Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben und was wir dagegen tun können
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2018
320 Seiten, 22,00 Euro
Regierst du noch – oder herrschst du schon?
Ist die Demokratie als Staatsform in Gefahr? Steven Levitsky und Daniel Ziblatt sind der Frage in ihrem faktenreichen und gut verständlichen Buch "Wie Demokratien sterben" nachgegangen und haben eine Art Lackmustest für Möchtegern-Autokraten entwickelt.
Demokratien sterben heutzutage nicht mehr mit einem großen Knall, einem Putsch oder einer Revolution. Sie siechen so leise vor sich hin, dass wir ihr Ableben kaum bemerken. So argumentieren die Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Und sie legen auch einen Lackmustest vor, damit wir prüfen können: Welches Land ist noch eine Demokratie – und wo regieren schon Autokraten?
"Ist unsere Demokratie in Gefahr? Nie hätten wir gedacht, dass wir einmal diese Frage stellen würden!" - so beginnen die beiden Harvard-Professoren Steven Levitksy und Daniel Ziblatt ihre Einleitung, um dann – natürlich – festzustellen, "dass wir uns unserem eigenen Land zuwenden müssen". Diese Erkenntnis im Jahr Zwei der Regentschaft von Donald Trump ist nun wahrlich keine Schlagzeile mehr wert, aber die beiden Politikwissenschaftler schaffen es auf knapp 300 Seiten, altbekannte Stereotypen, die vom Scheitern der Demokratien erzählen, neu aufzuwärmen. Und so spannend zu erzählen, dass man ihr Buch dann doch zu Ende liest.
Unmerkliche Erosion der Demokratie
Wie stellen wir uns den Tod von Demokratien vor? Der Blick in die Vergangenheit zeigt meist ein gewaltsames Ende. Entweder durch einen Staatsstreich – wie zum Beispiel in Chile 1973. Aber das Modell des prompten Zusammenbruchs einer demokratischen Ordnung passt nicht mehr auf die heutige Zeit: "Die Erosion der Demokratie geschieht so unmerklich, dass viele sie nicht wahrnehmen."
Ihre zentrale These unterziehen Levitsky und Ziblatt einem "Lackmustest, der es ermöglicht, Möchtegern-Autokraten zu erkennen". Er nennt Kriterien, um Merkmale autokratischen Vorgehens festzumachen. Erstens: Die "Schiedsrichter" – Gesetzeshüter, Nachrichtendienste, Ethikkommissionen, Gerichte – werden attackiert. Zweitens: Die "Schlüsselspieler" – zum Beispiel die Medien oder politische Gegner - werden neutralisiert. Drittens: Man schreibt die "Spielregeln" neu und duldet Gewalt oder ermutigt sie sogar. Den Test bestehen mit Bestnote Länder wie Venezuela, Ungarn oder die Türkei.
"Kriegsführung" um die Macht im Weißen Haus
Und was ist mit den USA und ihrem Präsidenten? "Trump hat alle drei Strategien versucht". Ausführlich wird der amtierende Präsident der Weltmacht USA als Symptom einer fortschreibenden Erosion demokratischer Werte in den letzten Jahrzehnten geschildert. Mit Donald Trump habe die amerikanische Demokratie ihre "Leitplanken" verloren: "Alle erfolgreichen Demokratien stützen sich auf informelle Regeln, die zwar nicht in der Verfassung festgeschrieben sind, aber weithin bekannt sind und beachtet werden." Dazu gehören Achtung des politischen Gegners, Toleranz und Zurückhaltung.
Dass "Trump gegen die 'Leitplanken'" – so die Überschrift des zentralen Kapitels – agiert, ist nicht wirklich verwunderlich. Interessant ist eher, dass die Autoren eine Figur wie Donald Trump als vorläufigen Endpunkt einer schon seit Jahrzehnten andauernden Entwicklung schildern. Dass amerikanische Wahlkämpfe mit harten Bandagen ausgefochten werden und wurden, ist eine Binsenweisheit, - siehe Watergate. Mit dem Republikaner Newt Gingrich aber, der Politik als "Kriegsführung" um die Macht bezeichnete, habe "eine tektonische Verschiebung in der amerikanischen Politik" begonnen. Sie manifestiere sich vor allem im Kongress, der durch fortschreitende Polarisierung, durch Filibuster und "shut downs" (Stilllegung der Regierungstätigkeit), immer mehr an Legitimität verliere.
Schwerkrank, aber noch nicht todgeweiht
Bislang haben die amerikanische Demokratie und ihre Institutionen den undemokratischen Angriffen standgehalten. Aber wie lange noch? Und: Wer ist verantwortlich? Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft ist in den Augen der Autoren auch ein Versagen der politischen Eliten. In den letzten Wahlkämpfen ging es zunehmend um die verbale Vernichtung des politischen Gegners, um die angebliche Bloßstellung als "unamerikanisch". Erinnert sei an die Tea Party Bewegung, die Barack Obama im Wahlkampf 2008 die Staatsbürgerschaft absprach und ihm vorwarf, er sei in Wahrheit ein Kommunist.
Mit Donald Trumps Tiraden gegen die Presse, die er kurz nach seinem Amtsantritt als "Feinde des amerikanischen Volkes" titulierte, wurde klar: Er "hat sich im ersten Jahr seiner Präsidentschaft in vieler Hinsicht an das fiktive Lehrbuch für gewählte Autokraten gehalten. Aber er hat mehr geredet als gehandelt. Er ist wie ein rücksichtsloser Autofahrer an den Leitplanken entlanggeschrammt, aber er hat sie nicht durchbrochen".
Der Patient stirbt noch nicht
Und so lassen die Autoren die Frage nicht unbeantwortet: Wie kann man dem entgegensteuern? Hier sehen sie vor allem die Parteien und zuvorderst die Republikaner in der Pflicht. Sie müssten den Präsidenten "in seine Schranken weisen". Und sie müssten wieder den parteiübergreifenden Konsens suchen: "Wir brauchen nicht Koalitionen von Gleichgesinnten, sondern Koalitionen von politischen Gegnern", um das demokratische System zu retten.
Die Bilanz nach 300 Seiten: Ein leicht verständliches, faktenreiches, locker formuliertes Buch über den amerikanischen Patienten, der zwar schwer krank, aber noch nicht todgeweiht ist.