Hören Sie hier das Interview mit Stewart O'Nan im englischen Original.
Stewart O' Nan über "Ocean State"
Der 61-jährige Stewart O'Nan erzählt auch seinen neuen Roman "Ocean State" wieder aus der Sicht einer Teenagerin. © Getty Images / Francois G. Durand
Die Schwester der Täterin
17:06 Minuten

Maries Schwester hat eine Mitschülerin getötet. Wie es dazu kam, ist in "Ocean State" rasch klar. Stewart O'Nan interessierte beim Schreiben aber: "Was passiert mit dir, wenn du 13 bist und die von dir bewunderte Schwester einen Menschen ermordet?"
„Als ich im achten Schuljahr war, half meine Schwester dabei, ein anderes Mädchen zu töten“ – das ist ein Satz, der einen sofort ins Geschehen katapultiert. Stewart O'Nan ist bekannt für solche Romananfänge. Nicht umsonst ist er seit Jahrzehnten eine feste Größe der US-amerikanischen Literatur.
Der studierte Flugzeugingenieur, geboren 1961 in Pittsburgh, fand Ende der 80er-Jahre zu seiner großen Liebe, dem Schreiben. Seither reiht sich ein Roman an den anderen, immer sind es Gesellschaftsdramen, in denen vordergründig nicht viel passiert. Meistens sind sie angesiedelt im ländlichen oder kleinstädtischen Milieu in der unteren Mittelschicht. Und immer schlüpft O’Nan in seinen Geschichten in die Haut von Teenagern und erzählt aus deren Sicht.
Ein Mädchen wird getötet
Sein neuer Roman „Ocean State“ spielt im Jahr 2009 in einem Städtchen in Rhode Island. Marie, die 13-jährige Erzählerin, schreibt über ihre ältere Schwester Angel. Die ist verliebt in Myles, einen Highschool-Schüler aus gutem Haus. Auch Mitschülerin Birdy interessiert sich für den hübschen Jungen. Eine heftige Konkurrenz entbrennt, die damit endet, dass Angel gemeinsam mit Myles Birdy tötet – im Streit; es ist also kein eiskalter Mord.
Stewart O'Nan: "Ocean State"
Rowohlt, Hamburg 2022
256 Seiten, 24 Euro
Für das stimmige Setting habe er wieder viel recherchiert, sagt O’Nan, der selbst Vater mehrerer, inzwischen längst erwachsener Kinder ist: Welche Musik, welche Filme waren damals angesagt? Was passierte sonst noch in den USA? Und wie wirkt das Gefüge innerhalb einer Highschool und natürlich in den sozialen Medien als Brandbeschleuniger? Der Autor studierte unter anderem auch ein Highschool-Jahrbuch aus der Zeit, um sich noch besser einfühlen zu können.
Alter Mordfall als Inspirationsquelle
Inspiration fand er in einem 27 Jahre zurückliegenden Mordfall: Im US-Staat Connecticut hatten Jugendliche eine 13-Jährige ermordet. Diese alte Geschichte habe ihn sehr beschäftigt und verfolgt, erinnert sich der 61-Jährige. Er habe überlegt: Aus welcher Perspektive könnte man diese Geschichte erzählen?
„Zuerst hatte ich überlegt, sie aus der Perspektive der Ermordeten zu erzählen oder aus der ihrer Mutter", erzählt O'Nan. "Doch dann dachte ich: Wie wäre es, wenn es die jüngere Schwester der Ermordeten wäre, die immer aufgeschaut hat zur älteren Schwester?“
Wenn deine Schwester eine Mörderin ist
Als er konkret mit dem Schreiben begonnen habe, sei ihm dann die Idee gekommen: Warum nicht alles von der jüngeren Schwester der Täterin erzählen lassen?
Mehr noch als die Tat an sich habe ihn dabei die Frage interessiert: „Was macht das mit dir, wenn du 13 bist, wenn du deine ältere Schwester wirklich bewunderst und wenn sie das Schlimmste tut, was man überhaupt nur tun kann, nämlich einen Menschen zu ermorden?“
(mkn)