Steve Gunn: "The Unseen In Between"

Der Barde der Loner und Loser

Steve Gunn: Flirrende Gitarren, die an den Klang der Sitar erinnern.
Steve Gunn: Flirrende Gitarren, die an den Klang der Sitar erinnern. © imago / GobalImages / Gonzalo Delgado
Von Jutta Petermann |
Steve Gunn ist der neue Darling der US-amerikanischen Singer/Songwriter-Szene. Europa muss er noch von sich überzeugen. Das wird wohl klappen, denn Gunn hat ein Ass im Ärmel - sein neues Album "The Unseen in between".
Songzitat: "Jean-Pierre kam von der Straße, seine Kunst blieb unverkauft - er trägt eine so schwere Last, ist so weit gegangen …"
"Ich lebe in New York City, da sind alle so beschäftigt und gehen achtlos an den anderen vorbei. Einige Menschen werden da gar nicht wahrgenommen. Ich will achtsamer sein für solche Menschen und ihre Geschichten. Es geht um die Außenseiter, die Fremden, die Abgedrifteten am Rande der Gesellschaft."

Gegen die Ignoranz und Kälte der Leistungsgesellschaft

Sich nicht nützlich zu machen − das schwerste Vergehen in der Leistungsgesellschaft. Die Strafe − Missachtung. In warmen, silbrig schimmernden Tönen erzählt Steve Gunn auf seinem neuesten Album "The Unseen in between" von Ignoranz und Kälte gegenüber diesen Menschen.
Der Soundtrack zu diesen Loner- und Loser-Geschichten wabert vor wehmütigem Twang und gemächlich schwingenden Psychedelic-Gitarren − Gunns heiserer, immer gefühlvoller Tenor, lässt den 41-Jährigen wie einen amerikanischen Jochen Distelmeyer rüberkommen.
Auf der Seite der an den Rand Gedrängten: Steve Gunn
Auf der Seite der an den Rand Gedrängten: Steve Gunn© imago / GobalImages / Gonzalo Delgado
Doch Angst, dass es zu gefühlig wird, muss niemand haben: Steve Gunn findet die richtige Dosis zwischen Seele streicheln und Mittelfinger in Richtung Ignoranten strecken. Zudem denkt sich Gunn etwas abseitige Liebesgeschichten aus, deren Happy Ends zu schrullig sind, um zu sehr ins Rührselige abzudriften, wie die zwischen Luciano und seiner Katze:
"Beim Song 'Luciano' dachte ich an einen Mann, der einen Laden hat, der aber einsam ist und der kämpft, auch was seinen Glauben angeht. Aber es ist auch ein hoffnungsvoller Song, dass Luciano Liebe findet und Unterstützung bekommt, auch emotional. Er rettet die Katze von der Straße und sie wird zu einer Art Lebensgefährtin, sie bleibt, weil sie ihm dankbar ist."

Sein Idol: John Coltrane

Der 60er/70er-Jahre Retro-Sound ist maßgeblich durch eine gewisse psychedelische Note hergestellt − Steve Gunn stimmt seine Gitarren offen, sehr hell. Manchmal meint man, eine Sitar zu hören, vor allem, wenn man weiß, dass Gunn indische Musik liebt.
Beeinflusst ist er, neben dem für einen Gitarristen ungewöhnlichen Idol John Coltrane, noch von Neil Young und Bob Dylan. Doch die Philosophie von "The Unseen in between" durchdringt Gunns Leben schon immer. Er verehrt auch weitestgehend übersehene Künstler, wie den Saiteninstrumenten-Virtuosen Sandy Bull und die japanische Gitarristin Sachiko Kanenobu, die erstmals in den USA touren wird, im Februar im Vorprogramm von Steve Gunn.
Der Retro-Sound passt auch zum persönlichsten Song von "The Unseen in between" − geschrieben für Steve Gunns kürzlich verstorbenen Vater. Die Zeit vor seinem Tod nutzen die beiden, um sich noch einmal näher zu kommen.

Mit Maschinengewehren durch den Dschungel

"Ich wollte ihn noch so einiges fragen, über seine Jugend und vor allem zum Vietnamkrieg. Einfach wie es war, dorthin geschickt zu werden, ohne zu wissen, warum eigentlich. Er war da mit seinen Freunden, einer seiner engsten Freunde starb ganz früh. Sie wurden einfach in dieses schreckliche Umfeld geworfen und rannten mit Maschinengewehren im Dschungel rum, dabei kamen sie gerade erst von der Highschool."
Vietnam, das Jahrhundert-Trauma der US-Amerikaner. Steve Gunn ist wieder bereit hinzuschauen, Anteil zu nehmen − ganz nebenbei bietet Gunn damit ein gutes Rezept, um auch dem neuen Unheil zu begegnen, das die USA gerade heimsucht.
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