Steven Hill: "Die Start-up-Illusion. Wie die Internet-Ökonomie unseren Sozialstaat ruiniert"
Knaur-Verlag, München 2017
272 Seiten, 14,99 Euro
"Start-ups sind keine Jobmaschinen"
In seinem Buch "Die Start-up-Illusion" blickt der Journalist Steven Hill auf die Kehrseite der Internet-Ökonomie: So würden sie deutlich weniger Jobs schaffen als die traditionelle Wirtschaft - und oft nur prekäre. Gewinn machten die Firmen auch nicht.
Viel Lob für den deutschen Mittelstand hat der US-Journalist Steven Hill, Autor des Buches "Die Start-up-Illusion":
"Gerade wir in den USA können von Deutschland und den besonderen deutschen Methoden einiges lernen", sagte Hill mit Blick auf die deutsche "Mittelstandsrakete" im Deutschlandfunk Kultur.
Entsprechend solle die Start-up-Wirtschaft ihre Stärken mit denen des Mittelstands kombinieren, statt blind dem Silicon Valley nachzueifern, erklärte Hill, dessen Buch die Kehrseite der neuen Internetökonomie in den Blick nimmt. "70 Prozent von diesen Start-ups enden im Konkurs, 90 Prozent von ihnen verdienen nie irgendwelches Geld. Da ist man ständig auf der Jagd nach enormen Geldströmen, und vieles geht einfach verloren. Kann Deutschland sich das ebenfalls leisten?", so der Journalist. "Ich würde sagen: nein."
Start-ups sind keine Jobmaschinen
Zu den Schattenseiten der Start-ups und der Internetökonomie gehört Hill zufolge auch, dass sie im Vergleich zur traditionellen Wirtschaft weniger Arbeitsplätze schafften - was letztlich sogar die gesamtwirtschaftliche Stabilität bedrohen könnte:
"Die Firmen im Silicon Valley haben ein Ziel: durch Technik möglichst wenig Menschen beschäftigen zu müssen. Das erhöht ihre Arbeitsproduktivität", sagte Hill. "Es ist nicht so, dass sie tatsächlich Arbeitsplätze vernichtet hätten, aber sie schaffen nicht so viele Arbeitsplätze wie die herkömmliche Branchen." Während etwa in der Automobilindustrie einzelne Unternehmen oftmals mehrere Hunderttausende Beschäftigte hätten, seien es bei Firmen wie Uber, Facebook oder Airbnb weniger als 10.000.
"Und das ist eine große Herausforderung, weil die Menschen Jobs und Einkommen brauchen. Wenn die Leute nicht genug Geld haben, um diese Produkte und Dienstleistungen zu kaufen, gerat man in eine permanente Rezession." Hier gelte es, die richtige Balance zu finden. (uko)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wegen der Re:publica sind in Berlin im Moment noch mehr Menschen als sonst unterwegs, die davon träumen, ihr eigenes digitales Unternehmen zu gründen, ein Startup.
Unterwegs genau dort ist aber auch Steven Hill, der amerikanische Journalist, der unter anderem für die "New York Times", die "Washington Post", aber auch die "Frankfurter Allgemeine" und die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. Er stellt in Berlin sein neues Buch "Die Start-up-Illusion" vor, in dem er vor zu viel Euphorie warnt und Startups sogar als Gefahr für unsere Sozialordnung sieht. Ich habe gestern mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob er all diesen jungen Menschen ihren Traum vom Startup verderben möchte.
Steven Hill: Nein. Ich glaube, ich sage eher, der Traum muss realistisch weiter gepflegt werden, wenn man sich Silicon Valley anschaut etwa. Und mein Buch kam ja für einen Großteil des Jahres 2016 heraus. Ich habe dann hier in Deutschland, in Berlin vor allem, mit verschiedenen Leuten aus der Startup-Community gesprochen, aus anderen Kreisen, und die fragten dann immer, wo sind die deutschen Facebooks, Googles, Ubers oder Apples.
Tolle Unternehmen, aber...
Da sage ich, ja, das sind alles tolle Unternehmen, aber die haben auch eine Kehrseite: 70 Prozent von diesen Startups enden im Konkurs, 90 Prozent von denen verdienen nie irgendwelches Geld. Da ist man ständig auf der Jagd nach enormen Geldströmen, und vieles geht einfach verloren. Kann Deutschland sich das ebenfalls leisten?
Es ist ja nicht Silicon Valley. Ich würde sagen, nein. Da muss man genauer auswählen und fragen, wie kann Deutschland sich wirklich eine kraftvolle Startup-Wirtschaft aufbauen, sie aber zugleich kombinieren mit den Stärken des Mittelstands etwa, mit dieser Mittelstandsrakete, wie ich das in meinem Buch nenne.
Kassel: Würden Sie denn sagen, man kann jetzt in Deutschland, in Europa aus den Fehlern lernen, die in Amerika, im Silicon Valley und anderswo leider schon gemacht wurden?
Hill: Ja, ich würde sagen, wir können alle viel voneinander lernen. Gerade wir in den USA können von Deutschland und den besonderen deutschen Methoden einiges lernen. Ich sage ja nicht, dass das Silicon Valley nur schlecht sei. Da ist jede Menge Innovation drin, viel kreative Kraft, aber die gibt es hier auch in Deutschland, und vor allem im Bereich der Politik sehe ich sehr viel Innovation, im politischen Bereich.
Die Dax-Unternehmen, wo 50 Prozent der Vertreter im Aufsichtsrat und im Vorstand von den Beschäftigten benannt werden. Das Mehrparteiensystem, das wir in den USA nicht haben. Also wenn wir uns fragen, wie können wir alle ein gutes Leben im 21. Jahrhundert führen, dann können wir sicher in dieser Hinsicht viel voneinander lernen.
... die meisten guten Ideen verlaufen im Sand
Kassel: Aber die betriebliche Mitbestimmung, die Sie gerade erwähnt haben, der Mittelstand – wird das wirklich alles grundsätzlich durch diese Idee der Startup-Industrie gefährdet?
Hill: Was ich von vielen hier höre, man müsse den Mittelstand fit für die digitale Wirtschaft machen, man müsse die vernetzen mit der Hochtechnologie, und auf der anderen Seite höre ich dann von den Startups, wir haben so viele gute Ideen, die sind zündend, aber die meisten von denen verlaufen im Sande. Da habe ich mir dann gedacht, man müsse das systematisch untersuchen, diese tollen Ideen zusammenbringen mit dem, was schon da ist an unternehmerischem Potenzial.
Viele haben es auch versucht aus Berlin heraus, diese tollen Ideen runterzubringen nach Bayern, nach Stuttgart und an andere Orte. Aber sehr häufig hat das einfach nicht geklappt. Es fehlte an Kontakten, es fehlte an den Querverbindungen.
Und deswegen glaube ich, Deutschland muss überlegen, wie es seine eigene Silicon-Allee, wie man das hier so nennt, schafft. Wie kann man den Mittelstand digital ertüchtigen, und wie kann man andererseits diese Startup-Wirtschaft so einstellen, dass sie sich andockt an das, was der Mittelstand so vor sich hin treibt?
"Ziel: durch Technik möglichst wenige Menschen beschäftigen"
!Kassel:!! Sie sagen in Ihrem Buch auch, dass die Startup-Industrie – man muss dazu sagen, dass natürlich das, was aus Startups geworden ist inzwischen, da reden wir auch über riesige Firmen wie Amazon oder Google oder Apple, dass die Startup-Industrie wesentlich mehr Arbeitsplätze vernichtet hat, als sie neue geschaffen hat. Das mag so sein. Aber liegt das wirklich quasi an der Mentalität dieser Industrie, oder liegt es einfach an den technischen Entwicklungen und Innovationen?
Hill: Die Firmen im Silicon Valley haben ein Ziel: Durch Technik möglichst wenige Menschen beschäftigen zu müssen, weil sie dadurch eben ihre Arbeitsproduktivität erhöhen. Sie zerstören nicht gezielt Arbeitsplätze, aber sie haben nicht so viele Arbeitsplätze geschaffen wie die herkömmlichen Branchen, zum Beispiel die Autoindustrie mit Hunderttausenden von Beschäftigten pro Unternehmen.
Siemens beschäftigt Hunderttausende von Mitarbeitern. Apple und Google 60.000 bis 70.000, Uber, Facebook, Airbnb, also diese Unternehmen in der neuen Wirtschaft, weniger als 10.000. Das heißt, diese neuen Unternehmen sind keine Jobmaschinen, sondern sie erzeugen weniger neue Beschäftigung, und das ist natürlich eine Herausforderung, weil man, um eben diese Produkte und Dienstleistungen abzukaufen, auch genügend Beschäftigte und genügend Einkommen braucht. Wenn das fehlt, dann schlittert man in eine chronische Rezession. Das ist letztlich der Dreh- und Angelpunkt.
Balance zwischen Marktordnung und freiem Unternehmertum
Es gilt hier also, sehr viel fein auszubalancieren zwischen Politik, zwischen Marktordnung und zwischen dem freien Unternehmertum und auch zwischen diesen revolutionären Umbrüchen. Das gilt es eben fein auszutarieren, um wirklich Fortschritt zu erzielen. Immer, wenn die Leute Jubelarien anstimmen und sagen, wir müssen das Silicon Valley kopieren, sage ich: Passt mal auf, das ist alles nicht so einfach. Da müssen wir schon etwas tiefer gehen. Da steckt mehr dahinter.
Kassel: Das Silicon Valley ist, glaube ich – Sie wissen es besser, Sie leben dort –, wirklich eine eigene Welt, in der Leute, wie man heute sagt, in ihrer eigenen Blase leben, eigene politische Ansichten haben. Wie ist denn das in der ganz anderen Startup-Szene in Europa? Ist es da nicht längst auch so, dass die Leute eigentlich sagen, wir leben in einer neuen Welt, wir schaffen auch eine neue Welt, wir wollen nicht mit diesen Problemen der alten Welt, die Sie erwähnen, überhaupt noch belästigt werden?
Hill: Man ist hier ziemlich aufgeschlossen gegenüber dem, was ich gesagt habe. Ich habe sehr viel Gastfreundschaft erfahren. Die Startups hier sind natürlich grundsätzlich jünger als im Silicon Valley. Einige wehren ab, sind taub gegenüber Kritik. Sie müssen ja alles tun, um ihr Unternehmen ans Laufen zu bringen. Sie müssen Wagniskapital heranlocken und wir sagen ja, diese Startups, die laufen alle auf einem gezinkten Hype, denn nur so können sie das nötige Kapital anziehen. In den ersten Jahren verdient ja keines dieser Unternehmen Geld. Man hofft, später dann profitabel zu werden.
Eine Gefahr für den Sozialstaat
Aber hier in Berlin habe ich doch ziemlich viele Menschen getroffen, die das verstehen, die sagen, ja, wir erkennen, dass diese neue Art des Wirtschaftens unser Arbeitsleben sehr verändern könnte. Was ist da wohl die Auswirkung? Ich habe zum Beispiel in meinem Buch das Unternehmen Upwork geschildert eine Plattform, die mehr als zehn Millionen freie Mitarbeiter auf der Plattform hat, 18.000 allein in Deutschland. Wie viele von denen verdienen wie viel? Das wissen wir nicht, denn Upwork liefert ja keine Steuererklärung an den deutschen Staat. Und auch die Freelancer tun dies möglicherweise nicht.
Wenn das viele so machen, und wenn die Unternehmen eben keine Steuern zahlen, dann wird der Sozialstaat nach und nach ausgehöhlt. Zwecke wie Wohnungsbau, Verkehr, Bildung werden dann nicht mehr bezahlbar sein. Hier steht also eine ganze Menge auf dem Spiel, und das Ganze lässt sich nicht in so einfache Stereotype oder Slogans fassen, die man aus dem Silicon Valley hört oder von den Silicon-Valley-Fans, die sagen, man müsse das einfach nur nachahmen.
Kassel: Steven Hill war das. Er ist Redner auf der Re:publica dieses Jahr in Berlin, und er ist Autor des Buches "Die Startup-Illusion". Das Gespräch mit Steven Hill habe ich gestern Nachmittag geführt, und übersetzt hat es Johannes Hampel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.