"Die moralischen Ansprüche sind gewachsen"
Nach Ansicht des Berliner Geschichtswissenschaftler Paul Nolte kann man an den derzeit viel diskutierten Fällen von Steuerhinterziehung sehen, dass die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren deutlich sensibler für solche Vergehen geworden ist.
"Die moralischen Ansprüche sind gewachsen, besonders an Personen, die in der Öffentlichkeit stehen", sagte Nolte im Deutschlandradio Kultur. Es gebe einen generellen Wandel des Rechtsbewusstseins, was man auch an Delikten wie der Vergewaltigung in der Ehe oder Volksverhetzung sehen könne. "Auch hier ist die Sensibilität (…) gewachsen". In einer Zeit, in der die soziale Ungleichheit wachse und es zunehmend Verteilungskämpfe gebe, werde das Thema Steuern aber auch als Gerechtigkeitsfrage gesehen, sagte Nolte: "Auch da schauen wir genauer hin."
Nolte konstatierte allerdings auch eine "Scheinheiligkeit des öffentlichen Aufschreis". "Die alltägliche Steuerhinterziehung – da muss man sich (…) nichts vormachen – geht (…) weiter", sagte er. "Wir alle brauchen ein bisschen mehr Bildung und Bewusstsein, mehr Kenntnis, mehr Aufklärung darüber, wie das eigentlich funktioniert mit den Steuern und mit unserem Wirtschaftssystem." Im Grunde könne man nur den alten pädagogischen Rat geben, das Wissen darüber in der Schule zu vermitteln, sagte Nolte.