Steuergerechtigkeit

"Beim Frühstücksfernsehen abgeführt"

Moderation: Ute Welty |
Die mediale Aufmerksamkeit bei Steuerhinterziehung könne die allgemeine Steuermoral heben, meint Steuerrechtsexperte Thomas Rönnau. Die fiskale Kontrolle von Unternehmen sei allerdings noch mangelhaft.
Ute Welty: Dummheit schützt vor Strafe nicht, aber die Selbstanzeige. So war es bislang, wenn jemand nicht alle Steuern gezahlt hat, die er hätte zahlen müssen, und so soll es auch bleiben, folgt man dem Votum einer Expertenkommission, über das "Die Zeit" heute berichtet, und die warnt vor haushalterischen Nachteilen, wenn auf die Selbstanzeige verzichtet wird. Das könnte man auch so interpretieren, dass sich der Staat den Schneid abkaufen lässt. Selbstanzeige – ja oder nein? Darüber diskutiert die Politik, und wir holen Sachverstand ein bei jemandem, der sich damit auskennt, nämlich bei Thomas Rönnau, Professor für Wirtschaftsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. Guten Morgen!
Thomas Rönnau: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Ist die Selbstanzeige noch zeitgemäß?
Rönnau: Also die Selbstanzeige ist immer schon umstritten gewesen. Sie ist zeitgemäß, wenn man auf das Fiskalinteresse schaut, das den Staat natürlich bewegt. Wir dürfen nicht vergessen: Im Jahr 2013 haben wir 26.000 Selbstanzeigen gehabt, die bestimmt dreistellige Millionensummen in die Staatskassen gespült haben – also ein Instrument, über dessen Abschaffung man dann gründlich nachdenken muss.
Welty: Sie sagen so schön mit hanseatischer Zurückhaltung, „das Fiskalinteresse, das den Staat bewegt“ – wenn Sie das mal so für Menschen wie mich übersetzen wollen würden?
Rönnau: Ja, Fiskalinteresse heißt, dass hier Steuern, die bisher nicht gesprudelt sind, weil sie verschleiert wurden, aufgedeckt werden. Es geht ja darum – und das war schon immer der Zweck dieser Selbstanzeige, die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt –, dass hier unbekannte Steuerquellen zum Sprudeln gebracht werden und dass man demjenigen, der Steuern hinterzogen hat, dann auch einen Weg bahnt, wieder zurück ins Recht zu finden. Das war also im Kern die Ratio der Norm.
Welty: Mit anderen Worten: Es geht ums Geld und nicht um die Straftat?
Rönnau: Ja, das kann man sicher sagen, dass es jedenfalls, wenn man auf die Finanzbehörden schaut, dort primäres Interesse daran gibt, die Steuern, die verkürzten, reinzuholen und nicht, strafrechtliche Folgen auszulösen.
Welty: Hängt damit auch zusammen, dass Steuerhinterzieher ihr Vergehen verharmlosen, weil man sich eben freikaufen kann oder quasi freikaufen kann?
Rönnau: Ja, das ist natürlich dann die Kehrseite. Wenn man so ein Instrument wie die Selbstanzeige anbietet, dann kann leicht der Eindruck entstehen, das wäre Unrecht minderen Ranges. Deshalb – man hat ja auch viele Jahre über Steuersünder gesprochen und nicht über Steuerhinterzieher. Und daran merkt man schon, dass hier also die Qualität als Kriminalunrecht so ein bisschen immer in den Hintergrund gedrängt wurde.
Welty: Der Standardsatz inzwischen in diesem Zusammenhang lautet: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Das scheint aber auch in der permanenten Wiederholung nicht in alle Köpfe zu dringen. Was würde denn tatsächlich die Steuermoral heben?
"Ein Finanzbeamter bringt ein Vielfaches dessen herein, was er kostet"
Rönnau: Also, was sie heben würde, wäre eine konsequente Verfolgung. Also wir haben ja in vielen Bereichen einfach die Situation, dass zum Beispiel Betriebe je nach Bundesland, in dem sie angesiedelt sind, dann eben nur alle fünf oder gar zehn oder noch anderen Abständen, zehn Jahre oder noch in größeren Abständen geprüft werden, das heißt, wenn man den Druck auf der Verfolgungsseite, also bei der Steuerdurchsetzung erhöhen würde, würde das sicherlich etwas bringen.
Welty: Kostet aber mehr Geld, weil es müssten ja zum Beispiel mehr Steuerfahnder eingestellt werden.
Rönnau: Ja, aber es ist ja mittlerweile bekannt, dass ein Steuerfahnder, ein Finanzbeamter ein Vielfaches dessen hereinbringt, was er kostet.
Welty: Und Arbeitsplätze würden auch noch geschaffen.
Rönnau: So kann man das sehen, ja.
Welty: Diskutiert wird ja jetzt über verschärfende Maßnahmen, zum Beispiel über erhöhte Säumniszuschläge oder über eine ausgeweitete Dokumentationspflicht. Wie bewerten Sie diese Ideen?
Rönnau: Ja, also das sind Überlegungen, die ja in den letzten Jahren in Mode sind. Wir haben ja eine Verschärfung der Rechtslage gehabt 2011, wo wir die Doktrin vom reinen Tisch bekommen haben im Gesetz. Also das heißt, man hat auch die Sperrgründe verschärft. Man ist also dabei, hier den Druck zu erhöhen über eine, ja, Anforderungserhöhung bei der Selbstanzeige. Also, das kann man bis zu einem gewissen Grad machen, auch wenn man die Strafzuschläge nach 398 a der Abgabenordnung erhöht, aber irgendwann kippt es dann natürlich, weil wenn man das Fiskalinteresse im Blick hat, dann muss man es auch so ausgestalten, dass die Steuerhinterzieher davon noch Gebrauch machen.
Welty: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie skeptisch, ob dieser Spagat gelingt, nämlich eben auf der einen Seite die Einnahmequelle zu sichern, und auf der anderen Seite dem Gerechtigkeitsempfinden gerecht zu werden.
Rönnau: Das ist wahr, ja, ja. Und darüber wird ja jetzt auch heftig diskutiert, ob man eben diesen Strafzuschlag erhöht, ob man die Verjährungsfristen verlängert – das sind ja alles Punkte in der Diskussion derzeit.
Welty: Diskutiert wird ja auch immer wieder über ein vereinfachtes Steuersystem. Wir erinnern uns an den Bierdeckel von Friedrich Merz. Würde das helfen in dem Gesamtzusammenhang? Weil wenn Ausnahmen abgeschafft werden und das ganze Ding ist einfacher zu durchschauen und auch transparenter, dann ergeben sich ja gar nicht so viele Möglichkeiten für Steuerhinterziehung oder, sagen wir mal, Steuerminderung.
"Der Staat steuert ja über Steuern"
Rönnau: Richtig. Das würde, das würde helfen. Ich bin nur skeptisch, ob das kommen wird, weil einfach die Interessen zu vielfältig sind.
Welty: Da stehen Sie, glaube ich, mit Ihrer Skepsis nicht alleine da.
Rönnau: Nein, ganz sicher nicht, denn der Staat steuert ja über Steuern, und jeder meldet Interessen an, und deshalb wird es immer ein relativ filigranes Steuerrecht geben bei uns, in Deutschland jedenfalls.
Welty: Aber braucht es tatsächlich sieben oder acht Einkommensarten?
Rönnau: Nein, aber man muss natürlich der Sache gerecht werden, und da muss man schon differenzieren und kann nicht alles über einen Kamm scheren.
Welty: Welche Rolle spielt der mediale Druck, den wir derzeit erleben in Zusammenhang mit den Namen Schwarzer, Schmitz und Linssen?
Rönnau: Der spielt eine große Rolle, das haben wir ja auch in den letzten Jahren gesehen: Immer dann, wenn die Medien auf diese Sachverhalte schauen und dann etwa den CD-Ankauf und andere Dinge, Liechtenstein-Affäre und so weiter, wenn Sie das in die Öffentlichkeit bringen, dann erhöht sich der Druck, und wenn dann morgens beim Frühstücksfernsehen ein Prominenter abgeführt wird, dann denkt der eine oder andere doch daran, dass er noch irgendwo unversteuertes Geld liegen hat, ja.
Welty: Glauben Sie an die Nachhaltigkeit dieser Ereignisse? Glauben Sie daran, dass wir Ende des Jahres tatsächlich über eine Steuerreform reden können?
Rönnau: Wir reden immer über Steuerreformen.
Welty: Ja, aber ich meinte auch, so mit einem Ergebnis.
Rönnau: Ja. Wir werden wahrscheinlich, gerade vor dem Hintergrund einer großen Koalition werden wir vermutlich eine leichte Strafverschärfung erleben, also eine Verschärfung dahingehend, dass man die Selbstanzeige noch verschärft, die Anforderungen an die Selbstanzeige, ja.
Welty: Meint der Wirtschaftsrechtler Thomas Rönnau von der Bucerius Law School in Hamburg im Interview der Ortszeit. Danke dafür!
Rönnau: Ich danke auch!
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