Sterbende Schönheit

Von Johannes Halder |
Wasser und Luft, Licht und Atmosphäre, Sehnsucht und Vergänglichkeit - Venedig ist ein Mythos, an dem vor allem die Maler des 19. Jahrhunderts eifrig mitgewirkt haben. Die Fondation Beyeler im schweizerischen Riehen bei Basel zeigt in einer großartigen Ausstellung rund 150 Venedig-Bilder von zwölf Malern wie Canaletto und Turner bis zu Monet.
Venedig, das war zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein lausiger Ort an der Lagune, verwahrlost und verkommen, verarmt und übel riechend. Unrat schwamm in den Kanälen, in denen morsche Gondeln kreuzten, Schimmel nistete in den verfallenden Palästen, deren Pfähle faulten; ein Teil des Adels hatte sich aufs Festland abgesetzt und die Bewohner stöhnten unter schikanösen Steuern.

Kurzum, es sei kein Vergnügen, in Venedig zu leben, schrieb der englische Maler John Ruskin 1845 über die Stadt, die von weitem aussah, als sei sie Opfer einer Überschwemmung. Venedig, die einstmals stolze Handelsstadt mit ihrer mächtigen Flotte war ein Vasall der Habsburger geworden, die sie systematisch demütigten und verfallen ließen - eine perfekte Allegorie des sittlichen und materiellen Niedergangs. Und doch, sagt Martin Schwander, der Kurator der Schau, erlebte der tote Ort unversehens eine neue Blüte:

"Mit dem Untergang der Republik, also 1797, ist eigentlich der Glanz und die Bedeutung von Venedig zu Ende gegangen. Und unsere Ausstellung will zeigen, dass das 19. Jahrhundert auch etwas ganz Aufregendes ist in Venedig, teilweise eine terra incognita, die noch zu entdecken ist, weil sich eigentlich Venedig dank den Künstlern auch vor allem im späten 19. Jahrhundert neu erfunden hat."

Kurioserweise war es gerade der Reiz des Ruinösen, der morbide Charme von Verfall und Vergänglichkeit, der Venedig zu einem Ort der Sehnsucht und der Träume werden ließ. In einem englischen Reiseführer von 1842 hieß es: "Nach Venedig kommt niemand als Fremder". Das meinte das Klischee, das die Touristen im Kopf hatten und das von den Malern geprägt war. Das Klischee war fortan das Kapital der Stadt, es zog die Bildungsreisenden massenhaft in seinen Bann.

Die Glanzzeiten der "Serenissima" hatten im 18. Jahrhundert Maler wie Canaletto und Guardi ins Bild gesetzt, mit deren Gemälden die großartige Schau beginnt. Francesco Guardi hatte noch den festlichen Prunk in den Palästen und die Pracht der Plätze und Fassaden gefeiert, und Canaletto eroberte mit seinen fotografisch genauen Veduten einen riesigen Markt, indem er Venedig zu heiteren Postkarten-Ansichten verklärte: Kirchen, Paläste, Schiffe und Wasserstraßen, Brücken, Plätze und Märkte, ein Mirakel an Schönheit und Urbanität, an Kunstschätzen, Reichtum und Gelehrsamkeit.

Davon war nur noch ein Schatten, als Lord Byron um 1818 die sterbende Schönheit der Stadt beschrieb, und William Turner war sein künstlerischer Adept. Turner ist der erste, der das Licht ins Spiel bringt. Wie mit zusammengekniffenen Augen streift er durch die Stadt und taucht sie in seine farbigen Nebel; skizzenhaft lässt er Details verschwimmen, flüchtig, stimmungsvoll und schwelgerisch. Ein Hauch von Melancholie und Düsternis dann auf den Bildern der beiden Amerikaner James Whistler und John Singer Sargent; letzterer verfolgt das Treiben in den Gassen Venedigs bis in intime Winkel und vergessene Ecken und versucht der Stadt ihr Geheimnis zu entlocken, in dem er auch ihre Bewohner porträthaft mit einbezieht.

Besonders die Impressionisten aber waren es, die sich von der pittoresken Kulisse verzaubern ließen. Manet kam 1874, und natürlich musste er dem Klischee etwas Neues entgegensetzen. In extremer Nahsicht rückt er den Blick auf die blauweißen Pfosten, an denen die Gondeln vertäut werden und auf das Schauspiel der Lichtreflexe an der Wasseroberfläche.

"Alle touristischen Aspekte einer solchen Sicht, die schönen Paläste und so weiter, die sind auf dem Bild nicht zu sehen, sondern er konzentriert sich auf die Gondeln und vor allen Dingen auf den Gondoliere, der uns da in der Bildmitte entgegenkommt."

Auch Renoir war vor Ort und sein Kollege Signac mit seinem süßlichen Getüpfel; der Schwede Anders Zorn malte einen Gondoliere in Rückenansicht - Hauptsache weg vom Klischee der kitschigen Salonmalerei.

"Jeder Künstler, auch Monet, hatte mit dem Venedig-Klischee zu kämpfen und musste eigentlich immer ankämpfen gegen Klischees, wenn er ein eigenes Bild zu entwerfen versucht hat. Das war auch die Herausforderung, die eben einen Künstler wie Monet zum Beispiel gereizt hat."

Monet kam 1908 an die Lagune, nach langem Zögern. Venedig schien ihm abgegriffen und als Motiv erschöpft, doch erst ein-mal vor Ort, erlag auch er dem Zauber dessen, was er dort vor Augen hatte.

"Er hatte seinen Tag genau eingeteilt im Zweistundentakt, und je nach Lichtstand an dem und dem Ort ging er dorthin oder an einen anderen Ort. Und aus diesem Rhythmus, Tagesablauf, hat er dann diesen Zyklus von 37 Bildern entwickelt, der sicher ein Höhepunkt in seinem Spätwerk ist und auch das Herzstück in unserer Ausstellung ist."

Mit Monets elegischem Zyklus scheinen die Möglichkeiten des Venedig-Motivs für die Moderne ausgereizt, eine Zäsur. 1899 noch hatte der Venezianer Pietro Fragiacomo, neben Canaletto und Guardi der einzige Einheimische unter den zwölf Malern, den Markusplatz mit einer golden gleißenden Aura übergossen, ästhetisch sublimiert, modern und durchaus nicht verkitscht, aber man kann sich vorstellen, wohin solche Art der Verklärung Venedigs führen würde. Mehr wäre auch gar nicht zu ertragen an farbigem Geflirr.

Das Problem der Maler ist bis heute nicht die Stadt, es sind die anderen Maler mit ihren Klischees. Dagegen kommt man nicht mehr an. Besser, man zieht sich noch einmal zurück in diese Schau, die in abgedunkelten Sälen auch empfindliche Aquarelle, Radierungen und historische Fotografien zeigt, bevor man sie mit einem leisen Seufzer der Sehnsucht wieder verlässt.