Steven Pinker: "Mehr Rationalität. Eine Anleitung zum bessern Gebrauch des Verstandes"
Aus dem Englischen von Martina Wiese
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
432 Seiten, 25 Euro
Gute Geschichten schlagen gute Argumente
In seinem neuen Buch verspricht der Psychologe Steven Pinker "eine Anleitung zum bessern Gebrauch des Verstandes". Und genau das liefert er auch. Doch Pinkerts Anleitung ist so kompliziert, dass sie den dringend benötigten Schub an Sachlichkeit kaum anstoßen wird.
"Wie kann ein rationales Tier nur so viel Blödsinn von sich geben?", fragt der amerikanische Psychologe Steven Pinker angesichts von Fake-News, Wunderglaube und Scheinargumenten im Wahlkampf.
Und er fordert dazu auf, mehr Rationalität walten zu lassen. Wie? - Das lernt man dann auf über 400 Seiten, die mitunter sehr unterhaltsam zu lesen sind. Aber insgesamt wird es dann doch so kompliziert und reich an Fachbegriffen, dass Pinkers Anleitung wohl kaum den dringend benötigten Schub an Sachlichkeit anstoßen wird.
In seinem letzten Buch "Aufklärung jetzt" häufte Pinker Fakt auf Fakt, um zu belegen, dass die Menschheit auf praktisch allen Gebieten dramatische Fortschritte erzielt hat.
Bestes Beispiel: In nur einem Jahr ist es gelungen, wirksame Impfstoffe gegen das Coronavirus zu entwickeln. Aber viele Menschen wollen die nicht haben. Die Fakten bleiben wirkungslos. "Mehr Rationalität" ist der Versuch, hieran etwas zu ändern.
Diskussionen für die Statusbestätigung
Am Anfang steht die Analyse. Darin folgt Pinker seinem Kollegen Daniel Kahneman, der in "Schnelles Denken, langsames Denken" viele psychologische Verzerrungen dokumentiert hat. Nur warum gibt es die? "Die Evolution hat uns nicht zu intuitiven Wissenschaftlern, sondern zu intuitiven Anwälten gemacht", schreibt Pinker.
In Diskussionen geht es daher weniger um Wahrheit, als darum, den eigenen Status zu erhöhen. Deshalb würden gute Geschichten gute Argumente schlagen. Und zwar nicht erst seit den sozialen Medien. Auch biblische Wundergeschichten seien schließlich "Fake News von paranormalen Phänomenen".
Steven Pinker will helfen, über die Verzerrungen hinauszublicken und rational zu denken. Dazu gibt er einen Crashkurs in Logik, etwas Wahrscheinlichkeitsrechnung, einen Schuss Spieltheorie und Hinwiese zum Unterschied von Korrelation und Kausalität.
Crashkurs in Logik
All das ist wichtig. Und all das ist auch richtig. Aber es ist für Pinker untypisch zäh - trotz Filmzitaten und Karikaturen. Statt lebendiger Beispiele reiht sich Fachbegriff an Fachbegriff. Wer wirklich Denken lernen will, greift vielleicht eher zu "Risiko" von Gerd Giegerenzer, den Pinker ebenfalls zitiert.
Allerdings: Wenn man die aktuellen Nachrichten hört, gibt es viele Anknüpfungspunkte an "Mehr Rationalität". Mit den dort erklärten Argumenten lässt sich verstehen, warum es so schwer ist, Menschen zu identifizieren, die andere wegen einer Maske töten. Oder was nötig ist, um den Effekt einer Coronamaßnahme zu belegen. Oder auf privater Ebene: Weshalb ein Blinddate sinnvoll sein kann, man aber den Blick aufs Handy beim Autofahren unterlassen sollte.
Rationalität ist anstrengend
Rationalität ist anstrengend. Jeder Mensch hat einen Hang zum Mythologischen, wie es Steven Pinker nennt. Und dieser Hang scheint aktuell die Oberhand zu gewinnen.
"Überzeugungen werden zunehmend nicht mehr als Ideen, die falsch oder richtig sein können, betrachtet", so Steven Pinker "sondern als Ausdruck der moralischen und kulturellen Identität". Das ist gefährlich, denn wenn Argumente nichts zählen, entscheidet pure Macht die Konflikte, und das kann eigentlich niemand wollen.
Deshalb ist "Mehr Rationalität" der richtige Ansatz. Denn auch wenn sich Irrationalität erklären lässt: "Verstehen bedeutet nicht vergeben", so Steven Pinker. "Gelegentlich dürfen wir an Menschen strengere Maßstäbe anlegen."
Deshalb ist "Mehr Rationalität" der richtige Ansatz. Denn auch wenn sich Irrationalität erklären lässt: "Verstehen bedeutet nicht vergeben", so Steven Pinker. "Gelegentlich dürfen wir an Menschen strengere Maßstäbe anlegen."