Sternstunden im Tanzjahr 2012
Wer im ausgehenden Jahr die besten und aufregendsten Choreografien sehen wollte, der hatte es nicht leicht, stets am richtigen Ort zu sein. Denn die künstlerischen Großereignisse der Tanzszene erlebte das Publikum in Paris, Düsseldorf, München oder Amsterdam.
Zu Beginn des Jahres 2012 übernahm eine Nation den Vorsitz des Ministerrats der Europäischen Union, von deren großer aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert datierender Tanztradition das Königliche Ballett seiner Hauptstadt bis heute Zeugnis ablegt: Dänemark. Mit Bournonvilles Italienballett "Napoli" in einer hinreißend modernisierten Fassung des jetzigen dänischen Ballettdirektors Nikolaj Hübbe begann das europäische Tanzjahr 2012 mit einem Gastspiel der Dänen in Paris glanzvoll. Das Mariinsky-Ballett zeigte sich im Februar in Darmstadt, und im März das New York City Ballet in Ludwigshafen und Baden-Baden. Was für ein Winter!
Nichts Konventionelles haftet George Balanchines Begriff von Schönheit an, das konnte jeder sehen, der beim Deutschland-Gastspiel dessen geniale Umsetzung von Strawinskys "Symphony in Three Movements" beobachtete. Wie präzise und erhellend die Raumfiguren der Choreografie die musikalischen Strukturen reflektieren, wie auch Balanchine spielt mit dem solistischen Einsatz von Tänzergruppen. Und dann die Bewegungen! Im zweiten Satz ließen Janie Taylor und Amar Ramasar – zwei der vielen fantastischen amerikanischen Tänzer - in ihrem Pas de deux ihre Arme so ungewöhnlich umeinander fließen, dass man an eine mythologische Vereinigung von Göttern oder einen rituellen Tanz der Erneuerung und Verbindung denken musste.
Mit dem Gastspiel des Birmingham Royal Ballet in München, das unter anderem Frederick Ashton's wundervollen Sommernachtstraum tanzte, schloss sich der Reigen faszinierender stummer Besucher auf unseren Bühnen. Erst im Herbst verbrachte die Tanzkritikerin des amerikanischen Magazins "The New Yorker", Joan Accocella, einige Wochen in Berlin. An Missers Accocellas Augen sind Generationen berühmter Tänzer in zahllosen unvergesslichen Variationen vorübergezogen.
Joan Accocella: "Patti McBrides mother was a secretary in an bank and there was no father. Suzanne Farrells father had a truck that delivered meat. Eddi Villelas father drove a truck in the garment district in New York. They were predominantly working class people. And that is not the case today."
Viele der berühmten Tänzer der 60er-Jahre entstammten einfachen Verhältnissen, häufig gehörten ihre Eltern der Arbeiterklasse an, so Accocella. Das ist heute anders. Längst ist aufgrund des gewachsenen Wohlstands Tanz kein Aufstiegsmedium mehr für europäische Jugendliche. Darum beobachten viele europäische Länder Mangel an nationalem Nachwuchs. Eine Ausnahme ist Frankreich. In dem Land, in dem der Tanz vom König institutionalisiert wurde, ist das Tanzen ein Künstlerberuf wie andere auch. Diese Selbstverständlichkeit sieht man dem französischen Tanzstil bis heute an.
Joan Accocella: "Germany has no own dance school. I can recognize a French dancer. The other day, I got Ballet Review in the mail and I looked at the cover and I didn't know who the dancer was, but I knew he was a French man."
Für Deutschland aber gilt, es ist ein Land mit einem fantastisch ausgestatteten Theatersystem, das wenige Choreografen hervorbringt, aber manchen beherbergt. Der Prominenteste von ihnen war in diesem Jahr der Schweizer Martin Schläpfer, dessen aufregende Arbeit an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg von einem Paris-Gastspiel und der gelungenen Vertragsverlängerung bis 2019 gekrönt wurde. Das Tanztheater Wuppertal, seit 2009 ohne seine verstorbene berühmte deutsche Chefin Pina Bausch, ließ sich drei Wochen lang in London feiern, als es bei der Kulturellen Olympiade auftrat. Sein halbes Leben ein Frankfurter ist der Amerikaner William Forsythe, der immerhin in zwei Choreografien sein innerlich abwesend wirkendes Genie wieder erkennen ließ. Nicht nur prächtig in Amsterdam und Den Haag, sondern auch sehr festlich in Düsseldorf beging der holländische Meisterchoreograf Hans van Manen, ungebrochen schöpferisch, mit Vorstellungen seinen achtzigsten Geburtstag.
Und seine derzeitige Heimat, das Niederländische "Het Nationale Ballet" feierte seinen fünfzigsten Geburtstag in toller Verfassung mit neun – internationalen - Uraufführungen. Und während Heinz Spoerli das Zürcher Ballett an Christian Spuck übergab, macht John Neumeier auch nach seinem siebzigsten Geburtstag keine Anstalten, die Zukunft des Hamburgballett anders als durch die eigene Brille zu sehen. Manche Gäste kommen und bleiben länger, als wir je geglaubt hätten. Der Tanz aber bleibt eine Kunst, in die das Beste aus verschiedenen nationalen stilistischen Einflüssen und aus den anderen Künsten einfließen muss, damit sie floriert. Das gehört zu den Umständen, die den Tanz eine der voraussetzungsreichsten Künste sein lassen. Das wiederum macht es für das Publikum mitunter etwas aufwendig, stets am richtigen Ort zu sein, aber unglaublich lohnend, wenn es, wie in diesem Jahr gar nicht selten, eine der Sternstunden erwischt, in Paris, Düsseldorf, München oder Amsterdam.
Nichts Konventionelles haftet George Balanchines Begriff von Schönheit an, das konnte jeder sehen, der beim Deutschland-Gastspiel dessen geniale Umsetzung von Strawinskys "Symphony in Three Movements" beobachtete. Wie präzise und erhellend die Raumfiguren der Choreografie die musikalischen Strukturen reflektieren, wie auch Balanchine spielt mit dem solistischen Einsatz von Tänzergruppen. Und dann die Bewegungen! Im zweiten Satz ließen Janie Taylor und Amar Ramasar – zwei der vielen fantastischen amerikanischen Tänzer - in ihrem Pas de deux ihre Arme so ungewöhnlich umeinander fließen, dass man an eine mythologische Vereinigung von Göttern oder einen rituellen Tanz der Erneuerung und Verbindung denken musste.
Mit dem Gastspiel des Birmingham Royal Ballet in München, das unter anderem Frederick Ashton's wundervollen Sommernachtstraum tanzte, schloss sich der Reigen faszinierender stummer Besucher auf unseren Bühnen. Erst im Herbst verbrachte die Tanzkritikerin des amerikanischen Magazins "The New Yorker", Joan Accocella, einige Wochen in Berlin. An Missers Accocellas Augen sind Generationen berühmter Tänzer in zahllosen unvergesslichen Variationen vorübergezogen.
Joan Accocella: "Patti McBrides mother was a secretary in an bank and there was no father. Suzanne Farrells father had a truck that delivered meat. Eddi Villelas father drove a truck in the garment district in New York. They were predominantly working class people. And that is not the case today."
Viele der berühmten Tänzer der 60er-Jahre entstammten einfachen Verhältnissen, häufig gehörten ihre Eltern der Arbeiterklasse an, so Accocella. Das ist heute anders. Längst ist aufgrund des gewachsenen Wohlstands Tanz kein Aufstiegsmedium mehr für europäische Jugendliche. Darum beobachten viele europäische Länder Mangel an nationalem Nachwuchs. Eine Ausnahme ist Frankreich. In dem Land, in dem der Tanz vom König institutionalisiert wurde, ist das Tanzen ein Künstlerberuf wie andere auch. Diese Selbstverständlichkeit sieht man dem französischen Tanzstil bis heute an.
Joan Accocella: "Germany has no own dance school. I can recognize a French dancer. The other day, I got Ballet Review in the mail and I looked at the cover and I didn't know who the dancer was, but I knew he was a French man."
Für Deutschland aber gilt, es ist ein Land mit einem fantastisch ausgestatteten Theatersystem, das wenige Choreografen hervorbringt, aber manchen beherbergt. Der Prominenteste von ihnen war in diesem Jahr der Schweizer Martin Schläpfer, dessen aufregende Arbeit an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg von einem Paris-Gastspiel und der gelungenen Vertragsverlängerung bis 2019 gekrönt wurde. Das Tanztheater Wuppertal, seit 2009 ohne seine verstorbene berühmte deutsche Chefin Pina Bausch, ließ sich drei Wochen lang in London feiern, als es bei der Kulturellen Olympiade auftrat. Sein halbes Leben ein Frankfurter ist der Amerikaner William Forsythe, der immerhin in zwei Choreografien sein innerlich abwesend wirkendes Genie wieder erkennen ließ. Nicht nur prächtig in Amsterdam und Den Haag, sondern auch sehr festlich in Düsseldorf beging der holländische Meisterchoreograf Hans van Manen, ungebrochen schöpferisch, mit Vorstellungen seinen achtzigsten Geburtstag.
Und seine derzeitige Heimat, das Niederländische "Het Nationale Ballet" feierte seinen fünfzigsten Geburtstag in toller Verfassung mit neun – internationalen - Uraufführungen. Und während Heinz Spoerli das Zürcher Ballett an Christian Spuck übergab, macht John Neumeier auch nach seinem siebzigsten Geburtstag keine Anstalten, die Zukunft des Hamburgballett anders als durch die eigene Brille zu sehen. Manche Gäste kommen und bleiben länger, als wir je geglaubt hätten. Der Tanz aber bleibt eine Kunst, in die das Beste aus verschiedenen nationalen stilistischen Einflüssen und aus den anderen Künsten einfließen muss, damit sie floriert. Das gehört zu den Umständen, die den Tanz eine der voraussetzungsreichsten Künste sein lassen. Das wiederum macht es für das Publikum mitunter etwas aufwendig, stets am richtigen Ort zu sein, aber unglaublich lohnend, wenn es, wie in diesem Jahr gar nicht selten, eine der Sternstunden erwischt, in Paris, Düsseldorf, München oder Amsterdam.