Ich bereue lieber irgendwann mal die Sterilisation, als dass ich ein Kind bereue. Bevor sich dann herausstellt, dass ich das dann doch irgendwie nicht gebacken kriege. Beziehungsweise, dass ich dieses Kind dann doch eigentlich nicht wollte. Ich meine, ‚regretting motherhood‘ ist halt auch ein großes Tabuthema, über das kaum gesprochen wird. Aber es existiert.
Sterilisation
Die Praxis bei der Sterilisation zeigt: Vor allem jungen Frauen wird die Fähigkeit, über den eigenen Körper frei entscheiden zu können, häufig abgesprochen. © imago / Science Photo Library / Pikovit
Warum Selbstbestimmung so wichtig ist
07:37 Minuten
Für klassische Verhütungsmethoden bekommen Frauen ohne Kinderwunsch meist problemlos ein Rezept. Bei der Sterilisation sieht das in Deutschland anders aus: Viele Ärztinnen und Ärzte zögern, diesen Eingriff vorzunehmen – besonders bei jungen Frauen.
Schon als Julia selbst noch ein Kind war, wusste sie: Sie möchte, wenn sie erwachsen ist, selbst keins haben. Doch damals nimmt sie niemand ernst. „Ich hatte schon das Gefühl, dass mir immer wieder abgesprochen wurde, dass ich diese Entscheidung treffen kann aufgrund meines Alters“, erzählt sie.
Heute ist Julia 24 und studiert in Marburg. An ihrem Wunsch hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, sie ist sich so sicher, dass sie sich mit 22 Jahren sterilisieren lässt. Für Julia ist die OP ein Mittel zur selbstbestimmten Verhütung.
„Sie sind ja so jung“
Für sie liegt darin auch ein gewisser Pragmatismus: Einmal gemacht, muss Julia sich um das Thema Empfängnisverhütung keine Gedanken mehr machen. Doch damit stößt sie nicht nur bei ihrer Mutter auf Unverständnis, sondern vor allem bei ihrer Frauenärztin.
„Das kann ja nicht sein und Sie sind ja so jung und Sie wissen noch nicht, was Sie wollen. Da muss ja irgendwas in meiner Kindheit vorgefallen sein, dass ich keine Kinder haben möchte, irgendwas Schreckliches. Und dass ich einsam sterben werde, weil kein Mann mich mehr haben möchte, wenn ich keine Kinder habe“, beschreibt sie die Reaktionen.
Bis Julia endlich eine Praxis findet, braucht sie einige Anläufe. Immer weiter vergrößert sie den Suchradius auf der Karte des Vereins Selbstbestimmt Steril. Dieser listet Praxen in Deutschland auf, die Sterilisationen prinzipiell durchführen und klärt ganz grundsätzlich über das Thema auf.
In vielen Praxen gelten höhere Altersgrenzen
Die Praxis zeigt: Vor allem jungen Frauen wird die Fähigkeit, über den eigenen Körper frei entscheiden zu können, häufig abgesprochen. Oft verwische dabei auch die Grenze zwischen Professionalität und persönlicher Überzeugung, sagt der Verein Selbstbestimmt Steril. Und obwohl eine Sterilisation bereits ab 18 erlaubt ist, haben viele Gynäkolog*innen höhere Altersgrenzen gesetzt.
Das habe in der gynäkologischen Facharztausbildung System, sagt Dr. Ali Fathi, Gynäkologe im hessischen Bad Homburg. „Die Lehre sagt: Unter 35 sollte man das nicht machen. Auch ab 35 muss man überlegen, wie viele Kinder hat die Patientin? Das macht jeder Gynäkologe. Das hat sich etabliert“, erklärt er.
Dass diese Praxis noch in weiten Teilen besteht, findet Fathi veraltet. Er selbst sterilisiert Patientinnen ab dem 18. Lebensjahr.
Aber auch er möchte sicher sein, dass die Entscheidung gut überlegt ist. „Kann sie selbst wirklich gut abschätzen, wie die Lage ist, was das alles überhaupt bedeutet? Wie aufnahmefähig ist die Patientin?“ Das sei nicht zwingend vom Alter abhängig, so Fathi.
Trotzdem bleibt bei vielen Ärzt*innen die Angst, die Patientin könnte den Eingriff bereuen und im Zweifelsfall gegen den Arzt oder die Ärztin klagen. Geht es nach dem Verein Selbstbestimmt Steril, ist diese Angst jedoch unbegründet. Geklagt werden könne zwar, aber wenn der behandelnde Arzt oder die Ärztin die Patientin sachgemäß über die OP aufgeklärt hat, haben solche Klagen keine Aussicht auf Erfolg.
Nur sehr wenige Frauen bereuen den Eingriff
Doch was ist, wenn eine Patientin den Eingriff bereut? Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass etwa drei von hundert Frauen eine Sterilisation zeitweise bereuen, aber nur eine von hundert auch eine Refertilisierung durchzieht.
Auch die 24-jährige Studentin Julia hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Sie stellt für sich fest:
Neben dem Wunsch, aus Überzeugung keine Kinder zu wollen, können auch gesellschaftliche und soziale Bedingungen eine Sterilisation begründen. Etwa fehlende Unterstützung für Familien mit Kindern. Der Gynäkologe Dr. Fathi lässt für den Fall der Fälle trotzdem gern eine Hintertür offen.
Er führt nur Sterilisationen durch, bei denen die Eileiter undurchlässig gemacht werden. Eine Schwangerschaft durch eine künstliche Befruchtung sei dann, anders als bei der Entfernung von Eierstöcken und Eileitern, trotzdem noch möglich.
Gleichzeitig müsse man sich immer von Fall zu Fall fragen, warum eine Sterilisation überhaupt notwendig sei, so Fathi. Immerhin bedeute die OP einen invasiven Eingriff unter Vollnarkose – in einen in der Regel gesunden Körper.
Da muss man auch versuchen, die Personen zu verstehen, warum die das überhaupt wünschen. Ich habe einige Patienten gehabt, die hatten mehrfach Verhütungsmethoden probiert, die nicht funktioniert haben. Dann auch welche, die wirklich schwanger waren, und die mussten dann auch abtreiben. Das ist natürlich eine seelische Last für solche Patienten und das muss man auch verstehen und begreifen.
Sonderfall nicht-binäre Personen
Dabei ist der „Kinderfrei-Wunsch“ längst nicht der einzige Grund für eine Sterilisation.
„Ich bin Lu und bin 26 Jahre alt.“ Lu, die eigentlich anders heißt, identifiziert sich als nicht-binär. Sie fühlt sich also weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Trotzdem nutzt Lu die Pronomen sie / ihr.
Dass Lu in einen weiblich gelesenen Körper geboren wurde, belastet sie sehr. „Das will ich nicht und damit kann ich mich nicht identifizieren. Also ich habe auch immer mal wieder gedacht, ich würde das alles gerne wegmachen.“
Auch für Lu ist die Sterilisation, neben anderen Operationen wie einer Brustverkleinerung, ein Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Doch im Gegensatz zu Julia hatte Lu keine großen Schwierigkeiten eine Praxis zu finden. Trotz der Tatsache, dass Lu bei dem Erstgespräch mit der Gynäkologin noch nicht das dort erforderliche Mindestalter von 25 Jahren erfüllte. Weil es bei Lu nicht um Verhütung ging, sondern um ihre sexuelle Identität.
„Jetzt fängt ein neues Leben für mich an“
Mittlerweile ist es einige Jahre her, seit Lu und Julia sterilisiert wurden. Doch an ihre erste Reaktion erinnern sich die beiden noch sehr genau: „Ich bin aufgewacht und konnte mit dem Grinsen nicht mehr aufhören. Was total spannend war, dass ich mich wirklich in meinem Körper schlagartig viel wohler gefühlt habe“, erzählt Lu.
Und Julia: „Ich hatte einfach das Gefühl, dass sämtliche Sorgen und Ängste der letzten Jahre von mir abgefallen sind. Und, dass ich das Gefühl hatte: Jetzt fängt ein neues Leben für mich an, ein neues Kapitel.“
Solche Erfahrungen verdeutlichen, wie wichtig ein vorurteilsfreies Informationsangebot und eine ärztliche Beratung auf Augenhöhe sind. Dennoch ist die Sterilisation vor allem unter Gynäkolog*innen noch oft ein Tabuthema, bestätigt auch Dr. Fathi.
Um zumindest die Informationslage für Menschen mit Sterilisationswunsch zu verbessern, telefoniert Lu für den Verein Selbstbestimmt Steril wöchentlich mit gynäkologischen Praxen, um die Karte auf der Website des Vereins auszuweiten. Meistens bekommt Lu dabei negative Rückmeldungen. Aber hin und wieder landet sie bei einer Praxis, die Sterilisationen durchführt. Auch bei jungen Menschen.