65 Jahre Osborne-Stier in Spanien

Werbefigur und Nationalsymbol

21:37 Minuten
Die Silhouette eines großen schwarzen Stiers mit gerundeten Hörnern steht im Abendrot auf dem Gipfel eines Berges inmitten eines Gebirges.
Der Stier ist das Aushängeschild Spaniens. 14 Meter hohe Stahl-Bullen zieren viele Landschaften. Die schwarzen Giganten haben eine Fläche von 150 Quadratmeter und wiegen 4 Tonnen. © imago stock&people
Von Reinhard Spiegelhauer |
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Die Osborne-Stiere stehen am Rand spanischer Landstraßen und Autobahnen. Einst waren es 500, heute sind es noch 92. Erfunden als Werbefigur des Spirituosenherstellers Osborne sind die Blechtiere heute nicht nur in Spanien Kult. Aber nicht für alle.
Der große, platte schwarze Stier aus Stahlblech, der neben der Straße steht. Gerne taucht er nach einer Kuppe in der Ferne am Horizont auf, nach einer Kurve, auf einem Hügel. So wie auf der A1 von Madrid Richtung Burgos im Norden: bei Cabanillas de la Sierra führt die Autobahn durch einen kleinen Einschnitt in einem Hügel.
Ein großer Osborne-Stier thront in der Landschaft neben einer Straße, auf der mehrere LKW vorbeifahren.
Lenken die Stiere die Autofahrer etwa ab? - Seit 1962 müssen die "Toro de Osborne" 20 Meter Abstand halten von der Straße.© Reinhard Spiegelhauer, ARD-Studio Madrid
Man schaut auf die Ausläufer des Guadarrama-Gebirges, und dann taucht auf der rechten Seite das eiserne Standbild auf. Hier, bei Cabanillas, ist vor 65 Jahren der erste “Toro de Osborne” aufgestellt worden:
“Ursprünglich ist der Toro de Osborne nur ein Werbeplakat. Aber durch einige Ereignisse wird er zu einer Ikone, einerseits für die Firma, andererseits als eine Art Markenzeichen für Spanien.”

Ein Stier für die Brandy-Werbung

Der erste Stier, der am 15. Mai 1957 aufgestellt wurde, war noch aus Holz gezimmert, sagt Jaime Nuño González, und mit vier Metern Höhe auch noch relativ klein.
Der Historiker beschäftigt sich seit Langem mit dem Phänomen “Toro de Osborne”, das seinen Ursprung in einer Werbeidee hat.
Eine Frau mit langen braunen Haaren, einer Pelzjacke und Stiefeln steht in einem hohen Raum, in dem Stierplakate und -Utensilien aufgebaut sind.
"Ein Symbol der Männlichkeit für einen Männer-Brandy" - Carla Terry Osborne im 'Stier-Museum'.© Reinhard Spiegelhauer, ARD-Studio Madrid
“Geschaffen wurde er als Werbung für einen bestimmten Brandy, den ‘Veterano’, und sein Geburtsjahr ist 1956. Der Grafikdesigner Manolo Prieto hat ihn für uns entworfen, als wir die Werbeagentur Azor beauftragt haben, einen Stier für unsere Brandy-Werbung zu entwerfen.”
Carla Terry Osborne gehört zur sechsten Generation der Familie von Unternehmensgründer Thomas Osborne.
Der Engländer hat das Unternehmen im 18. Jahrhundert im südspanischen Städtchen El Puerto de Santa Maria gegründet, einem der Eckpunkte des sogenannten Sherry-Dreiecks, aufgespannt zwischen Jerez de la Frontera, Sanlúcar de Barrameda und eben El Puerto de Santa Maria.
Ursprünglich nur ein Weinhandel mit Schwerpunkt auf dem Export nach Großbritannien, entwickelte sich die spanische Bodega “Osborne” im Laufe der Zeit zu einem bedeutenden Produzenten von Sherry und Weinbrand.

“Wir wollten etwas, das Kraft verkörpert"

Carla Terry Osborne steht zwischen 2.500 Liter fassenden Holzfässern in einer der Lagerhallen, einer der Bodegas des Familienunternehmens. Dank der dicken, gemauerten Wände und des hohen Dachs, dank der kleinen Lüftungsöffnungen und des feuchten Bodens aus gestampfter Erde ist es kühl.
Ein feiner Cognac-Duft zieht durch die Bodega, auch wenn der spanische Branntwein nicht so heißen darf. “Veterano” heißt der Brandy, für den der Stier Werbung machen soll.
“Wir wollten etwas, das Kraft verkörpert, denn Brandy war damals ein Männergetränk. Heutzutage wird er natürlich von Frauen und Männern getrunken. Aber damals zielte die Werbung eher auf Männer. Und wir wollten den starken, freien Stier von der Weide überall an die Straßen stellen. So wie die Stiere, die auf den Weiden meiner Familie stehen.”

Geburtsstunde des Osborne-Stiers

Ein Symbol der Männlichkeit für einen Männer-Brandy – das ist also der Ursprung der Silhouette mit den aufragenden Hörnern und dem ausgeprägten, zwischen den Hinterbeinen hängenden Hoden.
Der Silhouette, die viele Menschen aus dem Ausland heute als ein Markenzeichen Spaniens interpretieren. Die ersten Werbefiguren stellte man an überraschenden Stellen direkt neben den Straßen auf, mit einem flammend roten “Veterano”-Schriftzug auf dem Bauch. Ein PR-Volltreffer, der genau in die Zeit passte.
Vor dem Hintergrund eines blauen Himmels mit Schäfchenwolken steht in der Ferne ein riesiger schwarzer Stier in einem rotblühenden Mohnfeld.
Im Zeichen des Stiers - ein Osborne-Exemplar im zentralspanischen Toledo in einem Mohnfeld.© imago images/Westend61
Es gab aber früh auch Kritik: Die Werbeschilder würden die Autofahrer ablenken, ja sogar erschrecken. 1962 wurde ein Gesetz erlassen, dass Werbeplakate mindestens 20 Meter Abstand zur Fahrbahn haben müssen.
Die Geburtsstunde des “Osborne-Stieres”, wie man ihn heute kennt. Nachdem er zuvor schon von vier auf sechs bis sieben Meter angewachsen war und wegen der Haltbarkeit aus Eisenblech statt Holz hergestellt wurde, wuchs er auf die 14 Meter Höhe an, die ihn heute noch unübersehbar machen.
“So ist er bis heute geblieben, auch weil wir den ‘Veterano’ Schriftzug weggelassen haben. Dann konnte keiner mehr sagen, er sei ein Werbeplakat. Er wurde einfach Teil der spanischen Landschaft.”
Zu Hochzeiten standen fast 500 schwarze Stier-Silhouetten in der spanischen Landschaft, von Nord nach Süd, von West nach Ost.

Der Stier als Familienangelegenheit

Gebaut wurden und werden sie alle in einer Schlosserei, nicht weit entfernt von der Osborne-Bodega in El Puerto de Santa Maria, in alter Handwerkskunst von den Brüdern Felix und Pedro Prieto.
“Es fängt mit dem Auftrag der Bodega Osborne an. Dann bestellen wir das Material: zwei Millimeter dickes, galvanisiertes Stahlblech, 50 und 60 Millimeter Stahlprofile und Montagematerial, um die Teile später zusammenzubauen.”
Zwei ältere weißhaarige Herren in Blaumännern stehen in ihrer Werkstatt.
"Es ist wie bei einem Puzzle für Kinder" - Erfolgreiche Stierbauer Felix und Pedro Prieto (re.) in ihrer Werkstatt.© Reinhard Spiegelhauer, ARD-Studio Madrid
Sie führen die Arbeit ihres Vaters fort und sind Neffen von Manolo Prieto, der das Design in den 50er-Jahren entworfen hat. Der Stier ist sozusagen auch eine Familienangelegenheit:
“Manolo Pietro, der Designer, war ein Onkel meines Vaters. Wir haben noch die Original-Schablonen aus dem Jahr 1957 aus Blech für den Holzstier. Die sind dann maßstäblich vergrößert worden für den Sieben-Meter-Stier und später für die 14-Meter-Variante. Alle diese Stiere sehen gleich aus.”
Pedro ist der jüngere der beiden Brüder. Ihre Schlosserei hat die Größe eines kleinen Hallenbades. Werkbänke stehen darin, eine hydraulische Blechschneidemaschine und eine Kantbank zum Abwinkeln von Blechen. Ein Autogenschweißgerät und viele, viele andere alte und moderne Werkzeuge. Unter anderem auch ein Amboss, denn die beiden beherrschen auch das Schmieden. Unter dem Dach hängt ein Flaschenzug, um die schweren Einzelteile durch die Halle zu bewegen.

Überlebensgroßes Stierpuzzle aus 62 Teilen

An einem Tor hängt ein Übersichtsplan, auf dem die einzelnen Teile des Stiers markiert und beschriftet sind. Die große Eisenfigur, zeigt Pedro anhand des Plans, ist tatsächlich eine Art Puzzle:
“Hier haben wir einen Plan, auf dem alle Blechteile durchnummeriert sind. Es ist wie bei einem Puzzle für Kinder. Wir nehmen die Schablonen, schneiden die Bleche zurecht, kanten sie ab, bohren Löcher für später, wenn sie ans Gerüst geschraubt und geschweißt werden.”
Ein überlebensgroßes Stierpuzzle aus 62 Teilen, plus Gerüst aus Eisenträgern, an dem es später befestigt wird. Mit kleinen Lastwagen gingen die Stier-Puzzles in alle Ecken Spaniens. Oft auf engen und steinigen Feldwegen an schwer zugängliche Orte neben der Straße. Die Grundbesitzer wurden anfangs oft auch in Naturalien bezahlt: Kisten voller Wein und Veterano-Brandy.

Ein Osborne-Stier als Filmberühmtheit

Auch in die Comarca, den Landkreis Los Monegros in der autonomen Gemeinschaft Aragon im Norden Spaniens, kam einer dieser Lastwagen und am Ortseingang einer 600-Seelen-Gemeinde steht bis heute ein Osborne-Stier, der sogar zur Film-Berühmtheit geworden ist.
Marcos Vaquer: "Wir sind hier in Peñalba, an der alten Nationalstraße N2, die seit ewigen Zeiten Madrid und Barcelona verbindet und über die viele Jahre lang der gesamte Schwerverkehr gegangen ist und die ein Mythos umweht.”
Reporter: "Und außerdem stehen wir vor…”
Marcos Vaquer: “... einem anderen Mythos, dem ‘Toro de Osborne’, der auch ein Wahrzeichen  ist. Speziell an dieser Straße.”
Reporter: “Und von einem Film, der hier gedreht worden ist.”
Marcos Vaquer: “Ja, dem Film von Bigas Luna, in dem der Stier eine zentrale Rolle für die Handlung spielt.”
Marcos Vaquer ist der Tourismusbeauftragte des Landkreises, der ein bisschen stolz auf “seinen” Stier ist. Er steht auf einem Hügel neben der Landstraße, die in einer lang gezogenen Kurve zum Dorf hinunter führt.
Die schwarze Stier-Silhouette füllte das Werbeplakat für den Film des Regisseurs Bigas Luna komplett aus, strategisch direkt unter den Hoden platziert: eine junge Frau im knallroten Sommerkleid. Es war 1992 die erste Hauptrolle einer spanischen Schauspielerin, die seitdem längst Hollywood erobert hat.
Penelope Cruz Characters: Silvia Film: Jamon Jamon (Jam¾n Jam¾n) E 1992, Director: Bigas Luna 02 September 1992 Jamon, J
Eine wüste Dreiecksgeschichte gespickt mit Klischees samt Osborne-Stier - Penelope Cruz in ihrer ersten Hauptrolle in dem Film "Jamon, Jamon" - deutscher Titel: "Lust auf Fleisch" - von 1992.© imago images/Mary Evans
30 Jahre ist es her, dass Penelope Cruz und Javier Bardem in “Jamon, Jamon” spielten, zwanzig Jahre später haben sie geheiratet. Im Film geht es um Männlichkeit, um Machismo, um die Kluft zwischen Unter- und Oberschicht in Spanien gegen Ende des vergangenen Jahrtausends.
Marcos Vaquer: "Der hat den Klassenkampf im traditionellen Spanien zum Thema, so wie Bigas Luna es wahrnimmt. Den Konflikt zwischen den gut Betuchten da oben und den ehrlichen und bescheidenen Leuten aus armen Verhältnissen da unten.”

Stier als Symbol für das "Spanische"

Eine wüste Dreiecksgeschichte, gespickt mit Klischees und Symbolismen, allen voran der Osborne-Stier, in dessen Schatten mehrere Schlüsselszenen spielen.
“In einer werden ihm sogar die Hoden weggeschlagen. Das steht auch für das Ende des traditionellen, des alten Spaniens, das Bigas Luna in seinem Film zeigen will.”
Der Film, in dem die beiden menschlichen Stiere um Penelopé Cruz als Silvia buhlen, gipfelt in einem Kampf, in dem Javier Bardem seinen Konkurrenten mit einem ganzen Schweineschinken erschlägt.
Regisseur Bigas Luna bekam für Jamón, Jamón einen silbernen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Und der Osborne-Stier ist vielleicht auch dank seines Films im Ausland zu einem Symbol für “das Spanische” geworden. Seine Symbolkraft zieht Menschen aus aller Welt an.

Markierte Route für Filmfans

Vielleicht auch, weil Filmemacherin und Kulturmanagerin Vicky Calavia 2018 eine markierte Route entwickelt hat, die an verschiedene Drehorte von “Jamon, Jamon” führt: zum Osborne-Stier, zum Stierkampf-Übungsplatz, zur Schinken-Lagerhalle, dem Ort des tödlichen Finales.
“Die größte Bedeutung hat er wahrscheinlich dafür, dass Location Scouts in die Gegend kommen. Viele rufen an, weil sie hier drehen wollen. Und natürlich spielt eine Rolle, dass mit Penelope Cruz und Javier Bardem ein international angesagtes Promi-Ehepaar hier ‘Jamón, Jamón’ gedreht hat."
Spanish Flag, behind the facade of the palace hotel Madrid Spain Copyright: xJimmyxVillaltax JVI-0092
Steile Karriere - der Stier findet sich nicht nur an den Straßen, sondern auch auf der spanischen Flagge wie hier in Madrid.© imago images/VWPics
Zahlreiche Videoclips, aber auch Kinoproduktionen sind in den vergangenen Jahren in der kargen, menschenleeren Gegend gedreht worden. Über allem thront der Stier von Peñalba, der in Wirklichkeit, so Filmemacherin Vicky Calavia, gar kein Nationalsymbol sei:
“Er kommt eher aus der Franco-Ära, ist ein Element jener Zeit, das überdauert hat. Und er bezieht sich auf die ‘fiesta nacional’, den Stierkampf. Ganz offensichtlich ist er ein Symbol vergangener Tage, das aber bis heute existiert.”

Aktivisten zerstören die Stiere

Und deswegen ein Symbol, gegen das es auch Widerstand gab und gibt: Im Baskenland und in Katalonien, den beiden autonomen Regionen mit starken Unabhängigkeitsbewegungen, wurden Osborne-Stiere in der Vergangenheit mehrfach von Aktivisten zerstört.
“In El Bruc bei Barcelona haben Aktivisten einen Stier zerstört, weil er für sie für den Stierkampf steht.”
Das sei ganz falsch, sagt Historiker Jaime Nuño González, ein großes Missverständnis:
“Weder das eine noch das andere stimmt. Als er geschaffen wird, hat der Stier nichts mit Spanien zu tun. Später drucken ihn Leute auf Fahnen, aber am Anfang ist er einfach der freie Stier in der Dehesa, der baumbestandenen Weide. Er hat nichts mit Stierkampf zu tun.
Wo sind die Speere, wo sind die Banderilla-Spieße? Es ist der mediterrane Stier, den man schon auf byzantinischen Wandmalereien sieht, auf alten Münzen und Höhlenmalereien im Osten Spaniens.”
Ein mächtiger schwarzer Bulle attackiert in einer gefüllten Arena das rote Tuch, das ihm der Torero vor den Kopf hält.
Was hat der Osborne-Stier mit dem umstrittenen Stierkampf in Spanien zu tun? Angeblich nichts, sagen seine Schöpfer. Auch wenn ein Zweig der Familie Kampfstiere züchtet. © imago images/Agencia EFE
Das ist auch die Erzählung, die man im Hause Osborne pflegt. Mit Stierkampf habe die Figur des Osborne-Stiers nichts zu tun. Selbst wenn es in der weitverzweigten Familie immer auch Stiere und Stierzucht gegeben hat, erzählt Carla Terry Osborne:
“Wir sind eine große Familie, und es gibt einen Zweig, der Kampfstiere züchtet. Aber der Stier als solches war schon immer eng mit Spanien verbunden, mit seiner Tradition. Nicht erst in letzter Zeit, schon in der Mythologie war er immer ein wichtiges Tier. Im Moment ist das ein heikles Thema, wir sprechen nicht gerne darüber. Der ‘Toro de Osborne’ hat für uns nichts mit Stierkampf zu tun.”

Osborne-Stier bald auf der Roten Liste?

92 Osborne-Stiere gibt es noch, jeder vier Tonnen schwer, aus rostgeschützten Blechen. Verankert in 50 Tonnen schweren Fundamenten, um selbst Stürmen zu trotzen. Regelmäßig kontrolliert, und mit schwarzer Farbe gepflegt. 92 von früher einmal fast 500. Kommt der Osborne-Stier vielleicht bald auf die Rote Liste? Unter Artenschutz steht er schon irgendwie, sagt Historiker Jaime Nuño González:
“Es gab diesen Punkt, an dem die spanische Regierung Werbung entlang der großen Straßen verbot. Das hat die Verbundenheit vieler mit dem Stier tatsächlich gestärkt. Der Streit ging 1987 los und hat zehn Jahre gedauert.”
Die Regionen Andalusien und Navarra setzten sich dafür ein, dass die Stiere bleiben sollten, viele Gemeinden kämpften für “ihren” Stier. Der Streit ging durch mehrere Gerichtsinstanzen und 1997 entschied der oberste Gerichtshof in Andalusien: Der “Toro de Osborne” ist mehr als eine Werbetafel, er ist Bestandteil des kulturellen Erbes und darf stehen bleiben.
Einer der Künstler, die sich für den Erhalt eingesetzt hatten, war Regisseur Bigas Luna:
“An dem Tag, an dem klar war, dass er bleiben würde, war ich glücklich. Ich empfinde viel für den Stier als Symbol Spaniens.”
“Das war vielleicht der Höhepunkt der Popularität des Osborne-Stiers. Er wurde begnadigt, durfte an den Straßen stehen bleiben. Damals tauchte er wirklich überall auf: auf der spanischen Flagge, T-Shirts, als Gürtelschnalle. Und in ‘Jamón, Jamón’ natürlich.”

Kulturgut oder geschützte Marke?

Aber in den vergangenen Jahren hat die Popularität des Osborne-Stiers nachgelassen, sagt Historiker Jaime Nuño González. Vielleicht auch deswegen, vermutet er, weil das Unternehmen inzwischen recht entschieden auf seinen Markenrechten besteht, obwohl die Stiere ja vor allem deshalb noch stehen, weil sie auch als Kulturgut gelten.
“Wir kämpfen schon immer dafür, dass er uns gehört. Er ist ein Stier, der einen Namen trägt.”
Eine aus bunten Steinen bestehende kleine Stierfigur.
Nationalsymbol Stier an der Madrider Börse - Den Osborne-Stier gibt es auf Kinderkleidung, auf Handtaschen und Mänteln, auf Bier, auf Olivenöl und Notizbüchern. © imago/photothek
Die Familie von Carla Terry Osborne hat eine ehemalige Lagerhalle zu einer Art Museum für den “Toro de Osborne” umgebaut. Touristen, die eine Führung durch die Bodega mitmachen, erfahren hier viel über die Geschichte des Unternehmens und seines Markenzeichens.
“Als man 2016 die Galerie hier gebaut hat, da wollte man eigentlich einen Stier in Originalgröße aufstellen, aber er passte nicht ganz hinein. Was aber hineinpasst, das haben wir da hinten aufgestellt, das ist ein Kopf. Gleich groß wie der an der Autobahn. Und die Hörner sind größer als ich.”

"Jeder kopiert unseren Stier"

Nicht nur an den Straßen, auch in Zeitschriften und in Fernsehclips taucht der Stier als Markenzeichen auf. In der Ausstellung läuft auch ein Werbeclip mit dem jungen Javier Bardem, die Gürtelschnalle ziert der Osborne-Stier. Aber auch viele andere möchten sich mit ihm schmücken, klagt Carla Terry Osborne: 
“Unser Stier ist einfach sehr, sehr gefragt. Jeder kopiert ihn. Es ist wie mit Louis-Vuitton-Taschen und den China-Imitaten. Wir mussten anfangen, Lizenzen zu vergeben, damit wir keine Probleme wegen Fälschungen und Imitaten bekommen.”
Die Familie betreibt in ihrer Bodega einen eigenen Konsumtempel: Es gibt Verkostungen, Tapas, Wein, Sherry und natürlich den Veterano-Brandy, dem die Welt die Stier-Ikone verdankt.

"Osborne will die totale Kontrolle über den Stier"

Und es gibt jede Menge offizielle Merchandising-Artikel mit dem Toro - gegen Lizenzgebühren. Carla Terry Osborne: 
“Alles, was Du hier siehst, von Kinderkleidung über Handtaschen bis zu Mänteln, sind lizenzierte Produkte. Wir haben sogar ein Bier und Olivenöl mit dem Stier drauf, auch Knabbereien. Alles Mögliche, bis hin zu Notizbüchern. Alles von Lizenznehmern.”
Ein Mann mit graumelierten Locken, Brille und hellblauem Hemd steht vor einem Feld auf dem am Horizont ein Stier steht.
Hat das Phänomen "Osborne-Stier" viele Jahre lang studiert - der Historiker Jaime Nuño González vor dem Hintergrund des Toro de La Gineta in Albacete.© (c) Jaime Nuño González
Doch Historiker Jaime Nuño Gonzalez wirf ein: "Osborne will die totale Kontrolle über den Stier. Früher hat jeder x-Beliebige ihn verwendet. Wenn aber alles illegal ist und Osborne darauf pocht, alleiniger Eigentümer zu sein, dann wird er eben nicht mehr so als Symbol aller wahrgenommen.”

Der Toro hat deutsche Wurzeln

Heute sehen Ausländer den Osborne-Stier viel mehr als Sinnbild für Spanien als die Spanier selbst, glaubt Gonzalez:
“Wenn jemand auf der Autobahn nach Spanien kommt und am Horizont eine große schwarze Figur ohne jeden Text sieht, dann fragt er sich ‘Was ist das denn? Ach, die Spanier mögen den Stierkampf’. Es sieht aus wie eine öffentliche Kampagne, und das verteilt über ganz Spanien. Die Beziehung zur spanischen Identität muss für Ausländer ganz logisch sein.”
Dazu passt die Geschichte des Familienunternehmens: gegründet im Herzen Andalusiens, in El Puerto de Santa Maria. Von einem Engländer, für den zunächst der in Hamburg geborene Johann Nikolaus Böhl von Faber die Geschäfte führte. Und dessen Tochter Aurora bald Firmengründer Thomas Osborne heiratete. So hat die spanische Ikone, der “Toro de Osborne”, auch deutsche Wurzeln. Irgendwie.
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