine Daseinsberechtigung erhält, die er im normalen Leben nicht mehr hat, das überlässt Stefan Dreßke der Phantasie des Lesers. Stattdessen übt er aus der sicheren Distanz des objektiven Wissenschaftlers Kritik.

Deßke: " Die Kritik besteht darin, dass es manchmal zu hohe Ideale sind, dass sich die Hospizmitarbeiter einfach zu viel vornehmen, unter Umständen. Manchmal funktioniert das einfach nicht, das, was das gute Sterben dann ausmachen soll. Beispielsweise: Patienten können unter Umständen auf dem Flur verbluten. Und dann ist jetzt die Frage eines neutralen Beobachters: Ja, was ist daran schlimm? "

Allzu Menschliches darf man von dieser Abhandlung nicht erwarten. Schon gar keinen Einblick in das Hospizleben oder eine einfühlende Annäherung an das Sterben. Stattdessen eher eine Einführung in soziologische Fachbegriffe.

"Sterben im Hospiz. Der Alltag in einer alternativen Pflegeeinrichtung" von Stefan Dreßke. Es ist soeben im Campus Verlag erschienen, 248 Seiten dick und kostet 24,90 Euro.