Steven Pinker: "Aufklärung jetzt"

Eine gnadenlos zuversichtliche Weltsicht

Cover von Steven Pinker "Aufklärung jetzt"; im Hintergrund ist ein grün umrandetes schwarzes Loch zu sehen
Jede Bedrohung für Wohlstand, Demokratie, Frieden und Fortschritt lässt sich lösen, meint der "Possibilist" Steven Pinker. © S. Fischer / imago/CHROMORANGE / Collage: DLF Kultur
Von Arno Orzessek |
Die Aufklärung hat funktioniert. Das ist die Hauptthese von Steven Pinker, der nahezu bedingungslos an den Fortschritt glaubt. Für Schwarzmaler hat der Kognitionspsychologe in "Aufklärung jetzt" nur Verachtung übrig. Seine Botschaft: Alles wird gut.
Haben Sie die schlechten Nachrichten satt? Nervt Sie der apokalyptische Ton der Klima- und Umwelt-Gurus? Ärgern Sie sich über die Phalanx der Schwarzmaler? Dann wird Ihnen Steven Pinkers neues Buch eine helle Freude sein. Denn der kanadische Kognitionspsychologe stellt unserer Zivilisation trotz gewisser Abstriche ein exzellentes Zeugnis aus und prophezeit ihr eine erfreuliche Zukunft.
Pinkers Generalthese ist simpel: "Die Aufklärung hat funktioniert." Soll heißen: Es gibt den umstrittenen "Fortschritt" tatsächlich. Und zwar für die Menschheit insgesamt und in fast jeder erdenklichen Hinsicht. Für alle, die daran zweifeln – damals die Romantiker, heute die "Intellektuellen", die Nietzscheaner und Verehrer der Kritischen Theorie, die Dekonstruktivisten und Postmodernen – hat Pinker nur pauschale, teils ahnungslose Verachtung übrig.

Aufklärung als Motor positiver Entwicklungen

Information ist der entscheidende Stoff, mit dem die Menschen laut Pinker der Entropie, also der Zunahme von Unordnung in geschlossenen Systemen, erfolgreich entgegenwirken und deshalb das Unwahrscheinliche schaffen: Ordnung, Komplexität, Institutionen. Und weil die Aufklärung mit ihrer Lust am Verstandesgebrauch der Informations-Verarbeitung gigantischen Vortrieb gab, ist sie für Pinker Ursprung und Motor fast aller positiven Entwicklungen der letzten 200 Jahre, darunter erhöhte Lebensdauer, bessere Gesundheit, größerer Wohlstand, mehr Sicherheit, mehr Demokratie, mehr Frieden, mehr Wissen, kurz: mehr Lebensqualität und sogar mehr "Glück".
Irritieren lässt sich Pinker von gar nichts. Terrorismus? Den gibt es, er ist aber "uneffektiv" und wird aufgebauscht: "Der moderne Terrorismus ist ein Nebenprodukt der riesigen Reichweite der Medien." Klimawandel? Pinker wettert gegen alle Leugner. Aber er glaubt, der technische Fortschritt werde entweder den Klimawandel selbst oder die Auswirkungen in den Griff bekommen. Er verspottet den "Grünismus" der Ökopessimisten und wirft ihnen Naivität vor, weil sie unterstellen, unser Wissen sei für immer auf dem heutigen Stand eingefroren. Wenig Hoffnung hegt Pinker indessen für den Islam, soweit er den Primat von Wissen und Information nicht verinnerlicht.

Gegengift gegen "Negativitätsverzerrung"

Pinkers Fakten-Auswahl – Anmerkungen und Bibliografie umfassen 135 Seiten – ist erkennbar selektiv. Als Atomkraft-Freund verzeichnet er etwa für den Tschernobyl-GAU "31 Tote", manche Experten zählen Tausende. Dabei ist Pinker als "Possibilist" nicht blauäugig, sondern gnadenlos zuversichtlich: Jede Bedrohung für Wohlstand, Demokratie, Frieden und Fortschritt lässt sich in ein rational lösbares Problem umformulieren und lösen, Punkt.
Er feiert die Natur- und Technik-Wissenschaften (Geisteswissenschaften sind ihm zuwider) und sieht sich selbst als "eine Art Wachhund gegen politisch korrekte Dogmen in der akademischen Welt".
"Aufklärung jetzt", flott und unterhaltsam geschrieben, ist tatsächlich ein wirksames Gegengift gegen Defätismus und "Negativitätsverzerrung". Aber es ist im Kern dogmatisch. Es kennt, alles in allem, immer nur eine Wendung der modernen Geschichte: die Wendung zum Guten. Schön wär's, wenn Steven Pinker recht hätte. Ob das so ist, bleibt am Ende wohl trotz aller Fakten Ansichtssache und Glaubensfrage.

Steven Pinker: "Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
736 Seiten, 26 Euro

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