Rücktrittswelle auf der Baustelle
Einen Tag, nachdem der Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sich für einen neuen Direktor entschieden hatte, hagelte es Rücktritte aus dem wissenschaftlichen Beirat. Winfrid Halder wurde als Kandidat der Vertriebenenverbände gesehen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters steht vor einem Scherbenhaufen.
Der neue Direktor sollte ein Konsenskandidat sein, mit dem beide Konfliktparteien würden leben können. Das hatte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf die Fahnen geschrieben. Doch jetzt steht sie erneut vor einem Scherbenhaufen.
Einen Tag, nachdem der Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sich für Winfrid Halder als neuen Direktor entschieden hatte, hagelte es Rücktritte aus dem wissenschaftlichen Beirat. Halder wurde als Kandidat der Vertriebenenverbände gesehen. Der polnische Historiker Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Instituts an der Universität Breslau, war der Erste, der seinen Hut nahm.
Krzysztof Ruchniewicz: "Es handelt sich nicht um eine Filiale des Bundes der Vertriebenen. Also es geht nicht um nur eine Gruppe, die jetzt ein Museum aufbauen soll, sondern es geht um eine Bundesstiftung, die ein Dokumentationszentrum für Flucht und Vertreibung gründen soll. Also das ist etwas mehr. Und diese Internationalität, auch der Bezug zu aktuellen Fragen finde ich auch ganz wichtig."
Historiker mit klar konservativem Profil
Neben den beiden polnischen Historikern trat auch der Beiratsvorsitzende Stefan Troebst zurück, ebenso der Berliner Historiker Michael Wildt sowie Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte in München - Schwartz war der Gegenkandidat von Halder für den Direktorenposten gewesen, er wäre vom Beirat favorisiert worden. Doch der Stiftungsrat, in dem der Bund der Vertriebenen mit sechs Mitgliedern stark vertreten ist, hatte sich für Halder entschieden und damit für einen Historiker mit einem klaren konservativen Profil: Gebürtiger Bayer, katholisch, Sohn von schlesischen Eltern, wissenschaftlich bislang vor allem mit Forschungen zu katholischer Sozialgeschichte, Heimatvereinen und bayerischer bzw. sächsischer Regionalgeschichte befasst. Das Gerhard-Hauptmann-Haus, das Halder leitet, kümmert sich um die Kulturgutpflege der Vertriebenen aus ehemaligen deutschen Ostgebieten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters lobte indes seine breite fachliche Expertise:
"Herr Halder bringt enorme Erfahrung der Leitung eines Hauses, des Gerhard-Hauptmann-Hauses in Düsseldorf, mit, er ist einschlägig, was die Geschichte von Flucht, Vertreibung und eben auch Versöhnung angeht. Er ist einer der wissenschaftlich ausgewiesen ist in der jüngeren Zeitgeschichte, und er hat Erfahrung in der Leitung eines Teams, im Umgang mit Budgets und mit größeren Veranstaltungshäusern."
Beiratsmitglieder sehen in Kandidaten Rückschritt für Stiftung
Die Beiratsmitglieder, die jetzt zurückgetreten sind, sehen in der Entscheidung für Halder einen Rückschritt im Streit um die Ausrichtung der Stiftung. Dabei geht es letztlich um die Frage, wie stark die geplante Ausstellung die Vertreibungsgeschichte der Deutschen ins Zentrum rückt – ein Anliegen des Bundes der Vertriebenen im Stiftungsrat, das vor allem in Osteuropa mit großer Skepsis beobachtet wird. Er habe sich 2010 entschieden, bei dieser "heiklen Problematik" mitzumachen, weil er geglaubt habe, die Stiftung würde entpolitisiert und internationaler, schrieb der Warschauer Professor Piotr Madajczyk zur Begründung für seinen Rückzug. "Heutzutage bin ich dieser Entpolitisierung nicht mehr sicher und überzeugt, dass das Museum besonders jetzt einen Direktor braucht, der ein internationales wissenschaftliches Renommee hat".
Stiftung trudelt von einer Krise in die nächste
Die Vertriebenen-Stiftung trudelt seit ihrer Gründung im Jahr 2008 von einer Krise in die nächste. Gründungsdirektor Manfred Kittel hatte Ende letzten Jahres nach einem Konflikt mit dem Beraterkreis gehen müssen, weil er zwei Ausstellungen an diesem vorbei organisiert hatte. Peinliches Detail für Kittel: Ausgerechnet der Ausstellungsteil, in dem die Vertreibung der Deutschen aus Polen dargestellt wurde, musste kurz vor der Eröffnung nach massiver Kritik von Wissenschaftlern zurückgezogen werden – weil der historische Kontext fehlte. Als Feigenblatt wolle man nicht herhalten, hieß es schon damals aus dem Beraterkreis.
Bei der Suche eines Nachfolgers hatte sich Grütters stark persönlich engagiert, immer wieder versucht, die Wogen zu glätten. Eine Findungskommission unter ihrem Vorsitz hatte aus über 40 Bewerbungen zwei Kandidaten ausgewählt und dem Stiftungsrat vorgeschlagen. Jetzt bemühte sie sich um Schadensbegrenzung. Die Rücktritte stünden ihres Erachtens nach nicht im Zusammenhang mit der Personalentscheidung für Halder, sagte sie im Deutschlandradio. Im Übrigen laufe das Mandat des wissenschaftlichen Beirats im Herbst ohnehin aus. Zum Konflikt um die Ausrichtung der Stiftung stellte Grütters klar:
"Bei uns gilt eindeutig die Konzeption, die im Einvernehmen mit allen Beteiligten hier beschlossen wurde, in dem die Geschichte der Vertreibung der Deutschen für die Ausstellung der Schwerpunkt der Geschichtsschreibung der Ausstellung und der Politik sein wird, und die Geschichte der Vertreibung der Deutschen im Kontext der ganzen Stiftung EIN Schwerpunkt sein wird. Und Herr Halder hat gestern in hervorragender Form auf genau diese Konzeption sich berufen."
DER oder EIN Schwerpunkt – genau daran aber scheiden sich die Geister seit Jahren. Die Rücktritte werden es Grütters jedenfalls nicht einfacher machen, der ohnehin mit großer Skepsis betrachteten Vertriebenen-Stiftung und ihrem Vorhaben auch international Anerkennung zu verschaffen.