Steueroasen in der EU

Die Steuertricks der Großkonzerne

Puzzle mit Flaggen von EU-Ländern
Bestimmte EU-Staaten spielen bei den Steuervermeidungmodellen der Großkonzerne eine Schlüsselrolle. © imago/blickwinkel
Von Thomas Otto |
Schätzungsweise eine Billion Euro geht den EU-Staaten im Jahr durch Steuertricks verloren. Spätestens seit den Luxleaks-Enthüllungen ist bekannt: Die wahren Steueroasen heißen nicht Panama oder Cayman Islands, sondern Luxemburg, Niederlande oder Belgien.
Internationale Großkonzerne wie Google, Apple und Ikea verschieben ihre Gewinne nach dem Modell Double Irish With a Dutch Sandwich und reduzieren so ihre Steuern gewaltig. Das EU-Parlament hat versucht aufzuklären, wie es zu diesem schädlichen Wettbewerb um die niedrigsten Steuern kommen konnte.
Ein Ergebnis: Manche der EU-Mitgliedsstaaten haben den Kampf gegen die Steuerflucht bewusst sabotiert. Bei ihren Recherchen sind die Abgeordneten allerdings auf heftigen Widerstand gestoßen, auch aus den eigenen Reihen.
Der Landesvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg, Michael Theurer, spricht am 12.06.2015 in Balingen (Baden-Württemberg) auf dem Landesparteitag der FDP zu den Delegierten.
Der Landesvorsitzende der FDP in Baden-Württemberg, Michael Theurer, ist Mitglied des Europäischen Parlaments.© dpa / picture alliance / Patrick Seeger

Mühselige Arbeit der EU-Abgeordneten

Michael Theurer sitzt für die FDP im Europaparlament:
"Wer hat das Ganze initiiert? Sind die Unternehmen auf die Staaten zugegangen? Haben die Steuerberatungsunternehmen solche Modelle entwickelt, um ein Geschäftsmodell daraus zu machen?"
Fabio De Masi ist Abgeordneter der Linken:
"Und da muss man bisschen psychologischen Druck aufbauen, das ist wie in US-amerikanischen Anwaltsserien, da muss man ihnen auch mal ins Wort fallen."
Beide Europa-Parlamentarier haben in den letzten Monaten versucht, Aufklärungsarbeit zu leisten. In zwei Untersuchungsausschüssen. Sie wollten wissen, wer für die legale Steuervermeidung von vielen Milliarden Euro jedes Jahr verantwortlich ist. Es ist eine Geschichte mühseliger, hartnäckiger Abgeordnetenarbeit und vieler Hemmnisse.
Anfang November 2014 erscheinen in europäischen Medien zahlreiche Berichte über die Steuerpraktiken internationaler Großkonzerne in Luxemburg. Mit den Luxleaks-Veröffentlichungen wurde auch die Politik zum Handeln gezwungen. Der Druck auf den frisch gewählten EU-Kommissionspräsidenten und ehemaligen luxemburgischen Finanzminister und Premier Jean-Claude Juncker nahm zu. Abgeordnete des EU-Parlaments starteten einen Aufruf und sammelten Stimmen, um die Vorgänge in einem eigenen Ausschuss aufzuklären.
Der Sonderausschuss Taxe 1 sollte untersuchen, ob und wenn ja, welche Fehler Kommission und Mitgliedsstaaten gemacht haben, sodass es zu diesem Steuervermeidungs-Wettbewerb kommen konnte. Immerhin schätzt die EU-Kommission selbst, dass den EU-Bürgern pro Jahr etwa eine Billion Euro – das sind tausend Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren geht.

Auf Taxe 1 folgt Taxe 2

Nach sechs Monaten plus Verlängerung muss der Sonderausschuss im November 2015 seine Arbeit mit einem ernüchternden Fazit beenden. Zu viele Fragen sind offengeblieben, zum Beispiel die nach der politischen Verantwortung und nach der Rolle von Banken und Finanzinstituten. Diese offenen Fragen soll der Nachfolge-Ausschuss Taxe 2 beantworten, bei dem erneut Michael Theurer vertreten ist, auch für diesen Ausschuss wird er wieder den Abschlussbericht mitschreiben. Theurer erklärt, was ihn motiviert:
"Es wird dadurch der Wettbewerb verzerrt, zulasten kleiner und mittlerer Unternehmen. Es kann ja nicht sein, dass die Konditormeisterin in Baden-Baden oder der Buchhändler in Tübingen seine Steuern bezahlt, aber Großkonzerne – Ketten wie Starbucks – durch Lizenzmodelle verschieben dann ihre Gewinne in Steueroasen und sparen dadurch Milliarden Steuerbeträge."
Der Linken-Europaabgeordnete Fabio de Masi
Der Linken-Europaabgeordnete Fabio de Masi© imago / Müller-Stauffenberg
Fabio De Masi ist das junge Gesicht der deutschen Linken im EU-Parlament. Seine Arbeit im Taxe-Ausschuss hat ihm schon den ein oder anderen prominenten medialen Auftritt beschert. Was für den Liberalen Michael Theurer der Konditormeister ist, ist für den Linken De Masi die Sekretärin:
"Jede Sekretärin zahlt im Verhältnis zu ihrem Einkommen mehr Steuern, als Weltkonzerne wie Google."

Die Ausschuss-Befugnisse sind begrenzt

Ein Grundproblem, weshalb die Aufklärungsarbeit sich nun schon so lange dahinschleppt, seien auch die begrenzten Befugnisse des Ausschusses, klagt De Masi. Weder können die EU-Parlamentarier Personen verpflichtend vorladen, noch sie in stundenlangen Befragungen ins Kreuzverhör nehmen. Politikern und Wirtschaftsvertretern bleibt es selbst überlassen, ob sie einer Einladung folgen und welche Fragen sie wirklich beantworten.
Schädlicher Steuerwettbewerb und die Ungleichbehandlung von Unternehmen. Das ist das einzige rechtliche Werkzeug, das die Abgeordneten auf EU-Ebene haben. Denn Steuerrecht liegt größtenteils in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten.
Genau deshalb sind die Dokumente der Code of Conduct Group so interessant. Die Abgeordneten des Taxe-2-Ausschusses haben sich bei Kommission und Mitgliedsstaaten Einblick erstritten. Zumindest für einen Teil der Papiere. Manche davon sind so brisant, dass sie nur in einem Leseraum eingesehen werden können. Dieses Verfahren erinnert an den Umgang mit den TTIP-Dokumenten.
Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Abstimmung am 15. April 2014.
Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Abstimmung© picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Das Europaparlament in Straßburg hat Anfang Juli den Bericht des Taxe-2-Ausschusses verabschiedet. Michael Theurer ist erleichtert. Auf der anschließenden Pressekonferenz zählt er noch einmal auf:
"Die Mitgliedsstaaten wussten jahrelang über schädliche Steuerpraktiken Bescheid. Sie haben hinter verschlossenen Türen im Finanzministerrat darüber diskutiert. Dieses Problem haben sie nicht lösen können. Und sie wurden weder vom Parlament, noch von der Kommission an ihrer Praxis gehindert."
Fabio De Masi hat gegen den Bericht gestimmt. Nicht nur, weil der Vorschlag, Patentboxen zu verbieten, keine Mehrheit gefunden hat. Prinzipiell ist er mit dem Papier zwar zufrieden. Ihm fehlt aber, dass die politisch Verantwortlichen in den Mitgliedsstaaten konkret benannt werden:
"Es ist so ein bisschen wie beim Fußball oder so: Man kriegt auch mal auf den Sack in der Politik. Aber man geht immer auf den Platz, weil man gewinnen möchte und man hat auch immer mal einen Tag, wo man gewinnt. Und deswegen geben wir auch nicht auf."

War der Irland-Apple-Deal legal?

Zumindest was Apple angeht, konnten De Masi und Theurer mittlerweile einen kleinen Sieg verbuchen: Die EU-Kommission ist zu dem Schluss gekommen, dass Irland dem Konzern einen wettbewerbswidrigen Steuervorteil verschafft hat. Apple soll 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen. Irland hingegen besteht darauf, dass die Vereinbarung mit Apple legal sei. Ob es am Ende tatsächlich zu einer Nachzahlung kommen wird, wird wohl vor Gericht entschieden werden.
(hum)
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