"Er wird um eine Haftstrafe nicht herumkommen"
Das Urteil im Hoeneß-Prozess ist angemessen, meint die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. An einen "Irrtum" will sie bei über 28 Millionen Euro Steuerschuld nicht glauben. Und sie sieht sogar Gründe, die ein höheres Strafmaß rechtfertigen.
Marietta Schwarz: Drei Jahre und sechs Monate Haft für Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß. So lautet das Urteil des Landgerichts München. Die Richter erklärten in der Urteilsbegründung, Hoeneß' Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung für unwirksam. Vorerst bleibt er aber frei. Er muss erst ins Gefängnis, wenn es ein rechtskräftiges Urteil gibt, und das hängt davon ab, ob der Bundesgerichtshof seine Revision zulässt. Herta Däubler-Gmelin ist am Telefon, die frühere Justizministerin. Frau Däubler-Gmelin, guten Morgen!
Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Sie haben eben im Vorgespräch schon gesagt, Sie finden dieses Urteil höchst spannend. Warum?
Däubler-Gmelin: Ich finde es zunächst mal sehr angemessen und von der Strafzumessung her eher im unteren Bereich, wenn man es mit anderen Fällen, in denen öffentliche Gelder nicht gezahlt wurden, vergleicht. Und ich fand sehr eindrucksvoll, wie intensiv und auch wie individuell sich der Richter mit der persönlichen Verantwortung von Herrn Hoeneß auseinandergesetzt hat. Das war nicht so, dass da irgendjemand den großen Stecken genommen hätte und zugeschlagen, sondern das wurde, das Pro und das Kontra von dem, was er getan hat, wie ich fand, außerordentlich gut bemessen.
Juristisch gesehen ist es unglaublich interessant, weil natürlich bisher vom Bundesgerichtshof noch nicht geklärt wurde, wann eigentlich eine strafbefreiende Selbstanzeige ganz erfolgreich ist, ob nachgebessert werden kann, wie strafrechtlich oder in der Strafzumessung bewertet werden muss, wenn jemand versucht, aber doch nicht alles sagt, sondern bewusst mauert – das muss ja in dem Fall auch da gewesen sein –, was dann zu bewerten ist, wenn längst noch nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. Also der juristische Teil ist außerordentlich spannend.
Schwarz: Man merkte es ja auch an der Ausdrucksweise gestern. Der Richter nannte diese Selbstanzeige unzureichend, der Verteidiger nannte sie nicht ideal – wie würden Sie es denn nennen?
Bedenken gegen die Selbstanzeige
Däubler-Gmelin: Wissen Sie, ich habe ja sowieso Bedenken gegen die, sagen wir mal, juristische Form einer Selbstanzeige. Und wenn ich auch nichts dagegen habe, wenn das Leute betrifft, sagen wir mal, die möglicherweise nicht genau hingeguckt haben und sich dann um einige Tausend Euro "geirrt" haben, da bin ich dann schon der Meinung, braucht man klare Bedingungen, aber, ich meine, bei 28,2 Millionen fällt es mir schwer, insgesamt einen Fall für eine strafbefreiende Selbstanzeige zu sehen. Das ist, glaube ich, in dem Fall schon auch zu sehen.
Aber ich wollte noch hinzusetzen: Ich fand eigentlich die ganze Geschichte neben der juristischen Dimension und neben der faktischen ausgesprochenen Singularität dieses Falls eigentlich auch doch deswegen spannend, weil es sich ja bei Herrn Hoeneß um jemand handelt, der ganz ungeheuer auf die Beliebtheit in der Öffentlichkeit angewiesen ist, der danach strebt, dass er anerkannt ist, dass er bewundert wird. Und dass der jetzt sieht, dass er sich da in den letzten Jahren alles kaputt gemacht hat und jetzt vor den Trümmern steht, das kommt schon auch noch hinzu. Ich glaube, diese Dimension sollte man in diesem Fall auch sehen.
Schwarz: Das ist ja auch genau das, was für die Öffentlichkeit so attraktiv ist, diesen persönlichen Fall eigentlich zu sehen. Sie haben vorhin gesagt, der Richter hat nicht draufgeschlagen. Hätte er das denn machen können?
Däubler-Gmelin: Es ist ja dann immer eine Frage der Bewertung. Und, schauen Sie, es gibt natürlich schon eine Menge an außerordentlich problematischen Seiten. Wenn man sich überlegt, 50.000 derartige Zockervorgänge, wie man das nennt, in zehn Jahren. Wenn Sie das mal pro Tag umrechnen und dann davon ausgehen, dass also vielleicht an ein oder zwei Tagen in der Woche nicht gezockt wird, dann kommen Sie auf mindestens 30 bis 40 Vorgänge pro Tag. Da stimmt doch was nicht. Das macht doch jemand nicht zehn Jahre lang. Das heißt, da muss noch was anderes dabei sein.
"Da ist noch sehr viel ungeklärt"
Es ist auch nicht geklärt, wie hoch eigentlich die Gewinne insgesamt waren und woher das Geld kam, diese doch immerhin unglaublich hohe Millionenzahl an Euro, die da eingesetzt wurde. Also, da ist noch sehr viel ungeklärt, und das hätte man natürlich alles sagen können, da ist eben nicht alles auf den Tisch gekommen, da ist nicht alles geklärt. Und von daher gesehen, hätte man das Strafmaß schon heraufsetzen können. Ich meine, so ganz neben der Sache lag die Staatsanwaltschaft mit ihrem Strafantrag nicht.
Schwarz: Jetzt bleibt Hoeneß trotz Haftstrafe erst einmal frei. Die Verteidiger gehen in Revision und hoffen vor dem Bundesgerichtshof dann auf eine Bewährungsstrafe. Aber es könnte ja ganz theoretisch das Urteil auch dann noch höher ausfallen.
Däubler-Gmelin: Also, man weiß überhaupt nicht, ob der Bundesgerichtshof hier die Revision zulässt. Das ist das eine. Der zweite Punkt ist, man weiß nicht, wie dann die Faktoren, die ich eingangs genannt habe, vom Bundesgerichtshof bewertet werden und wie dann die persönliche Verantwortlichkeit gesehen wird in der Strafzumessung, das weiß man auch nicht. Ich will noch einen anderen Gedanken hinzufügen.
Natürlich hat Herr Hoeneß das Recht, in Revision zu gehen. Ob er sich damit persönlich einen Gefallen tut, weil ja die Auseinandersetzungen und der Fall aus der Bewunderung bei ihm weitergehen wird, das weiß ich nicht. Letztendlich wird er meiner Ansicht nach um eine Haftstrafe nicht herumkommen. Und er länger er es rauszieht, desto weniger kann er sich dann wieder als das darstellen, was er doch sein möchte, als ein Mann, der reinen Tisch macht und der sagt, gut, ich werde jetzt steuerehrlich, ich habe einen Fehler gemacht, ich nehme die Strafe auf mich.
Schwarz: Diese Haftstrafe von dreieinhalb Jahren, so liest man, deutet darauf hin, dass es sich um keinen besonders schweren Fall von Hinterziehung handelt. Welcher, wenn nicht dieser Fall, ist dann schwer?
"Es ist ein irrer Fall"
Däubler-Gmelin: Nein, es deutet natürlich darauf hin, dass hier der Richter die positiven Seiten von Herrn Hoeneß als Person, seine Verdienste, auch den Versuch, auch wenn der nicht ganz zweifelsfrei ist, reinen Tisch zu machen, dass sie das alles positiv bewertet haben. Und daraus kommt dann diese Kategorie nicht besonders schwerer Fall. Es ist ein irrer Fall, der, glaube ich, in die Kategorie einer strafbefreienden Selbstanzeige gar nicht rein passt.
Schwarz: In der Politik wird jetzt auch wieder über Konsequenzen diskutiert für strafbefreiende Selbstanzeigen. Die Linke und auch Teile des SPD, zum Beispiel Ralf Stegner, fordern die Abschaffung. Sie haben so etwas Ähnliches eben auch schon angedeutet, Frau Däubler-Gmelin, dass Sie das eigentlich nicht richtig gut finden.
Däubler-Gmelin: Nein, meinem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht das genauso wie dem ganz, ganz vieler Menschen, mit denen ich rede. Aber ich sehe natürlich auch, dass die Finanzminister sagen, es ist uns lieber, es kommt jemand, den wir möglicherweise nicht entdeckt hätten, und zahlt dann die Steuer nach und auch noch eine Strafgebühr nebst Zinsen und Zinseszinsen, als dass wir ihm das dann alles nachweisen müssen, was ja nun auch Geld kostet. Und das kann ich auch verstehen.
Nur, dass natürlich eine strafbefreiende Selbstanzeige, wenn man sie denn tatsächlich behalten will, eine Grenze haben muss, das heißt, dass man einfach wissen muss, es geht nicht an, dass Leute Millionen von Steuern hinterziehen und dann immer noch meinen, sie könnten da straffrei davonkommen, das ist, glaube ich, ganz klar, und so wird sich das wahrscheinlich auch durchsetzen.
Schwarz: Herta Däubler-Gmelin zum gestrigen Hoeneß-Urteil. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Däubler-Gmelin: Danke sehr! Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.