Stiftung Denkmalschutz beklagt mangelnde Sensibilität für Weltkulturerbe
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hält Bedenken der UNESCO gegen Bauvorhaben wie im Dresdner Elbtal und in der Nähe des Kölner Doms für berechtigt. Es gebe in Deutschland im Umgang mit historischen Ensembles noch immer nicht die "rechte Sensibilität", erklärte Gottfried Kiesow, Vorstandsvorsitzender der Stiftung.
Gabi Wuttke: Die UNESCO ist die Kulturorganisation der Vereinten Nationen und damit auch die große Beschützerin des architektonischen Welterbes. 830 Denkmälern in 138 Ländern hat sie den Titel "Weltkulturerbe" verliehen. Eine Auszeichnung von unschätzbarem Wert. Aber auch eine Last, wie sich an den Beispielen Kölner Dom, Dresdner Elbtal, Berliner Museumsinsel und der Wartburg - wo gerade davon Abstand genommen wurde, vier Windräder zu bauen - zeigt. Eben dort, auf der Wartburg, hatte im März 1990 der damalige hessische Landeskonservator Gottfried Kiesow seine Kollegen aus Ost und West auf einen gemeinsamen Denkmalschutz eingeschworen. Heute ist er Professor und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Guten Morgen.
Gottfried Kiesow: Guten Morgen.
Wuttke: Droht die UNESCO aus berechtigten Gründen? Mischen sich die Gutachter von Icomos zu Recht ein?
Kiesow: Ich halte die Bedenken der UNESCO für gerechtfertigt. Gerade deutsche Städte sind ja in der Nachkriegszeit nicht recht sorgsam mit dem Erbe umgegangen. Die ostdeutschen Städte blieben davon verschont, weil halt in der DDR nicht viel passierte. Aber in Westdeutschland sind ja viele Ensembles doch gestört worden. Und offensichtlich gibt es immer noch nicht die rechte Sensibilität im Umgang mit historischen Ensembles. Natürlich kann man eine Stadt nicht einfach konservieren, indem man sie unter eine Glasglocke steckt. Aber wenn man etwas Neues hinzutut bei einem Weltkulturerbe, bedarf dies allerhöchster Qualität und vor allen Dingen Maßstäblichkeit des modernen Bauens.
Wuttke: Gehen wir doch mal ins Detail. Im Fall Dresden, wo gestern wieder der Stadtrat zusammensaß, fragt man sich: Werden die Anträge von der UNESCO ordentlich gelesen? Warum stimmt man einer Betonbrücke zu und droht zwei Jahre später mit dem Rauswurf?
Kiesow: Also, man hätte bei der Brückenfrage schon bei der Antragstellung eigentlich klarstellen müssen, was man vorhat. Dann hätte die UNESCO Dresden gar nicht erst aufgenommen …
Wuttke: … die Dresdener sagen, man hätte alles vorgelegt.
Kiesow: Die Dresdener haben doch eine Befragung in der Bevölkerung gemacht, die während der Antragstellung lief. Also das ist mir nicht bekannt, dass die UNESCO-Kommission das wusste, was dort vorgesehen ist mit dieser Brücke. Auf jeden Fall ist natürlich eine Elblandschaft besonders empfindlich gegen neue Brücken. Und man muss sich fragen, wenn man bisher ohne neue Brücke auskam, warum muss das unbedingt jetzt sein? Ähnlich verhält es sich ja am Mittelrhein, wo die Brückenpläne auch schon ein Stirnrunzeln bei der UNESCO-Kommission erzeugt haben. Gerade wenn man, um in die Welterbeliste zu gelangen, auch die Landschaft einbezieht - was ja ein Vorteil ist bezüglich der Berücksichtigung. Die UNESCO will nicht nur einfach nur Städte, sondern sie will auch die umgebende Landschaft geschützt wissen, dieses Umfeld ist ihr wichtig. Das hat ja auch beim Kölner Dom zu dem Konflikt geführt. Und da ist wohl offensichtlich ein Missverständnis in den Köpfen, dass man denkt, nur der eng begrenzte Raum des eigentlichen Welterbes sei geschützt. Es gibt den Umgebungsschutz und der kann sehr weit gezogen werden. Das alles scheint den Betreffenden wohl nicht richtig klar gewesen zu sein.
Wuttke: Im Fall der Wartburg kann man natürlich über die Ästhetik von Windrädern streiten. Aber ist der Titel "Weltkulturerbe" immer auch gleichbedeutend mit der Tatsache - und bewussterweise gleichbedeutend mit der Tatsache -, dass die UNESCO auch eine Art Bauherr ist, ein zweiter Bauherr, wenn restauriert und modernisiert werden soll?
Kiesow: Nein, sie ist kein Bauherr. Aber es ist ganz klar, dass neben dem nationalen Denkmalschutz, der für alle Denkmäler von örtlicher oder Landesbedeutung oder gar besonderer kultureller nationaler Bedeutung - das sind ja die Abstufungen, die wir in Deutschland kennen -, dass wenn man in die UNESCO-Welterbeliste kommt, natürlich auch man einen Partner jetzt hat in der UNESCO-Kommission beziehungsweise in Icomos und dass man den einbeziehen muss.
Wuttke: Haben die Architekten für den Neubau auf der Berliner Museumsinsel also dann richtig erkannt, dass sie die Kritik von Icomos aufnehmen und ihre Pläne für den Eingangsbereich überarbeiten müssen?
Kiesow: Ja, das ist sicher richtig. Und ich bin nun nicht im Detail informiert, wie es dazu gekommen ist. Wenn man einen Wettbewerb gemacht hat - wovon ich ausgehe -, dann hätte man zum Beispiel den Professor Petzed in die Jury nehmen sollen, das ist doch das Naheliegende.
Wuttke: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz im "Radiofeuilleton". Herr Kiesow, man kann den Eindruck gewinnen, wenn man Ihre Kritik hört, dass bei den Städten, die Anträge auf den Titel "Welterbe" stellen, offensichtlich die Euro-Zeichen in den Augen größer sind als der Bedacht.
Kiesow: Ja, ich will nicht unbedingt dies Euro nur in den Vordergrund stellen. Natürlich hat dieses Epitheton ornans, dieses unwahrscheinlich schmückende Prädikat, das eine Stadt bekommt, auch wirtschaftliche Vorteile für den Tourismus. Das kann man an den Ostsee-Städten Stralsund und Wismar sogar messen an der Zahl der Übernachtungen, wie steil die hoch gingen. Aber ich glaube, den Städten geht es ja zunächst mal um diesen sehr ehrenvollen Titel. Man ist ja herausgehoben.
Man wird in einem Atemzug mit den ägyptischen Pyramiden genannt oder der großen chinesischen Mauer. Das ist ja eine ungeheure Ehre. Ich kann mich erinnern, dass dem Oberbürgermeister von Stralsund die Tränen kamen, als man ihm diese Urkunde überreichte und er sagte: Jetzt sind wir auf einer Ebene mit diesen weltberühmten Denkmälern. Ich glaube, das ist der eigentliche Anstoß, dass die Städte sich so intensiv bemühen. Aber sie müssen sich darüber klar sein, dass das natürlich auch nicht umsonst zu haben ist. Das heißt, es gibt schon einen, wenn man so will, einen verschärften Denkmalschutz.
Hier wacht noch mal, außer den Landesbehörden, ein anderer. Und wir wollen uns ja nichts vormachen: Die Landesdenkmalpflege ist ja häufig auch ohnmächtig und hat gar keine Einwirkungsmöglichkeiten. Sie scheitert doch gerade jetzt, in den letzten Jahren, immer stärker am politischen Votum, denn die Gesetze sind ja negativ verändert worden. Früher durften Genehmigungen nur mit Zustimmung der Denkmalfachbehörden erteilt werden, jetzt ist das ja in ein Benehmen abgemindert worden. Häufig sind die kommunalen Behörden zuständig und die Landesbehörden haben nur noch, ja, eine ganz schwache Möglichkeit, kriegen auch häufig einen Maulkorb umgehängt, das kenne ich ja auch.
Insofern muss man aber wissen, mit denen konnte man ja unter Umständen Schlitten fahren, nicht? Wenn die sich räusperten, hat man gesagt: Ach, na ja, diese ewigen Bedenkenträger… Ich habe ja 50 Jahre Denkmalpflege jetzt als Beruf inzwischen hinter mir und kenne das, kenne diese politischen Einwirkungen und die Diskriminierung dann auch der Fachleute. Wie war es denn bei Köln? Wir haben doch alle dagegen protestiert, alle Fachleute, die ich kenne. Stadtplaner, sehr namhafte Architekten, Denkmalpfleger. Der Stadtrat hat das vom Tisch gewischt, alle Fraktionen. Die haben das überhaupt nicht richtig zur Kenntnis genommen. War man nicht mal bereit, vielleicht eine öffentliche Anhörung zu machen. Und nur die Keule der UNESCO-Kommission hat dazu geführt, dass sie von ihren Plänen Abstand nahmen. Also insofern muss man allen, die sich um dieses sehr ehrenvolle Aufnehmen in die UNESCO-Welterbeliste bemühen, von vornherein sagen: Hier spricht in Zukunft noch einer mehr mit.
Wuttke: Wenn wir den Begriff "Macht der UNESCO" jetzt positiv gebrauchen und daneben die Machtlosigkeit der deutschen Denkmalschützer setzen, die ja in den letzten Jahren, wie Sie erläutert haben, immer machtloser geworden sind, erklärt das auch ein bisschen, wie wichtig die UNESCO dann für Deutschland ist?
Kiesow: Ja, das erklärt das durchaus. Ich glaube auch, dass wir gestärkt werden werden. Es gibt ja eine neue Bundesstiftung Baukultur, und da ist es auch das Ziel, zum Beispiel Planungsprozesse stärker öffentlich zu machen. Noch immer werden Entscheidungen hinter verschlossener Tür, ohne Beteiligung der Bevölkerung gemacht. Noch immer viel zu wenig finden entscheidende Diskussionen in der Presse, im Fernsehen über Architektur statt. Und das will ja die Bundesstiftung Baukultur ändern, dass Planungsprozesse stärker öffentlich werden. Beispielhaft ist da zum Beispiel die Stadt Stralsund - so viel ich aber weiß auch die Stadt Halle, aber in Stralsund weiß ich es, weil ich selbst im Gestaltungsbeirat bin, der tagt öffentlich. Und da wird jedes Bauvorhaben in Gegenwart auch von Interessierten der Bevölkerung öffentlich diskutiert, und nicht hinter verschlossenen Türen beschlossen.
Wuttke: Sie arbeiten an einem Antrag für Wiesbaden, irgendwann mal dieses Formular bei der UNESCO einreichen zu können. Ist das auch eine Folge davon, dass die deutschen Denkmalschützer so - um es noch mal aufzugreifen - machtlos sind, dass Sie auf diesem Wege vielleicht auch versuchen, Wiesbaden, in Anführungszeichen, zu retten?
Kiesow: Also mir geht es hauptsächlich darum, für die weite Zukunft, in die man ja hineinblicken muss - Denkmalpfleger gucken sehr viel mehr in die Zukunft, als man ihnen nachsagt. Man sagt ihnen immer nur nach, sie seien in der Vergangenheit befangen. Aber meine Devise für Denkmalschutz ist der Dank an das große kulturelle Erbe der Vergangenheit, es ist die Freude an der Gegenwart und ist das Geschenk an die Zukunft. Und dass dieses Geschenk dann nicht entstellt wird, da ist für mich das schon ein wichtiges Instrument, dass Wiesbaden eventuell dann - nach einigen Jahren der Wartezeit - in diese Liste aufgenommen wird. Wobei ich aber den politisch Verantwortlichen von Anfang an auch deutlich gemacht habe - und das haben sie akzeptiert -, dass wir hier entsprechende planungsrechtliche Vorleistungen treffen müssen. Zum Beispiel in den großartigen Villengebieten darf dann nicht wieder weiterhin jeder Garten zugebaut werden mit Neubauten, sondern das Gebiet muss dann so mit seiner großartigen Durchgrünung erhalten bleiben.
Wuttke: Heißt das, Sie werden darauf pochen können, falls sich die Regierung in Wiesbaden ändert?
Kiesow: Nein, das wird sich nicht ändern. Es haben alle Fraktionen der Stadt dem zugestimmt. Und alle Fraktionen, auch die, die jetzt im Moment in der Opposition ist, auch die kleineren, haben alle einstimmig diesen Beschluss gefasst. Die stehen alle dahinter und die sind auch in der Kommission zur Vorbereitung. Und ganz wichtig halte ich auch, dass dieses Welterbe nicht nur ein Beschluss dann der politisch Verantwortlichen ist, sondern dass man als Erstes die Bevölkerung motiviert. Und das ist in Wiesbaden jetzt der Fall. Man wird die nächsten Jahre nutzen. Wir sind uns einig: Der Weg ist schon wichtig. Das Ziel ist natürlich wunderbar, und wann wir es erreichen, ist ungewiss - ob wir es überhaupt erreichen. Aber schon der Weg ist ja ganz bedeutend. Und so werden wir die Bevölkerung laufend motivieren. In diesem Jahr zum Beispiel am "Tag des offenen Denkmals" die historischen Gärten. Im nächsten Jahr wird das Kurhaus 100 Jahre, da machen wir ein Historismusfest. Also so wird Jahr für Jahr, werden Aktivitäten, dass die gesamte Bevölkerung sensibilisiert wird. Denn für die ist ja eigentlich das Weltkulturerbe da, nicht nur für die politisch Verantwortlichen, die es einreichen - und die dann allzu schnell vergessen, dass das eine Bindung ist. Natürlich nicht die Glasglocke, aber die Zutaten müssen von höchster Qualität sein.
Wuttke: Wie trösten Sie eigentlich Ihre resignierten Kollegen Landeskonservatoren?
Kiesow: Ja, indem ich versuche, da mir keiner einen Maulkorb umhängen kann, dann entsprechend einzugreifen.
Wuttke: Deutschland und sein Weltkulturerbe. Dazu Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Vielen Dank, Herr Professor Kiesow.
Kiesow: Vielen Dank ebenfalls.
Gottfried Kiesow: Guten Morgen.
Wuttke: Droht die UNESCO aus berechtigten Gründen? Mischen sich die Gutachter von Icomos zu Recht ein?
Kiesow: Ich halte die Bedenken der UNESCO für gerechtfertigt. Gerade deutsche Städte sind ja in der Nachkriegszeit nicht recht sorgsam mit dem Erbe umgegangen. Die ostdeutschen Städte blieben davon verschont, weil halt in der DDR nicht viel passierte. Aber in Westdeutschland sind ja viele Ensembles doch gestört worden. Und offensichtlich gibt es immer noch nicht die rechte Sensibilität im Umgang mit historischen Ensembles. Natürlich kann man eine Stadt nicht einfach konservieren, indem man sie unter eine Glasglocke steckt. Aber wenn man etwas Neues hinzutut bei einem Weltkulturerbe, bedarf dies allerhöchster Qualität und vor allen Dingen Maßstäblichkeit des modernen Bauens.
Wuttke: Gehen wir doch mal ins Detail. Im Fall Dresden, wo gestern wieder der Stadtrat zusammensaß, fragt man sich: Werden die Anträge von der UNESCO ordentlich gelesen? Warum stimmt man einer Betonbrücke zu und droht zwei Jahre später mit dem Rauswurf?
Kiesow: Also, man hätte bei der Brückenfrage schon bei der Antragstellung eigentlich klarstellen müssen, was man vorhat. Dann hätte die UNESCO Dresden gar nicht erst aufgenommen …
Wuttke: … die Dresdener sagen, man hätte alles vorgelegt.
Kiesow: Die Dresdener haben doch eine Befragung in der Bevölkerung gemacht, die während der Antragstellung lief. Also das ist mir nicht bekannt, dass die UNESCO-Kommission das wusste, was dort vorgesehen ist mit dieser Brücke. Auf jeden Fall ist natürlich eine Elblandschaft besonders empfindlich gegen neue Brücken. Und man muss sich fragen, wenn man bisher ohne neue Brücke auskam, warum muss das unbedingt jetzt sein? Ähnlich verhält es sich ja am Mittelrhein, wo die Brückenpläne auch schon ein Stirnrunzeln bei der UNESCO-Kommission erzeugt haben. Gerade wenn man, um in die Welterbeliste zu gelangen, auch die Landschaft einbezieht - was ja ein Vorteil ist bezüglich der Berücksichtigung. Die UNESCO will nicht nur einfach nur Städte, sondern sie will auch die umgebende Landschaft geschützt wissen, dieses Umfeld ist ihr wichtig. Das hat ja auch beim Kölner Dom zu dem Konflikt geführt. Und da ist wohl offensichtlich ein Missverständnis in den Köpfen, dass man denkt, nur der eng begrenzte Raum des eigentlichen Welterbes sei geschützt. Es gibt den Umgebungsschutz und der kann sehr weit gezogen werden. Das alles scheint den Betreffenden wohl nicht richtig klar gewesen zu sein.
Wuttke: Im Fall der Wartburg kann man natürlich über die Ästhetik von Windrädern streiten. Aber ist der Titel "Weltkulturerbe" immer auch gleichbedeutend mit der Tatsache - und bewussterweise gleichbedeutend mit der Tatsache -, dass die UNESCO auch eine Art Bauherr ist, ein zweiter Bauherr, wenn restauriert und modernisiert werden soll?
Kiesow: Nein, sie ist kein Bauherr. Aber es ist ganz klar, dass neben dem nationalen Denkmalschutz, der für alle Denkmäler von örtlicher oder Landesbedeutung oder gar besonderer kultureller nationaler Bedeutung - das sind ja die Abstufungen, die wir in Deutschland kennen -, dass wenn man in die UNESCO-Welterbeliste kommt, natürlich auch man einen Partner jetzt hat in der UNESCO-Kommission beziehungsweise in Icomos und dass man den einbeziehen muss.
Wuttke: Haben die Architekten für den Neubau auf der Berliner Museumsinsel also dann richtig erkannt, dass sie die Kritik von Icomos aufnehmen und ihre Pläne für den Eingangsbereich überarbeiten müssen?
Kiesow: Ja, das ist sicher richtig. Und ich bin nun nicht im Detail informiert, wie es dazu gekommen ist. Wenn man einen Wettbewerb gemacht hat - wovon ich ausgehe -, dann hätte man zum Beispiel den Professor Petzed in die Jury nehmen sollen, das ist doch das Naheliegende.
Wuttke: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz im "Radiofeuilleton". Herr Kiesow, man kann den Eindruck gewinnen, wenn man Ihre Kritik hört, dass bei den Städten, die Anträge auf den Titel "Welterbe" stellen, offensichtlich die Euro-Zeichen in den Augen größer sind als der Bedacht.
Kiesow: Ja, ich will nicht unbedingt dies Euro nur in den Vordergrund stellen. Natürlich hat dieses Epitheton ornans, dieses unwahrscheinlich schmückende Prädikat, das eine Stadt bekommt, auch wirtschaftliche Vorteile für den Tourismus. Das kann man an den Ostsee-Städten Stralsund und Wismar sogar messen an der Zahl der Übernachtungen, wie steil die hoch gingen. Aber ich glaube, den Städten geht es ja zunächst mal um diesen sehr ehrenvollen Titel. Man ist ja herausgehoben.
Man wird in einem Atemzug mit den ägyptischen Pyramiden genannt oder der großen chinesischen Mauer. Das ist ja eine ungeheure Ehre. Ich kann mich erinnern, dass dem Oberbürgermeister von Stralsund die Tränen kamen, als man ihm diese Urkunde überreichte und er sagte: Jetzt sind wir auf einer Ebene mit diesen weltberühmten Denkmälern. Ich glaube, das ist der eigentliche Anstoß, dass die Städte sich so intensiv bemühen. Aber sie müssen sich darüber klar sein, dass das natürlich auch nicht umsonst zu haben ist. Das heißt, es gibt schon einen, wenn man so will, einen verschärften Denkmalschutz.
Hier wacht noch mal, außer den Landesbehörden, ein anderer. Und wir wollen uns ja nichts vormachen: Die Landesdenkmalpflege ist ja häufig auch ohnmächtig und hat gar keine Einwirkungsmöglichkeiten. Sie scheitert doch gerade jetzt, in den letzten Jahren, immer stärker am politischen Votum, denn die Gesetze sind ja negativ verändert worden. Früher durften Genehmigungen nur mit Zustimmung der Denkmalfachbehörden erteilt werden, jetzt ist das ja in ein Benehmen abgemindert worden. Häufig sind die kommunalen Behörden zuständig und die Landesbehörden haben nur noch, ja, eine ganz schwache Möglichkeit, kriegen auch häufig einen Maulkorb umgehängt, das kenne ich ja auch.
Insofern muss man aber wissen, mit denen konnte man ja unter Umständen Schlitten fahren, nicht? Wenn die sich räusperten, hat man gesagt: Ach, na ja, diese ewigen Bedenkenträger… Ich habe ja 50 Jahre Denkmalpflege jetzt als Beruf inzwischen hinter mir und kenne das, kenne diese politischen Einwirkungen und die Diskriminierung dann auch der Fachleute. Wie war es denn bei Köln? Wir haben doch alle dagegen protestiert, alle Fachleute, die ich kenne. Stadtplaner, sehr namhafte Architekten, Denkmalpfleger. Der Stadtrat hat das vom Tisch gewischt, alle Fraktionen. Die haben das überhaupt nicht richtig zur Kenntnis genommen. War man nicht mal bereit, vielleicht eine öffentliche Anhörung zu machen. Und nur die Keule der UNESCO-Kommission hat dazu geführt, dass sie von ihren Plänen Abstand nahmen. Also insofern muss man allen, die sich um dieses sehr ehrenvolle Aufnehmen in die UNESCO-Welterbeliste bemühen, von vornherein sagen: Hier spricht in Zukunft noch einer mehr mit.
Wuttke: Wenn wir den Begriff "Macht der UNESCO" jetzt positiv gebrauchen und daneben die Machtlosigkeit der deutschen Denkmalschützer setzen, die ja in den letzten Jahren, wie Sie erläutert haben, immer machtloser geworden sind, erklärt das auch ein bisschen, wie wichtig die UNESCO dann für Deutschland ist?
Kiesow: Ja, das erklärt das durchaus. Ich glaube auch, dass wir gestärkt werden werden. Es gibt ja eine neue Bundesstiftung Baukultur, und da ist es auch das Ziel, zum Beispiel Planungsprozesse stärker öffentlich zu machen. Noch immer werden Entscheidungen hinter verschlossener Tür, ohne Beteiligung der Bevölkerung gemacht. Noch immer viel zu wenig finden entscheidende Diskussionen in der Presse, im Fernsehen über Architektur statt. Und das will ja die Bundesstiftung Baukultur ändern, dass Planungsprozesse stärker öffentlich werden. Beispielhaft ist da zum Beispiel die Stadt Stralsund - so viel ich aber weiß auch die Stadt Halle, aber in Stralsund weiß ich es, weil ich selbst im Gestaltungsbeirat bin, der tagt öffentlich. Und da wird jedes Bauvorhaben in Gegenwart auch von Interessierten der Bevölkerung öffentlich diskutiert, und nicht hinter verschlossenen Türen beschlossen.
Wuttke: Sie arbeiten an einem Antrag für Wiesbaden, irgendwann mal dieses Formular bei der UNESCO einreichen zu können. Ist das auch eine Folge davon, dass die deutschen Denkmalschützer so - um es noch mal aufzugreifen - machtlos sind, dass Sie auf diesem Wege vielleicht auch versuchen, Wiesbaden, in Anführungszeichen, zu retten?
Kiesow: Also mir geht es hauptsächlich darum, für die weite Zukunft, in die man ja hineinblicken muss - Denkmalpfleger gucken sehr viel mehr in die Zukunft, als man ihnen nachsagt. Man sagt ihnen immer nur nach, sie seien in der Vergangenheit befangen. Aber meine Devise für Denkmalschutz ist der Dank an das große kulturelle Erbe der Vergangenheit, es ist die Freude an der Gegenwart und ist das Geschenk an die Zukunft. Und dass dieses Geschenk dann nicht entstellt wird, da ist für mich das schon ein wichtiges Instrument, dass Wiesbaden eventuell dann - nach einigen Jahren der Wartezeit - in diese Liste aufgenommen wird. Wobei ich aber den politisch Verantwortlichen von Anfang an auch deutlich gemacht habe - und das haben sie akzeptiert -, dass wir hier entsprechende planungsrechtliche Vorleistungen treffen müssen. Zum Beispiel in den großartigen Villengebieten darf dann nicht wieder weiterhin jeder Garten zugebaut werden mit Neubauten, sondern das Gebiet muss dann so mit seiner großartigen Durchgrünung erhalten bleiben.
Wuttke: Heißt das, Sie werden darauf pochen können, falls sich die Regierung in Wiesbaden ändert?
Kiesow: Nein, das wird sich nicht ändern. Es haben alle Fraktionen der Stadt dem zugestimmt. Und alle Fraktionen, auch die, die jetzt im Moment in der Opposition ist, auch die kleineren, haben alle einstimmig diesen Beschluss gefasst. Die stehen alle dahinter und die sind auch in der Kommission zur Vorbereitung. Und ganz wichtig halte ich auch, dass dieses Welterbe nicht nur ein Beschluss dann der politisch Verantwortlichen ist, sondern dass man als Erstes die Bevölkerung motiviert. Und das ist in Wiesbaden jetzt der Fall. Man wird die nächsten Jahre nutzen. Wir sind uns einig: Der Weg ist schon wichtig. Das Ziel ist natürlich wunderbar, und wann wir es erreichen, ist ungewiss - ob wir es überhaupt erreichen. Aber schon der Weg ist ja ganz bedeutend. Und so werden wir die Bevölkerung laufend motivieren. In diesem Jahr zum Beispiel am "Tag des offenen Denkmals" die historischen Gärten. Im nächsten Jahr wird das Kurhaus 100 Jahre, da machen wir ein Historismusfest. Also so wird Jahr für Jahr, werden Aktivitäten, dass die gesamte Bevölkerung sensibilisiert wird. Denn für die ist ja eigentlich das Weltkulturerbe da, nicht nur für die politisch Verantwortlichen, die es einreichen - und die dann allzu schnell vergessen, dass das eine Bindung ist. Natürlich nicht die Glasglocke, aber die Zutaten müssen von höchster Qualität sein.
Wuttke: Wie trösten Sie eigentlich Ihre resignierten Kollegen Landeskonservatoren?
Kiesow: Ja, indem ich versuche, da mir keiner einen Maulkorb umhängen kann, dann entsprechend einzugreifen.
Wuttke: Deutschland und sein Weltkulturerbe. Dazu Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Vielen Dank, Herr Professor Kiesow.
Kiesow: Vielen Dank ebenfalls.