Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg im Breisgau sowie am Basler Philosophicum. Er gab jüngst im Suhrkamp Verlag den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte" sowie für die Insel-Bücherei "Die schönsten deutschen Aphorismen" heraus.
Ungerecht und unübersichtlich
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50 Steuerarten, 200 Steuergesetze, 100.000 Verordnungen: Wer eine Vereinfachung des Steuersystems fordert, gerät schnell in Konflikt mit Gerechtigkeitsfragen. Dabei wäre Fairness das beste Motiv für eine radikale Reform, meint Autor Philip Kovce.
Jedes Jahr aufs Neue, wenn es an die Steuererklärung geht, träume ich früher oder später vom Steuerparadies. Nicht irgendwo in der Karibik, sondern hierzulande, wohlgemerkt.
Ich sehe es einfach nicht ein, dass das deutsche Steuerrecht mit seinen rund 50 Steuerarten, 200 Steuergesetzen und 100.000 Steuerverordnungen inzwischen derart kompliziert sein muss, dass es de facto eine ganze Branche steuerberatender Experten unterhält. Und ich finde es mehr als bedenklich, dass sich der Bürger als Steuerzahler oftmals nur verwundert die Augen darüber reiben kann, wie der Betrag genau zustande kommt, den er dem Fiskus angeblich schuldet.
Ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, der den Traum vom deutschen Steuerparadies träumt. Laut einer repräsentativen Umfrage des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung halten über 90 Prozent der Befragten das deutsche Steuersystem für vereinfachungsbedürftig. So weit, so gut. Doch wie weiter? Wie ließe sich der deutsche Steuerdschungel tatsächlich lichten? Dazu drei radikale Vorschläge.
Steuern auf Spendenbasis?
Vorschlag eins: Die Steuerpflicht gänzlich abschaffen. Dafür plädiert beispielsweise der Karlsruher Provokationsphilosoph Peter Sloterdijk. Er ist der Ansicht, dass Zwangssteuern letztlich mehr schaden als nützen, weil sie Bürger fälschlicherweise als Schuldner, nicht als Gönner des Gemeinwesens adressieren. Sloterdijk hegt die Hoffnung, dass eine Ethik des Gebens auf freiwilliger Basis die öffentliche Hand nicht verkümmern lässt, sondern im Gegenteil ein ganz neues Interesse für die res publica weckt.
Vorschlag zwei: Alle Steuern abschaffen – bis auf die Mehrwertsteuer, die dementsprechend steigt. Dafür setzt sich unter anderen der Drogerieunternehmer Götz Werner ein. Ihm zufolge ist die Besteuerung von Leistung in Zeiten arbeitsteiliger Fremdversorgung grundsätzlich kontraproduktiv. Stattdessen will Werner allein die Inanspruchnahme von Leistung besteuern, also den Konsum. Da Verbrauchsteuern geringe Einkommen besonders belasten, befürwortet Werner als Grundfreibetrag ein bedingungsloses Grundeinkommen, was Geringverdienern wiederum besonders zugutekommt.
Vorschlag drei: eine fixe Einheitssteuer auf alle Einkommen über dem Grundfreibetrag. Ein solches Flat-Tax-Modell regt der Steuerrechtler und Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof an. Er will dabei alle Einkünfte gleich behandeln, also zwischen Gehältern, Zinsen, Mieteinnahmen oder Unternehmensgewinnen nicht unterscheiden, und sämtliche Steuervergünstigungen und Ausnahmetatbestände abschaffen.
Steuerhölle statt Steuerparadies
Es ist natürlich ein Leichtes, den exemplarischen Vorschlägen von Sloterdijk, Werner und Kirchhof jeweils vorzuwerfen, dass sie zu einfach und schon allein deshalb ungerecht seien. Wer jedoch mit diesem Argument zugleich den fiskalischen Status quo verteidigt, der begibt sich auf dünnes Eis. Denn was heute vorgeblich für Einzelfallgerechtigkeit sorgen soll, das ist im Grunde genommen ein steuerrechtlicher Flickenteppich, den unzählige Interessengruppen jahrzehntelang in Form von Privilegienparagraphen gewebt haben und der infolgedessen intransparenter und ungerechter kaum sein kann.
Anders gesagt: Von einem Steuerrecht, für das Verständlichkeit und Übersichtlichkeit keine Tugenden sind, profitiert nicht der mündige, sondern bloß der flüssige Bürger, der sich 1000 legale Steuertricks leisten kann. Das ist ungerecht! Ja, mehr noch: Wo Verständlichkeit und Übersichtlichkeit fehlen, da schwindet insgesamt das Vertrauen des Bürgers in den Staat. Besteuerung wird dann nicht mehr als sinnvolles gesellschaftliches Teilungsverfahren, sondern als illegitime Räuberei eines anmaßenden Leviathans empfunden.
Wir leben dieser Tage in Deutschland längst im Steuerverdruss. Doch anstatt dass es einfacher und gerechter für alle wird, kämpft jeder allein für seinen eigenen Steuervorteil und macht es dadurch in der Steuerhölle nur noch schlimmer. Ich werde, so scheint es, noch lange vom deutschen Steuerparadies träumen müssen.