Steuerpolitik

Deutschland will keinen Alleingang gegen Steuerschlupflöcher

Joachim Poß im Gespräch mit Marietta Schwarz  · 10.03.2014
Steuer-Oasen sind "Gerechtigkeits-Wüsten", kritisiert der SPD-Finanzexperte Joachim Poß. Dort seien aber nicht nur amerikanische Unternehmen wie Starbucks oder Apple zu finden, auch deutsche Unternehmen - VW oder BASF - nutzten Steuerschlupflöcher. Das will die Bundesregierung unterbinden, aber nicht im Alleingang: Man werde die G-20-Absprachen abwarten, sagte Poß.
Marietta Schwarz: Der Druck auf deutsche Steuersünder hat zugenommen, das zeigt auch der Fall von Uli Hoeneß, dessen Prozess heute beginnt. Mit einem Freispruch kann der FC-Bayern-Präsident kaum rechnen, da hilft ihm die Selbstanzeige, fehlerhaft, wie sie war, nicht viel. Für Steuersünder gibt es härtere Gesetze, härtere Ermittler und härtere Haftstrafen als früher, so heißt es zumindest. Ungeschoren kommen aber nach wie vor große, international agierende Konzerne davon, die mit legalen Steuertricks Steuerzahlungen in Millionen- oder sogar Milliardenhöhe vermeiden. Apple zum Beispiel hat in den vergangenen zehn Jahren um die sechs Milliarden Euro von Australien nach Irland verschoben, wo die Umsatzsteuer nur bei 0,7 Prozent liegt. Was kann, was muss politisch passieren. Fragen dazu an Joachim Poß, SPD-Bundestagsabgeordneter und Finanzexperte. Hallo und guten Tag, Herr Poß!
Joachim Poß: Guten Tag!
Schwarz: Die SPD hat mit Per Steinbrück im vergangenen Jahr lautstark Wahlkampf betrieben gegen Steuerhinterziehung, Herr Poß. Jetzt sind Sie in der Regierung – große Gesetzesvorhaben zum Stopfen der Schlupflöcher gibt es aber gar nicht, oder?
Poß: Nein, das ist so richtig nicht, wir haben ja in der Koalitionsvereinbarung, gerade was die Steuerhinterziehung angeht und die Steuervermeidung, die konkretesten Vereinbarungen treffen können. Die Union hat sich ja gegen die höhere Besteuerung Vermögender gewehrt, aber auf dem Felde ist sie ja sozusagen uns entgegengekommen, und deswegen setzt Deutschland im Übrigen auch wie in der Vergangenheit voll auf die Bekämpfung der weltweiten Steuerhinterziehung. Es war ja vor Kurzem noch ein Treffen der Finanzminister der sogenannten G-20-Staaten in Sidney, wo das noch mal bekräftigt wurde, wo die Gestaltungsmöglichkeiten identifiziert wurden und wo vereinbart wurde, all diese Schlupflöcher zu schließen. Das erfordert einen gewissen Vorlauf, und das soll im Wesentlichen bis zum Jahr 2015 erledigt sein.
"Wir haben das sehr genau im Auge"
Wenn es bis dahin keine messbaren Fortschritte gibt, darauf haben wir bestanden, dass dann wir auch national aktiv werden. Dass wir zum Beispiel den Betriebsausgabenabzug für Zahlungen an Briefkastenfirmen hier national beschränken, dass wir für die Schaffung eben eines öffentlichen Registers, was ja europaweit auch diskutiert wird, für alle wirtschaftlich Beteiligten für Vertragskonstruktionen nach dem Vorbild des Geldwäschegesetzes uns einsetzen, dass wir auch sicherstellen wollen, dass der steuerliche Abzug von Lizenzaufwendungen – das ist ja eine der beliebten Methoden, zum Beispiel gibt es ja diesen Fall von Starbucks, dass jeder, der hier eine Tasse Kaffee in Deutschland trinkt, gleichzeitig dafür sorgt, dass Starbucks an eine Tochter in den Niederlanden eine Lizenzgebühr abführt. Das erklärt vielleicht die Preise auch ein wenig bei Starbucks. All diese Dinge sind ins Visier genommen. Wir wollten eigentlich auch parallel zu den internationalen Aktivitäten auf europäischer Ebene im Rahmen von G 20 tätig werden, auch schon mit nationaler Gesetzgebung. Das konnten wir so aber nicht ganz durchsetzen. Aber wir haben das sehr genau im Auge.
Schwarz: Herr Poß, Sie haben jetzt gleich auf die G-20-Staaten abgehoben, was letztendlich heißt, auf nationaler Ebene, das kommt erst mal in zweiter Linie. International ist die Staatengemeinschaft gefragt nach Lösungen - ist das so?
Poß: Ja, es ist ja so, dass wir seit der Finanzkrise Gott sei Dank das Thema verstärkt auf der Tagesordnung haben. Man hat sich ja schon 2008, 2009 versprochen bei den internationalen Treffen, dass man nicht nur eine konsequente Finanzmarktregulierung betreiben will, die ja auch schon ins Stocken geraten ist, sondern dass man auch die Steuerschlupflöcher schließen will, dass man Steueroasen angehen will. Und da waren ja diese Veröffentlichungen, die über einige Medien wie NDR und "Süddeutsche" und so weiter erfolgt sind, höchst wertvoll, haben das Thema auch noch mal in den Fokus gebracht, sodass eben wir doch hoffen, dass diese Steueroasen, die ja in Wahrheit Gerechtigkeits-Wüsten sind – sie schützen eben neben, sag ich mal, solchen Unternehmen, wie wir sie hier genannt haben, und wir haben ja noch lange nicht alle genannt, auch die deutsche Unternehmenselite ist ja überall in diesen sogenannten Steueroasen vertreten, von VW über BASF bis andere Unternehmen, die man da nennen kann. Die befinden sich da in der zwielichtigen Gesellschaft von Kriminellen, von korrupten Despoten und Politikern, die Land und Leute ausbeuten. Und von daher ist das Thema auch etwas weiter zu fassen, als es derzeit diskutiert wird.
Schwarz: Es ist ja kein neues Problem, und Absichtserklärungen wie die von den G-20-Staaten, die gab es ja schon immer und gibt es immer neue. Zum Beispiel gibt es diesen Entwurf, der für eine europäische Regelung, der besagt, die Konzerne müssten alle in der EU erzielten Gewinne zusammenrechnen und sie proportional an die einzelnen Staaten zahlen. Das klingt ja erst mal nach einer sehr praktikablen Lösung. Warum liegt dieser Entwurf in den Schreibtischen?
"Das ist ein regelrechtes Geschäftsmodell"
Poß: Gut – weil jeder Nationalstaat natürlich das dann umrechnet, was das für die eigene Kasse bedeutet. Man hat ja unterschiedliche sozusagen auch Geschäftsmodelle. Es leben ja einige Staaten, wie auch die Niederlande, wie auch Luxemburg, alles Rechtsstaaten – wir haben das aktuelle Beispiel gehabt von Zypern, die ja durch Misswirtschaft eben in diese Situation geraten sind. Da spielten aber auch niedrige Steuern, da spielte Korruption eine Rolle und so weiter. Das ist ein regelrechtes Geschäftsmodell. Es gibt ja eine Steuervermeidungsindustrie, und auch manche der sogenannten Experten, die sich dieser Tage zu Herrn Hoeneß äußern und dem bevorstehenden Prozess, das sind ja auch Teile dieser Steuervermeidungsindustrie. Das alles muss man, glaube ich, viel stärker im Zusammenhang sehen. Da sind viele Kräfte, die versuchen, weiter gehende Regelungen zu blockieren. Die versuchen vor allen Dingen, Transparenz zu vermeiden, weil sie so gut davon leben.
Schwarz: Aber wenn so viele Staaten da einfach bremsen, wenn es um eine gemeinsame Lösung geht, dann muss man auch nicht mehr warme Worte finden.
Poß: Ja, das ist richtig. Es geht viel zu langsam sicherlich allen, die etwas gerecht empfinden, viel zu langsam, aber es hat sich doch unter dem Druck der Verhältnisse, auch dieser Geschichten, die diesen ganzen steuerlichen Hintergrund von Panama bis zu den Kanalinseln ausleuchten, dafür Beispiele bringen und so weiter – das hat doch schon Bewegung erzeugt, auch Rechtfertigungszwang in den einzelnen Staaten, jedenfalls in denen, die hinlänglich Rechtsstaaten sind, und deswegen sollte man da durchaus nicht überoptimistisch, aber optimistisch bleiben. Man muss Druck erzeugen, und ich finde, man muss auch noch überlegen, hier bei uns auch vor Ort, über die Politik hinausgehend, ob man ohne Weiteres akzeptiert das Gebaren, das zum Beispiel solche bekannten Firmen weltweit zeigen wie Starbucks, Apple. Und ich benutze selbst Apple-Produkte und boykottiere das nicht und gehe auch schon mal in einen Starbucks einen Espresso trinken, aber das muss man wirklich alles überlegen. Es wird einfach so akzeptiert, achselzuckend hingenommen, und ich finde, das darf nicht der Fall sein. Es nützt wirklich, wenn wir eine breite gesellschaftliche Debatte haben. Das hat auch bisher, in den letzten Jahren, wo wir da viel drüber diskutiert haben, etwas genutzt.
Schwarz: Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Joachim Poß war das. Herr Poß, vielen Dank!
Poß: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.