Die Heuchelei der Europäer
Den Staaten der EU gehen durch ganz legale Tricks von Reichen und Konzernen bis zu 70 Milliarden Euro an Steuern verloren. Soll sich daran etwas ändern, müssen die Namen der verantwortlichen Politiker auf den Tisch, fordert Thomas Otto.
Man stelle sich vor, für ein EU-Projekt sollten 50 bis 70 Milliarden Euro ausgegeben werden. Vielleicht für die Modernisierung von Schulen, für das Gesundheitssystem oder den Ausbau der digitalen Infrastruktur? So gut die Zwecke auch sein mögen, der Aufschrei wäre riesengroß, die Mitgliedsstaaten würden von nicht finanzierbaren Träumereien sprechen. Immerhin ist das zehnmal so viel Geld, wie die EU der Türkei für die Versorgung von Flüchtlingen bereitstellt.
Aber wo ist der Aufschrei, dass dieses Geld erst gar nicht ausgegeben werden kann? Auf diesen Betrag von 50 bis 70 Milliarden Euro beziffert die EU-Kommission den jährlichen Verlust für die EU-Staaten durch Steuervermeidung. Wohl gemerkt nicht illegale Steuerhinterziehung, sondern ganz legale Tricks, mit denen Wohlhabende und Großkonzerne sich darum drücken, ihren Teil zum Allgemeinwohl beizutragen.
Pauschal zu behaupten, "die EU" tue nichts gegen aggressive Steuervermeidung, greift zu kurz: Nach den Luxleaks-Enthüllungen und den Panama-Papers wurde ein automatischer Informationsaustausch der Steuerbehörden auf den Weg gebracht. Ein Plan zur Umsetzung entsprechender OECD-Empfehlungen wurde verabschiedet. Teil dessen ist das so genannte country by country reporting, durch das Firmen ihre gezahlten Steuern für jedes Land einzeln ausweisen müssen.
Europas Bemühungen sind halbherzig
Und nun kündigte Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Mosvcovici eine Schwarze Liste der Steueroasen für Dezember an. Allein: Auf dieser wird kein einziges EU-Land stehen, so hatte es der Kommissar angekündigt. Nicht Luxemburg, nicht die Niederlande, nicht Malta, bekannte Steueroasen, die jetzt durch die Paradise Papers erneut in den Fokus rücken.
Die halbherzigen Bemühungen in Europa bisher bleiben nicht nur deshalb hinter dem eigentlich Notwendigen zurück, weil Banken- und Finanzlobbyisten sich gegen strengere Regulierungen stemmen. Das Problem liegt bei der notwendigen Einstimmigkeit, die es unter den Staaten bei Steuerfragen braucht und durch die ein Land allein ambitionierte Schritte gegen Steuertricksereien verhindern kann. Deswegen müssen Finanzberater und Banker bisher nicht fürchten, sich und ihre Firma in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen, sollten sie Steuertricksern bei ihren Geschäften helfen.
Von Transparenz reden, aber auf der Bremse stehen
Deswegen gibt es weiterhin Patentboxen – spezielle Konstruktionen, die vornehmlich zur Steuervermeidung genutzt werden. Und deswegen müssen auch Internetkonzerne keine Angst haben, in jedem EU-Land die notwendigen Steuern zahlen zu müssen. Die Idee von Emmanuel Macron, gegen die Modelle von Google und Facebook vorzugehen, wird gerade wieder beerdigt.
Soll sich etwas ändern, müssen die Namen der Verantwortlichen auf den Tisch! Nicht nur die von Lewis Hamilton, Nike oder Apple, die in den Enthüllungen über die Paradise Papers genannt werden. Sondern auch die der politisch Verantwortlichen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zählt dazu, der ehemalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. All jene, die von Transparenz und Steuergerechtigkeit sprechen, hinter den Kulissen dann aber immer auf der Bremse stehen.
Es braucht ein Gremium gegen Steuervermeidung
Die nächste Gelegenheit dafür bietet sich im Dezember, wenn das EU-Parlament den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zu den Panama-Papers veröffentlicht. Hier muss klar benannt werden, wie auch Kommission und Mitgliedsstaaten den Kampf gegen Steuerflucht behindert haben.
Veröffentlichungen wie die Paradise Papers können dabei helfen und öffentlichen Druck aufbauen. Eigentlich braucht es aber ein festes Gremium, dass sich mit nichts anderem beschäftigt, als Steuervermeidungsstrategien aufzudecken und Maßnahmen dagegen vorzuschlagen, die dann auch tatsächlich umgesetzt werden. Ein fester Ausschuss dafür im EU-Parlament könnte eine Lösung sein. Und die Einstimmigkeit bei Steuerthemen auf EU-Ebene muss zu einer Mehrheitsentscheidung werden. Dann bestünde wenigstens die Chance, die Steueroasen vor der eigenen Haustür auszutrocknen.